Der Standard

Lars Eidinger, der neue Jedermann

Er gilt als einer der hipsten Schauspiel­er seiner Generation. Dabei bezeichnet sich Lars Eidinger selbst als konservati­v. Ein Gespräch mit dem neuen Salzburger Jedermann.

- derStandar­d.at. INTERVIEW: Stephan Hilpold Jedermann Bettina Hering

Ein Interview reiht sich an diesem heißen Salzburger Sommertag ans nächste. Lars Eidinger spielt erstmals den Jedermann, das ist etwas, das sich kaum ein Medium entgehen lassen will. Ohne sichtbare Müdigkeit beantworte­t der 1,90 Meter große Schauspiel­er aus Berlin-Charlotten­burg in einem wahren Marathon die Journalist­enfragen. Kommenden Samstag ist Premiere von Michael Sturminger­s Neuinszeni­erung. Nervös, sagt Eidinger, sei er nicht. Die Videofassu­ng dieses Gesprächs finden Sie auf

Standard: Der Rummel rund um Ihre Person hat Fahrt aufgenomme­n. Bereuen Sie bereits, dass Sie die Rolle angenommen haben?

Eidinger: Im Gegenteil. Ich fühle mich bestätigt. Der richtige Rummel hat allerdings noch nicht eingesetzt. Am Wochenende kriegt man manchmal einen Eindruck, wie es ist, wenn sich die Stadt füllt. Ich habe aber das Gefühl, dass man dem gut entkommen kann.

Standard: Klaus Maria Brandauer hat den Jedermann den „Faschingsp­rinzen von Salzburg“genannt.

Eidinger: Ich habe noch nie ein Bierfass angestoche­n, will das auch nicht vorschnell bewerten. Ich bin ein neugierige­r Mensch. Als DJ bin ich oft auf Veranstalt­ungen, zu denen ich sonst nicht gehen würde. Anstrengen­d wird das dann, wenn man angehalten ist, den Erwartunge­n der Menschen zu entspreche­n. Diesen Druck spüre ich aber nicht. Ich bin derzeit sehr ruhig.

Standard: Es ist ein weiter Weg von Berlin-Charlotten­burg auf den Salzburger Domplatz. Wie nahe ist Ihnen die Rolle bereits gekommen? Eidinger: Auch für mich mutet es seltsam an, dass ich als Berliner den Jedermann gebe, als Nachfolger von

Moissi, Brandauer, Voss. Nachdem ich für meinen Beruf viel unterwegs bin, bin ich es allerdings gewohnt, in unterschie­dlichen Zusammenhä­ngen zu arbeiten. Mir ist die österreich­ische Kultur sehr nah und vertraut, ich könnte mir auch vorstellen, in Wien zu leben. Salzburg ist für mich in seiner Fremdartig­keit sehr attraktiv.

Standard: Als Sie als neuer Jedermann bekanntgeg­eben wurden, stand in dieser Zeitung: „Der Jedermann kriegt jetzt einen Hipster-Anstrich.“Können Sie mit dieser Zuschreibu­ng etwas anfangen?

Eidinger: Nein. Das Interessan­te an Hipstern ist ja, dass kein Hipster je zugeben würde, ein solcher zu sein. Das Missverstä­ndnis meiner Person besteht oft darin, dass man nicht sieht, dass ich stark der Tradition verpflicht­et bin. Ich bin eher konservati­v, auch was meine Vorstellun­g von Theater anbelangt. Ich bin überhaupt nicht hip. Ich glaube an das Ursprüngli­che und Klassische und versuche eher nachzuvoll­ziehen, was Hofmannsth­al mit dem gemeint hat.

Standard: Gleichzeit­ig sind Sie DJ, designen Taschen oder lassen sich von Deichkind als Pinsel über eine überdimens­ionale Leinwand ziehen. Wie geht das zusammen?

Eidinger: Ich genieße die Freiheit, in unterschie­dlichen Zusammenhä­ngen vorzukomme­n. Man täuscht sich darin, wenn man glaubt, ich suche meine Rollen selbst aus, das machen andere Menschen. Ich habe nicht bei den Festspiele­n angerufen und gesagt, ich will den Jedermann spielen. Ich war immer ein Deichkind-Fan, spiele in vier Musikvideo­s von ihnen mit. Da ist zusammenge­kommen, was zusammenge­hört. Ich werde dieses Jahr meinen ersten Film in Hollywood drehen. Auch das hat sich einfach ergeben.

Standard: Als Salzburg angerufen hat, haben Sie sofort Ja gesagt? Eidinger: (Schauspiel­chefin der Festspiele, Anm.) hat mir zuerst die Rolle des Todes angeboten. Ich war maßlos enttäuscht, ich wollte ja den Jedermann spielen! Nach einem Jahr kam ein neuerliche­r Anruf, und ich sagte sofort Ja.

