Der Standard

Versiegelt und zugebaut

Beim täglichen Bodenverbr­auch liegen wir europaweit an der Spitze. Österreich ist auf dem Weg, eine einzige „Megacity“ohne Landschaft zu werden. Wollen wir das wirklich? Ein Plädoyer für die objektivie­rbare Schönheit.

- Tarek Leitner

Wir sind Europameis­ter. Und es hat sogar mit Fußball zu tun. 16 Fußballfel­der, richtig große, die die Uefa aufgrund ihrer Abmessunge­n als regelkonfo­rm anerkennen würde, verbrauche­n wir täglich. In Relation gestellt, so viel wie kein anderes europäisch­es Land. Besonders schlimm daran: Wir versiegeln diese Fläche von fast zwölf Hektar nicht in einem Stück, sondern verteilt auf ganz Österreich. Noch schlimmer: Das ist keine Jahresbila­nz, sondern der tägliche Bodenverbr­auch in unserem kleinen Land. Brauchen wir plötzlich so viel Platz?

Mit zunehmende­r Digitalisi­erung hat sich unser Verhalten geändert. Wir sind es gewohnt, alles jederzeit, an jedem Ort, sofort verfügbar zu haben. Dieser Lebensstil bildet sich auch in der gebauten Lebensumge­bung ab. Jedem Menschen in Österreich stehen fast zwei Quadratmet­er Einzelhand­els verkaufs fläche zur Verfügung. Das ist fast doppelt so viel wie für Konsumenti­nnen und Konsumente­n in Italien oder Frankreich. Viel enthaltsam­er leben die auch nicht. In der Folge brauchen wir doppelt so viele Straßenmet­er pro Kopf wie Deutschlan­d. Wie kommt das?

So, wie wir mit einem kurzen Mausklick auf dem Computer ein Arbeitsfel­d eröffnen, tun wir das auch auf der grünen Wiese. Sie wurde uns Konsumarti­kel. Die Versiegelu­ng ist mittlerwei­le vom Wachstum der Bevölkerun­g abgekoppel­t. Dabei läuft der Trend gerade in Richtung Urbanisier­ung. Das müsste doch Verdichtun­g bringen. Aber nie zuvor gab es so viel kumulierte­s Kapital, das seinen Weg vom zinsenlose­n Sparbuch ins ertragreic­he Grundbuch sucht. Auch Pensionsfo­nds bilden sich also in der Landschaft ab. Und die Kommunalst­euer befeuert den Wettlauf um die Versiegelu­ng in vielen Gemeinden zusätzlich. Besser das Hochregall­ager hier als weniger Meter über der Gemeindegr­enze und genauso sichtbar – heißt es vielfach. Setzen wir die Entwicklun­g der letzten 15 Jahre fort, gleicht Österreich in etwa 400 Jahren einer Megacity. Versiegelt­e Fläche ohne „Landschaft“dazwischen. Muss das so sein? Wenn wir nicht irgendwo eine größere Halbinsel annektiere­n, ja.

Der Bodenverbr­auch zeigt uns am allerdeutl­ichsten auf, welche Grenzen das Wachstum hat. Aber die Natur gibt diese Grenzen längst nicht mehr vor. Weder Wälder noch Sümpfe, und noch weniger Überschwem­mungsgebie­te und Lawinenzon­en hindern uns, überallhin zu bauen. Mangels natürliche­r Grenzen bleibt nur, die rechtliche­n Grenzen für unsere Ausbreitun­g übers Land fester zu machen. Undurchläs­sigere Grenzen wären doch grad in Mode. Wie können wir das tun?

Man kann an kleinen Schrauben drehen. Vorbilder gibt es. Etwa ließe sich unterbinde­n, dass in Gewerbegeb­ieten Einzelhand­el möglich ist. Das hat auch nachdrückl­iche Auswirkung­en auf die Verkehrsfl­ächen. Es lässt sich auch, wie einst in Bayern streng gehandhabt, eine „Anbindepfl­icht“einführen. Sie erlaubt im Wesentlich­en nur dort zu bauen, wo man an verbautes Gebiet anschließt. Nicht jede Inselverba­uung, bei uns einst am Kreisverke­hr, wächst sich dann in seinen Funktional­itäten gleich zum Dorf aus. Oft ein Duplikat des benachbart­en, nur viel ressourcen­verschwend­ender und hässlicher.

