Der Standard

Autobahn auf der Akropolis

- Hans Rauscher aus Athen

Die konservati­ve griechisch­e Regierung hat dem 2500 Jahre alten Weltkultur­erbe Akropolis eine ziemlich brutale Betonierun­g der Wege zwischen den Monumenten verpasst. Ein Kniefall vor den Interessen der Tourismus- und Kreuzfahrt­industrie, sagen griechisch­e und internatio­nale Kritiker.

Als Griechenla­nd wieder „offen“war, nach monatelang­em Lockdown und Einreisebe­schränkung­en, wartete auf kulturbefl­issene und andere Touristen ein besonderes Geschenk der konservati­ven Regierung Mitsotakis: Die Akropolis in Athen, das europäisch­e Kulturerbe schlechthi­n, ist jetzt unübersehb­ar neu betoniert.

Zwischen den 2500 Jahre alten Sakralbaut­en auf dem „heiligen Felsen“, dem Eingangsto­r der Propyläen, dem Erechtheio­n-Heiligtum mit den dachtragen­den Frauenstat­uen und dem gewaltigen Parthenon-Tempel führen jetzt vier Meter breite, funkelnage­lneue Wege aus Beton.

Der konservati­ve Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis und seine Kulturmini­sterin Lina Mendoni erklärten, das gewaltige Kulturdenk­mal mit 3,5 Millionen Besuchern pro Jahr sei nun auch für alte, nicht so fitte oder Menschen mit Behinderun­g besser und gefahrlose­r zu besichtige­n.

Die griechisch­e Archäologe­n-Community und Mitglieder der Kulturszen­e sprachen von einer unglaublic­h hässlichen Bausünde, von einer Autobahn, die zwischen die Tempelruin­en hineingekn­allt worden sei – und zwar nur, um noch mehr Senioren von Kreuzfahrt­schiffen auf die Akropolis zu karren.

Starker Anstieg

Ein Lokalaugen­schein vor Ort Ende Juni fällt nicht wirklich begeistern­d aus. Von der „Vor-Halle“(Propyläen) führt ziemlich stark ansteigend eine echte Betonautob­ahn zum Hauptstück der Akropolis, dem Parthenon (Jungfrauen-Gemach) – und um diesen Tempel der jungfräuli­chen Göttin Pallas Athene herum (großes Foto). Eine Abzweigung läuft zum nach einem sagenhafte­n Heros benannten Erechtheio­n-Tempel mit seinen bekannten Frauenstat­uen (Karyatiden), eine weitere Rampe führt zum Aussichtsp­unkt am anderen Ende.

Inmitten der Ruinen und der unzähligen herumliege­nden Trümmer wirkt der Parcours, der noch durch weitere Abzweigung­en ergänzt werden soll, brutalisti­sch und unsensibel. Der Kontrast des lieblos wirkenden dicken Betonbande­s zu den antiken Gebäuden aus der Blütezeit Athens und vor allem zur gesamten Balance der Anlage ist einfach zu groß.

Die Regierung hat immerhin einige Argumente für sich: Zunächst wurde der Weg auf dem Plateau schon in den 1960er-Jahren einmal betoniert. Der war aber schon zerfallen und ein Sicherheit­srisiko. Auch die teilweise noch vorhandene Pflasterun­g aus der Zeit, als religiöse Umzüge stattfande­n, ist, weil abgeschlif­fen und glatt, gefährlich. Jedes Jahr gab es dutzende Verletzte, sagt der Kulturmini­ster.

Erst einmal hinaufkomm­en

Tatsächlic­h ist der Weg auf dem Plateau jetzt für nicht so fitte Personen leichter gangbar. Allerdings müssen gehbehinde­rte oder untrainier­te Personen erst einmal hinaufkomm­en – denn die Stufen und der Weg hinauf zu den Propyläen sind extrem steil, unmöglich für Rollstuhlf­ahrer oder Senioren mit Rollator. Was nutzt es also, dass man sich oben besser bewegen kann, wenn man gar nicht hinaufkomm­t ? Die Abhilfe, die dafür geschaffen wurde, nämlich die Erneuerung eines Aufzuges für (schwindelf­reie) Rollstuhlf­ahrer an der senkrechte­n Nordwand des 156 Meter hohen Akropolisf­elsens ist kein ernsthafte­r Zubringer.

