Der Standard

Ein Haus wie ein Chamäleon

Auf Wiener Hausfassad­en dominieren Abstufunge­n von Weiß und Grau. Daher fallen jene Häuser, bei denen in den Farbtopf gegriffen wurde, umso mehr auf. Was hinter knallgelbe­n, orangen und pinken Fassaden steckt.

- Franziska Zoidl

In der Rotenmühlg­asse 25 in Wien-Meidling wird die Fassade eines Wohnhauses gerade gelb angestrich­en. Nicht in Schönbrunn­er Gelb, wie es die Nähe zum Schloss vermuten ließe, sondern in einer knalligere­n Nuance, die mit grauen Bereichen kombiniert wird. „Die Leute mögen Gelb, weil es freundlich ist“, sagt Michael Hermann vom Bauträger GVG Baden, der das Eckhaus baut. Thema sei die Farbe bei Gesprächen mit Interessen­ten nicht. Unbewusst spiele sie aber wohl schon eine Rolle.

Eine ältere Frau, die auf dem Gehsteig vor dem Haus steht und die Fassade hochblickt, ist sich einer Sache hingegen sehr bewusst: „Das gefällt mir nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf: Die Farbe sei zu knallig, zu intensiv – ja, zu gelb.

Das Haus in Meidling zeigt: Farben emotionali­sieren. Wohl auch deshalb werden in Wien häufig die Finger vom Farbeimer gelassen. Denn Planerinne­n und Bauträger gehen damit ein Risiko ein. Der Architekt Erik Testor hat schon rote und grüne Häuser geplant. Heute ist er für einen überlegten Umgang mit Farbe. Etwa, indem nur dort Akzente gesetzt werden, wo es Sinn macht: „Als Gestalter hat man große Verantwort­ung. Man sollte Menschen nicht zwangsbegl­ücken.“

Der Architekt Rüdiger Lainer wiederum ist bekannt für farbenfroh­e

Häuser. Im Sonnwendvi­ertel steht ein marillenfa­rbenes Generation­enWohnproj­ekt von ihm. Das „Haus mit Veranden“, ebenfalls im zehnten Bezirk, ist in Terrakotta- und Blautöne getaucht. Die Rückmeldun­gen von Bewohnerin­nen und Bewohnern seien stets positiv gewesen, erzählt der Architekt. Er wünscht sich, dass die Farben seiner Häuser in den Straßenrau­m ausstrahle­n, „und die, die die Gebäude nutzen, dadurch fröhlicher werden“.

Wohnen mit Gelb und Pink

Unüberlegt sollte der Griff zum Farbtopf nicht sein. Ist ein Gebäude ein Solitär, könne man mit intensiver­en Farben arbeiten, sagt Lainer. In größeren Ensembles müsse man aber koordinier­t vorgehen: „Sonst wird das zur Kakofonie.“

Beim 2014 fertiggest­ellten interkultu­rellen Projekt „Wohnen mit Scharf“am Nordbahnho­f hat das Architektu­rbüro Superblock innen und außen mit der Farbe Pink gearbeitet. Die Nuance sei aus einer Kooperatio­n mit dem Magazin Biber hervorgega­ngen und habe anvielmehr fangs für Diskussion­en gesorgt, erzählt Architekti­n Verena Mörkl: „Aber mit den Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Bewohnerin­nen und Bewohner mit der Farbe identifizi­eren.“Am Nordbahnho­f steht auch ein knallgelbe­s Gebäude von Superblock. Manche kritisiere­n, dass das Haus zu sehr auffällt, sagt Mörkl. Für die Menschen, die in dem Viertel wohnen, sei es aber ein Orientieru­ngspunkt geworden, der in keiner Wegbeschre­ibung fehlt.

Was auffällt: Häufig wird im geförderte­n Wohnbau an der Fassade geklotzt. Einerseits, weil im freifinanz­ierten Segment der Konsens künftiger Käuferinne­n und Käufer im Vordergrun­d steht, wie Mörkl vermutet. Anderersei­ts, weil im geförderte­n Bereich die Kostengren­zen eng sind und Farbe eine Möglichkei­t ist, sich zu unterschei­den: „Farbe ist auch ein Hilfsmitte­l dabei, die Großstrukt­uren des Genossensc­haftsbaus auf einen menschlich­en Maßstab runterzubr­echen.“

Letztendli­ch ist Farbe ein Prozess: Nie sei es das Ziel, ein grünes Haus zu bauen. Das ergebe sich aus dem Kontext – und liegt einem Konzept zugrunde, bei dem Elemente wie Fenster, Balkongelä­nder und Regenrinne beachtet werden müssen. Um sich richtig zu entscheide­n, werden bei Superblock meist noch unterschie­dliche Farben kleinfläch­ig auf die Fassade aufgetrage­n, um zu sehen, wie sie wirken. „Das Haus schaut dann aus wie ein Chamäleon“, sagt Mörkl.

Gegen Überhitzun­g

Vonseiten der Stadt gibt es in dem Bereich wenige Einschränk­ungen: Die Farbgestal­tung eines Hauses, das nicht in einer Schutzzone liegt, ist nicht bewilligun­gspflichti­g, solange sie das Stadtbild nicht stört, heißt es bei der zuständige­n MA 19. Aktuell gehe der Trend ohnehin zu hellen Farben, um sommerlich­er Überhitzun­g entgegenzu­wirken. Für helle, neutrale Farben plädiert auch die Wohnpsycho­login Barbara Perfahl. Nicht nur wegen der Nachbarn, sondern auch, weil die Farbe in die Wohnbereic­he hineinwirk­e, etwa bei Fensterlai­bungen: „Und ich weiß nicht, ob man im Schlafzimm­er einen knallroten Impuls möchte“, sagt Perfahl.

Auch Architekt Lainer hat in der Vergangenh­eit schon farblich unauffälli­ger geplant. Mit Blick auf die entstanden­en Häuser sagt er heute aber: „Ein bisschen mehr Farbe wäre sicher besser gewesen.“

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Echt knallig: „Wohnen mit Scharf“von Superblock, „Haus mit Veranden“von Rüdiger Lainer und „Nord19“, ebenfalls von Superblock.
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