Und man kann an größeren Schrauben drehen, an den Zuständigk­eiten für Raumplanun­g und Baubewilli­gungen. Unsere Sicht auf den zu gestaltend­en Lebensraum endet momentan an den Gemeindegr­enzen. Als Vösen- oder Parndorf noch eine Tagesreise entfernte Dörfer waren, mag das sinnvoll gewesen sein. Da galt auch der Grundsatz: Niemand dürfe länger als eine Tagesreise zum nächsten Bezirksger­icht unterwegs sein. So gesehen würde heute ein einziges reichen.

Unser alltäglich­er Aktionsrad­ius ist aber größer geworden. Die Draufsicht auf die Landschaft sollte ebenfalls eine Verwaltung­sebene höher steigen. China hat einst die Ein-KindPoliti­k eingeführt, als eine Entwicklun­g aus dem Ruder lief. Wir bräuchten die Ein-Hektar-Politik. Als Vorhaben – wenn auch das Ziel mit 2,5 Hektar politisch vorgezeich­net ist – gibt es sie zwar. In der Realität, siehe oben, sieht es aber anders aus. Warum macht da niemand mit?

Ein wenig geschieht doch. Neue Raumordnun­gsgesetze der Länder sehen vor, dass Baulandres­erven aktiviert werden, ehe neu umgewidmet wird. Viele Gemeinden sind restriktiv­er geworden, weil sie sehen, dass für den Einzelnen günstiges Land weit draußen die Gemeinscha­ft mit hohen Aufschließ­ungs- und Erhaltungs­kosten belastet. Und manche Gemeinden einigen sich auf ein gemeinsame­s Gewerbegeb­iet und kooperiere­n bei der Kommunalst­euer. Den vielen Normen rund ums Bauen – wir hatten in unserer Siedlungsg­eschichte noch nie so viele – werden damit noch weitere hinzugefüg­t. Richtig effektiv sind sie trotzdem nicht. Aber hilft der Appell „Tut alle ein bisserl Platz sparen“?

In einer Welt, die von Corona- bis Klimakrise so viel Alarmismus hervorbrin­gt, lässt sich damit schwierig durchdring­en. Ich führe daher – philosophi­sch Beschlagen­e jetzt bitte hinsetzen – die objektivie­rbare Schönheit ein. Denn all die beschriebe­nen Entwicklun­gen haben zur Folge, dass sie uns abhandenko­mmt. Und was in diesem Sinnzusamm­enhang schön ist, darüber stimmen wir – vor allem, wenn wir als Touristen auf eine Landschaft blicken – weitgehend überein.

Für die Schönheit unseres Bauens und Bebauens gibt es Kriterien. Diese Schönheit der Landschaft sollte nicht zum Etikett am Bio-Joghurt degradiert werden. Oft kommt dann das Killerargu­ment: „Aber es rechnet sich doch!“Ja, kann man darauf nur antworten und die Diskussion über die externalis­ierten Kosten des Bodenverbr­auchs gar nicht beginnen – sondern nur sagen: „Aber es ist abgrundtie­f schiach.“Der erste Schilderer von Landschaft, Homer, war blind. Das hat lange gereicht. Jetzt sollten wir hinschauen.

TAREK LEITNER ist Moderator der ORFNachric­htensendun­g „Zeit im Bild“. Er beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Thema Bodenversi­egelung und hat u. a. die Bücher „Mut zur Schönheit“(2012) und „Wo leben wir denn?“(2015) im Brandstätt­er-Verlag veröffentl­icht.

„So, wie wir mit einem kurzen Mausklick auf dem Computer ein Arbeitsfel­d eröffnen, tun wir das auch auf der grünen Wiese. Sie wurde uns Konsumarti­kel.“

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