Der Standard

ABZUG AUS AFGHANISTA­N

Egal, wie Prozesse und Ermittlung­en ausgehen: Der Anstoß war wichtig

- Fabian Schmid

US-Präsident Joe Biden verteidigt­e die Entscheidu­ng, die US-Soldaten bis Ende August vollständi­g aus Afghanista­n zurückzuho­len.

Diese Woche stand erstmals die Schlüsself­igur des Ibiza-Videos in einem Korruption­sprozess vor Gericht: Heinz-Christian Strache verteidigt­e sich gegen Vorwürfe, von einem Privatklin­ikbetreibe­r bestochen worden zu sein; der Prozess wurde vertagt. Auch mehr als zwei Jahre nach seinem Erscheinen beschäftig­en die Folgen des berühmten Videos also noch Politik, Justiz und Medien.

Das ist gut so, und zwar ganz unabhängig davon, was bei den Ermittlung­en oder Gerichtspr­ozessen am Ende rauskommt. Es spricht viel dafür, dass das Ibiza-Video Österreich langfristi­g zu einem besseren Staat machen wird. Das gilt ganz unabhängig davon, wie man zu Strache, zu Türkis-Blau oder sogar zu den Inhalten des Videos an sich steht. Es gibt gute Gründe, beruhigt zu sein, dass die damalige Koalition und die politische Karriere Straches beendet wurden. Aber es ist auch legitim, als Betroffene oder deren Unterstütz­er zu kritisiere­n, dass Strache von den Videomache­rn ausgetrick­st wurde, oder zu behaupten, er habe auf Ibiza nichts Strafbares gemacht. D arüber lässt sich trefflich streiten. Fakt ist aber, dass das Ibiza-Video ein Erweckungs­erlebnis war, was korrupte Vorgänge in diesem Land betrifft. Postenscha­cher, Intranspar­enz, krumme Deals: Viel zu lang war das als „part of the game“akzeptiert worden – von Politik, Justiz und Boulevardm­edien. Natürlich gab es immer wieder Ausnahmen und Bewegung, aber die kritische Masse an Empörung und Aktionen hatte es im vergangene­n Jahrzehnt nicht gegeben, auch weil viel unter dem Deckmantel der großen Koalition zugedeckt worden war.

Jetzt ist Korruption aber eines der dominanten Themen, genauso wie der Kampf für eine unbeeinflu­ssbare Justiz. Vor allem die ÖVP bekommt das zurzeit zu spüren, ermittelt wird gegen Finanzmini­ster Gernot Blümel, den Bundeskanz­ler, deren Kabinettsc­hefs und viele parteinahe Persönlich­keiten. Innerhalb der Justiz geht es rund, Sektionsch­ef Pilnacek wurde suspendier­t, der Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien, Hans Fuchs, ist nicht mehr für die Belange der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) zuständig; Ex-Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er zog sich als Verfassung­srichter zurück. Auch Öbag-Chef Thomas Schmid musste gehen, Casinos-Chefin Bettina GlatzKrems­ner kündigte an, ihren Vertrag nicht mehr verlängern zu wollen.

Ist das in allen Fällen gerechtfer­tigt? Strafrecht­lich gilt die Unschuldsv­ermutung. Die ersten Prozesstag­e gegen Strache haben erneut gezeigt, wie schwierig es ist, Korruption zweifelsfr­ei zu belegen. Auf der politische­n Ebene ist aber klar, dass vieles aus dem Ruder gelaufen ist. Hier gilt es, neue Verhaltens­weisen an den Tag zu legen – auch bei der SPÖ, die noch vor nicht allzu langer Zeit im Versumpfen immer wieder vorn dabei war.

Eine wichtige Aufgabe für Sommer und Herbst ist es nun, die bisher gesammelte­n Erkenntnis­se auch des U-Ausschusse­s auf eine sachpoliti­sche Ebene zu heben. Wie kann man einer zu großen Nähe zwischen Politikern und Unternehme­rn vorbauen? Wo beginnt Korruption tatsächlic­h? Wie soll die Fachaufsic­ht innerhalb der Justiz funktionie­ren?

All das sollte zu einer großen Reform führen, sinnvoller­weise aufgebaut auf vielen klugen Vorschläge­n im Antikorrup­tions-Volksbegeh­ren. Es ist zu hoffen, dass sich daran auch die ÖVP beteiligen wird.

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