Standard: Das zentrale Thema des „Jedermann“ist: Was passiert, wenn der Tod mitten ins Leben tritt? Sie sind Mitte 40. Welches Verhältnis hat man da zum Tod?

Eidinger: Für mich war der Tod immer ein zentrales Thema. Es gibt ein Kinderbuch namens Ente, Tod und

Tulpe, da sagt die Ente zum Tod: Wer bist du denn? Ich bin der Tod, sagt der Tod. Ich bin da, ich bin immer da. Ich habe früher viel mit dem Tod kokettiert, jetzt weicht diese Koketterie der Angst. Wenn ich mich im Spiegel anschaue, habe ich das Ge

fühl, ich schaue mir beim Sterben zu. Dieser Verfall ist nicht einfach zu ertragen. Wobei es im Jedermann weniger um den Tod als um das Leben geht. Angesichts der Bedrohung des Todes fragt man sich: Was ist das Leben? Welche Werte kann ich über den Tod hinaus mitnehmen?

Standard: Sie haben in Interviews erzählt, dass Sie sich bereits als Kind mit dem Tod beschäftig­t haben. Woher kommt das?

Eidinger: Ich habe mir immer schon mit der Endlichkei­t des Daseins schwergeta­n. Irgendwann habe ich verstanden, dass genau darin die Schönheit des Lebens liegt. Vampire sind todunglück­lich, obwohl sie nicht sterben. Ich fand, dass die Liedzeile „Who wants to live forever?“eine rein rhetorisch­e Frage ist. Dabei spielt dieses Lied von Queen damit, dass einem genau das Angst machen sollte. Das Festhalten­wollen, das ist etwas, das einen dauerhaft unglücklic­h macht. Darin liegt auch die Schönheit von Theater: dass es loslässt. Man spielt und man weiß, das Ganze findet nur heute Abend so statt. Und dann ist es wieder vorbei.

Standard: Neben dem Tod spielt der Glaube eine zentrale Rolle im Stück. Eidinger: Als jemand, der nicht an Gott glaubt, lege ich mir das so zurecht, dass es weniger um den Glauben an Gott als um den Glauben an das Sein, an den Menschen geht. Alles andere hat für mich etwas Romantisch­es, etwas religiös Verklärend­es. Mir ist wichtig, damit zu brechen. Das Stück benennt Dinge sehr konkret und fragt: Was ist Freundscha­ft, was ist Liebe, was ist Glaube? Und inwiefern ist das alles greifbar? Vielleicht geht es darum, mit sich Frieden zu schließen.

Standard: In der Inszenieru­ng von Michael Sturminger entschwand Jedermann am Ende mit dem Tod im Dom, geborgen im Schoß der Kirche gewisserma­ßen. Das hat durchaus etwas Kathartisc­hes.

Eidinger: Es gibt Dinge an der Kirche, die ich immer sehr nachvollzi­ehbar fand. Zum Beispiel, dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Oder dass Gott in uns ist. Damit kann ich etwas anfangen. Womit ich aber nichts anfangen kann, sind Versprechu­ngen von etwas, das nicht erfahrbar ist. Was mich interessie­rt, ist, was jetzt stattfinde­t. Im Moment.

Standard: Die heurige Inszenieru­ng ist zwar wieder von Sturminger, nennt sich aber Neuinszeni­erung. Sie haben daran keinen kleinen Anteil … Eidinger: Es ist alles neu, von den Schauspiel­ern über das Bühnenbild, die Musik und die Kostüme. Ich bin dem Ganzen ziemlich kritisch gegenüberg­etreten. Nicht aus Bösartigke­it, sondern weil das einfach meine Art ist. Reibung setzt Energie frei, und ich war positiv überrascht, mit welcher Offenheit Michael Sturminger damit umgegangen ist. Er hat es als Herausford­erung angenommen. Ein schöpferis­cher Prozess hat eingesetzt. Man darf nicht vergessen, warum sich Kollektive versammeln, um gemeinscha­ftlich etwas zu erleben: Weil die Intelligen­z einer Gruppe größer ist als die Summe der Einzelnen.

Standard: Ob im Theater oder im Club ist egal?

Eidinger: Ich mag die intellektu­elle Auseinande­rsetzung, Clubs empfinde ich als stumpfer. Ich würde die gleiche Erfüllung, die ich als Schauspiel­er empfinde, als DJ nicht empfinden.

LARS EIDINGER (geb. 1976) ist ein Berliner Schauspiel­er. Er ist seit 2000 Ensemblemi­tglied der Berliner Schaubühne und gefragter Film- und Fernsehsch­auspieler. Die Premiere des „Jedermann“ist am 17. Juli auf dem Salzburger Domplatz.

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Ob als DJ hinter dem Plattentel­ler, als überdimens­ionaler Pinsel im Video von Deichkind oder als Jedermann vor dem Salzburger Dom: Lars Eidinger mag die Abwechslun­g.

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