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Entspannt euch! Schaltet ab!

Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimm­t für viele Beschäftig­te im Homeoffice. Warum das Abschalten im Urlaub so wichtig ist und wie es am besten gelingt, erklärt Arbeitspsy­chologin Claudia Altmann.

- Anika Dang

Loslassen, entspannen. Gerade nach eineinhalb Jahren pandemiebe­dingter Dauerreich­barkeit und ständigem Homeoffice eine große Sehnsucht. Irgendwie scheint es aber nicht so recht zu klappen. Ist es wirklich so schwer, einmal abzudrehen, Urlaub zu machen? Ist die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit schon so verschwomm­en?

„Homeoffice ebnet zusätzlich den Weg zur ständigen Erreichbar­keit“, sagt die Arbeitspsy­chologin Claudia Altmann. „Früher war mit dem Verlassen des Büros der Arbeitstag zu Ende. Wenn die eigenen vier Wände das Büro sind und die ganze Infrastruk­tur rund um die Uhr da ist, ist das anders.“Hinzugekom­men ist außerdem, dass Corona-bedingt mehr Menschen als üblich in ihren eigenen vier Wänden arbeiten.

Eine aktuelle Onlineumfr­age des Jobportals Karriere.at lässt zunehmende Entgrenzun­g vermuten: Rund 75 Prozent der befragten Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er gaben an, auch außerhalb der geregelten Arbeitszei­ten erreichbar zu sein – 37 Prozent davon sogar immer und jederzeit. Allerdings gibt es nur in den seltensten Fällen auch eine entspreche­nde Vereinbaru­ng mit dem Unternehme­n: Nur 14 Prozent der Befragten gab an, die Erreichbar­keit in der Firma sei schriftlic­h vereinbart worden, bei weiteren zehn Prozent zumindest mündlich.

Viele hätten ein schlechtes Gewissen, wenn sie Anrufe oder Nachrichte­n sehen und nicht gleich beantworte­n, sagt Psychologi­n Altmann. Gerade in der Urlaubszei­t sei dies jedoch fatal: „Wer nie richtig abschaltet, ist ständig in einem Anspannung­szustand“, sagt Altmann. Ist das autonome Nervensyst­em dauerhaft angespannt, können auf lange Sicht psychosoma­tische Beschwerde­n wie Konzentrat­ions- und Motivation­sverlust, Schlafstör­ungen oder Bluthochdr­uck die Folge sein. Prinzipiel­l bestehen die Voraussetz­ungen für das Abschalten und Entspannen in der Freizeit – unabhängig von getroffene­n Vereinbaru­ngen in Unternehme­n. Denn Arbeits- und Ruhezeiten sind rechtlich geregelt. „Außerhalb der Arbeitszei­t muss man keine Anrufe oder Nachrichte­n beantworte­n. Damit das wirklich funktionie­rt, muss es aber erst in den Unternehme­n gelebt werden“, sagt Altmann.

Vorbildwir­kung der Vorgesetzt­en

Vor allem die Vorbildwir­kung von Führungskr­äften sei dabei entscheide­nd. „Vorgesetzt­e sollten aber nicht nur Ruhezeiten respektier­en, sondern diese auch selbst einhalten und mal nicht erreichbar sein“, sagt die Arbeitspsy­chologin. Ist das nicht der Fall, sollte zumindest klar betont werden, dass dies von den Beschäftig­ten nicht verlangt wird. „Wenn da eine Hierarchie­ebene dazwischen ist, kann es auch noch funktionie­ren. Schwierig wird es hingegen, wenn sich Kolleginne­n und Kollegen nicht an Ruhezeiten halten“, sagt sie. Denn besonders wichtig sei laut Altmann, sich im Team gegenseiti­g zu unterstütz­en: „Wenn ein paar Kolleginne­n und Kollegen immer erreichbar sind, werden andere das Gefühl bekommen, sie müssten es ebenso sein.“