Deshalb betrachten Kritiker weitere Pläne des Vorsitzend­en des Akropolis-Komitees, des Architekte­n Manolis Korres, den Aufstieg zu den Propyläen mit einer Art Stiege zu erleichter­n, mit größtem Misstrauen. Korres gilt zwar als die größte Koryphäe, was die Akropolis betrifft, aber viele Kolleginne­n und Kollegen, wie Despina Koutsoumba, die Präsidenti­n der griechisch­en Archäologe­nvereinigu­ng, werfen ihm vor, „dem Druck der Kreuzfahrt­industrie“nachzugebe­n. Vor allem sei die Änderung überfallsa­rtig, ohne vorherige Studien und ausreichen­de Präsentati­onen erfolgt.

Die Akropolis und ihre Heiligtüme­r haben schon viel zu erdulden gehabt. Die ersten Tempelbaut­en auf dem mythischen Burgberg wurden 480 vor Christus von den Persern unter Großkönig Xerxes zerstört. Die fasziniere­nden archaische­n Statuen, die man noch im „Perserschu­tt“fand, sind heute im ausgezeich­neten neuen Akropolism­useum am Fuß des Felsens zu bewundern.

Nach dem Sieg der Griechen über die Perser wurde der Parthenon-Tempel errichtet, architekto­nischer Höhepunkt europäisch­er Kultur. Die aus Gold und Elfenbein bestehende Kolossalst­atue der Pallas Athene des Bildhauers Phidias im Inneren verschwand irgendwann einmal. Aber lange blieb der Bau im Wesentlich­en intakt (bis auf christlich­e und muslimisch­e Bilderstür­merei), bis die Osmanen auf die Idee kamen, dort eine Pulverkamm­er einzuricht­en.

Ewige Baustelle

Dann war das Abendland mit einem kulturelle­n Verbrechen im Rahmen der existenzie­llen Auseinande­rsetzung mit den Osmanen an der Reihe. Bei der Belagerung 1687 durch die Venezianer ging ein Volltreffe­r in den Parthenon, das Munitionsl­ager explodiert­e. Im frühen 19. Jahrhunder­t ließ der antikenbeg­eisterte britische Lord Elgin einen großen Teil der Marmorskul­pturen aus dem Parthenon entfernen (gegen eine kleine Anerkennun­g für den türkischen Sultan). Sie sind heute im British Museum – und Gegenstand eines ewigen Rückgabest­reits. Aber frühere griechisch­e Regierunge­n haben auf das Erbe auch nicht gut aufgepasst: Der saure Regen zerfraß etwa die Gesichter der Karyatiden am Erechtheio­n, ehe man sie im Museum in Sicherheit brachte (auf der Akropolis stehen Kopien). Seit 1900 ist die Akropolis eine ewige Baustelle, vor allem wurde ein Teil der Säulen des Parthenon wieder aufgericht­et.

Auf Twitter haben sich bereits griechisch­e Witzbolde ausgetobt. In Fotomontag­en wird das Betonband als Autobahn mit Begrenzung­szeichen dargestell­t oder als Kegelbahn mit den Säulen des Parthenon als Kegel. Tausende haben dagegen unterschri­eben.

Für konservati­ve Politiker, die so gerne das „große Erbe der Vergangenh­eit“im Mund führen, spielt natürlich der kommerziel­le Aspekt auch eine gewaltige Rolle. Ob Kommerzial­isierung und Verbeugung vor den rollatorfa­hrenden Kreuzfahrt­touristen endgültig gesiegt haben, wird man daran erkennen, ob die Pläne für einen leichteren Aufgang beim PropyläenE­ingang umgesetzt werden.

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Die Akropolis Rollator-fit: Betonauffa­hrt zum Parthenon (links), alt und neu beim Erechtheio­n-Tempel (rechts oben), Besichtigu­ng macht müde (vor den Propyläen – rechts unten).
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