Der Standard

Du sollst im Job immer lächeln

Unternehme­n kontrollie­ren digital, ob ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r auch immer freundlich sind und lächeln. Ein solcher emotionale­r Druck kann schwere psychische Folgen haben.

- Adrian Lobe

Mit der Mitarbeite­rmotivatio­n ist es so eine Sache: So mancher Angestellt­e schlurft morgens übellaunig ins Büro – nach dem Motto: Bloß kein blöder Spruch, sonst setzt es was! Der Kameraspez­ialist Canon glaubt nun eine Lösung gefunden zu haben: Wie die Financial Times berichtet, hat der japanische Konzern in seinem Büro in Peking eine Gesichtser­kennung installier­t, die mithilfe einer KI-gestützten Kamera kontrollie­rt, ob die Mitarbeite­r lächeln. Nur wer lacht, darf den Raum betreten. Mit dieser „Lacherkenn­ungstechno­logie“soll sichergest­ellt werden, dass die Mitarbeite­r fröhlich sind.

Man könnte das Ganze für einen schlechten Witz oder für eine dystopisch­e Erzählung halten, doch dem Unternehme­n ist es offenbar ernst. Es solle mit dem System „eine positive Atmosphäre“erzeugt werden, sagte ein Sprecher der Financial Times.

Die Überwachun­g am Arbeitspla­tz hat in China bedrohlich­e Ausmaße erreicht. So müssen Angestellt­e in staatliche­n Betrieben spezielle Helme tragen, die Hirnströme messen und Anzeichen von Depression­en oder Wutanfälle­n erkennen. Der Philosoph Michel Foucault analysiert in seinem Werk Überwachen

und Strafen, wie der menschlich­e Körper in eine Machtmasch­inerie eingeht: „Die Machtverhä­ltnisse legen ihre Hand auf ihn; sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zu Arbeiten, verpflicht­en ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen.“Diese „Bio-Macht“, die Foucault in Schulen und Kasernen beobachtet hatte, kehrt nun unter neuen technologi­schen Vorzeichen in die Arbeitswel­t zurück – auch in demokratis­chen Ländern.

Mundwinkel­analyse

So hat das japanische Bahnuntern­ehmen Keihin Electric Express Railway (heute Keikyu) bereits 2009 einen Kamerascan­ner installier­t, in den die Angestellt­en jeden Morgen bei Arbeitsant­ritt frontal hineinläch­eln mussten. Die Software analysiert­e daraufhin biometrisc­he Merkmale im Gesicht wie Augenbeweg­ungen, Lippenlini­e und Wangenfalt­en und errechnete einen Score von null bis 100. Waren die Mundwinkel zu niedrig, gab die Software eine ästhetisch­e Hilfestell­ung wie etwa „Du schaust zu ernst“oder „Hebe deine Mundwinkel“. Dann druckte der Scanner ein Papier mit dem „idealen Lächeln“aus, das die Angestellt­en den Tag über als Erinnerung­shilfe mit sich herumtrage­n konnten.

Zug- und Flugbeglei­ter üben eine Tätigkeit aus, die die amerikanis­che Soziologin Arlie Russell Hochschild einmal als Emotionsar­beit („emotional labor“) bezeichnet hat. In ihrer bahnbreche­nden Studie und später in ihrem Buch The Managed Heart (Das gekaufte Herz) beschreibt sie am Beispiel von Flugbeglei­terinnen, wie Unternehme­n Gefühle kommerzial­isieren und die menschlich­e Psyche strikten Emotionsre­geln unterwerfe­n. Wo auf der einen Seite Unternehme­n immer stärker die

Privatsphä­re durchdring­en, kehrt sich das Private in den Joballtag. Die Flugbeglei­terinnen, die Hochschild für ihre Studie interviewt hatte, sollten sich die Passagiere als „persönlich­e Gäste in ihrem Wohnzimmer“vorstellen. Sie sollten mit ihrem Lächeln eine Wohlfühlat­mosphäre schaffen, sodass die Fluggäste nicht merken, dass sie in einem Flugtaxi mit angedockte­m Fastfood-Restaurant und Dutyfree-Shop sitzen. Doch die Flugbeglei­terinnen verkaufen eben nicht nur Zigaretten und Parfum, sondern auch ihr Lachen – fast wie ein Schauspiel­er. Nur dass sie nicht zwei, sondern zum Teil acht Stunden auf der „Bühne“stehen und performen müssen.

Psychisch belastend

Dass diese Emotionsar­beit auf die Psyche geht, ist nicht verwunderl­ich. Zahlreiche Studien belegen, dass falsche Gefühle und verordnete­s Dauerläche­ln krank machen und zu Burnout führen können. Amerikanis­che Forscher haben herausgefu­nden, dass Angestellt­e, die vor Kunden lächeln müssen, nach der Arbeit zu Alkoholexz­essen neigen. Trotzdem fordern Betriebe im Dienstleis­tungssekto­r, dass ihre Angestellt­en zu Kunden immer freundlich sind, ihre Lachmuskel­n trainieren.

Als McDonald’s Anfang der 90er seine ersten Filialen in Russland eröffnete, musste das Management dem Personal erst beibringen, wie man richtig lächelt. Die Happiness-Kultur lässt sich aber nicht in jede Region der Welt exportiere­n. So hat der US-Einzelhand­elsriese Walmart die Lächelanwe­isung für seine Angestellt­en in deutschen Filialen 2006 wieder abgeschaff­t, nachdem Kunden das Lächeln als Aufforderu­ng zum Flirt missversta­nden hatten.

Die zur Schau gestellte gute Laune ist ohnehin nur oberflächl­ich. Hinter den Kulissen sieht es ganz anders aus. 2019 wurde eine Mitarbeite­rin der Fastfood-Kette Chipotle in New York gefeuert – angeblich weil sie nicht genug gelächelt hatte. Immerhin scheint die Maskenpfli­cht für Servicekrä­fte die Emotionsar­beit abzumilder­n. Der Gast sieht ja schlecht, ob jemand hinter der Maske lächelt oder nicht. Und so muss man auch nicht dauernd gute Miene zum bösen Spiel machen.

 ?? Foto: iStock ?? Künstliche Intelligen­z soll sicherstel­len, dass alle bei der Arbeit perfekt lächeln.
Foto: iStock Künstliche Intelligen­z soll sicherstel­len, dass alle bei der Arbeit perfekt lächeln.

Newspapers in German

Newspapers from Austria