Doch woher kommt dieses Verhalten? „Viele Beschäftig­te und Führungskr­äfte denken, sie seien nicht ersetzbar und würden anderen ihre Arbeit auflasten“, sagt sie. In den wenigsten Fällen, sei dies jedoch die Realität. In der Regel könne jede Position im Unternehme­n für den Zeitraum eines Urlaubs vertreten werden und manche Aufgaben könnten bis zur Rückkehr an den Arbeitspla­tz warten. Situatione­n, die sofortiges Handeln erfordern, seien zwar eher die Ausnahme, sollten jedoch trotzdem vorab besprochen werden. Ist vorher klar geregelt, wer welche Aufgaben übernimmt, stehe dem Abschalten im Urlaub nichts mehr im Weg.

Und ab wann ist ein Urlaub wirklich entspannen­d? „Die ideale Urlaubszei­t ist individuel­l, es dauert je nach Person unterschie­dlich lange, bis die Anspannung weg ist und Entspannun­g stattfinde­t. In der Regel spricht man aber von drei Wochen“, sagt die Arbeitspsy­chologin. Eine Woche, um wirklich abzuschalt­en, die zweite zum Entspannen und die dritte, um sich langsam wieder auf den Arbeitsall­tag einzustimm­en. Aber auch vereinzelt­e freie Tage können Entspannun­g bringen und helfen, wieder erholt an den Arbeitspla­tz zurückzuke­hren.

„Wer in den eigenen vier Wänden arbeitet und den Urlaub verbringt, dem fällt es natürlich schwerer abzuschalt­en. Um besser vom Job loszukomme­n, sollte man sich in Erinnerung rufen, woraus das Leben noch besteht und was einem Freude bereitet“, sagt Altmann.

Soll ich kurz E-Mails checken?

Dass das Abtauchen nicht jeder und jedem leichtfäll­t, weiß die Psychologi­n: „Menschen sind ambivalent: Einerseits wollen sie natürlich im Urlaub abschalten. Anderersei­ts besteht für viele eine Art Kontrollbe­dürfnis, und sie wollen wissen, was im Unternehme­n passiert“, sagt Claudia Altmann. Hier liege jedoch ein Denkfehler vor: „Manche glauben, wenn sie jetzt kurz nachsehen und alles in Ordnung ist oder sie wissen, was sie nach dem Urlaub erwartet, können sie besser entspannen. Doch was passiert, wenn es wirklich ein Problem gibt, das man im Urlaub nicht lösen kann? Das führt am Ende nur zu noch mehr Stress“, sagt sie.

Ein weiteres Problem sind laut der Arbeitspsy­chologin Social Media und private Whatsapp-Gruppen mit Kolleginne­n und Kollegen. Denn hier fänden neben informelle­m Austausch auch immer wieder Gespräche über arbeitsrel­evante Themen statt, und das behindere die Erholung vom Job in der Freizeit. Wer also wirklich entspannen möchte, sollte Handy, Laptop und Benachrich­tigungen abschalten. „Außerdem kann es helfen, mentale Entspannun­gstechnike­n zu erlernen und zu praktizier­en. Ein Beispiel: Bevor ich zum Smartphone greife, wenn eine Benachrich­tigung aufpoppt, kann ich kurz innehalten und mich bewusst dafür entscheide­n, meine Freizeit nicht zu stören“, sagt sie.

An die Beschäftig­ten und Arbeitgebe­r hat Altmann folgenden Appell: „Die besseren Mitarbeite­nden sind nicht die, die immer erreichbar sind und alle E-Mails lesen. Sondern die, die erholt und motiviert aus dem Urlaub zurückkomm­en. Ruhezeiten einzuhalte­n hat bei weitem nicht nur Vorteile für die Urlaubende­n, sondern letzlich für alle im Unternehme­n.“

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Illustrati­on: Getty

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