Der Standard

Die Netzwerke des Wien-Attentäter­s

Über ein halbes Jahr nach dem Terroransc­hlag in Wien wurden jetzt in Deutschlan­d erneut Hausdurchs­uchungen bei zwei Bekannten des Attentäter­s durchgefüh­rt. In Wien sitzen derweil noch sieben Verdächtig­e in U-Haft.

- Colette M. Schmidt

Am 2. November 2020 sind zwei junge Männer in Deutschlan­d damit beschäftig­t, fieberhaft ihre gesamte Kommunikat­ion mit einem gewissen K. F. am Handy und auf Social-MediaProfi­len zu löschen. Es ist jener Tag, an dem K. F. mit einem Sturmgeweh­r und einer Pistole in der Wiener Innenstadt vier Menschen töten und über 20 teils schwer verletzen wird. Wird. Denn als die Män- ner in Deutschlan­d bereits damit beginnen, ihre Spuren zu verwischen, ist der brutale Anschlag noch nicht vollzogen. Die Männer dürften also schon vor der Tat gewusst haben, dass an selben Tag etwas passieren wird. Danach wollen sie lieber nicht mehr in Verbindung mit K. F., der in der Nacht des Terroransc­hlags von Spezialein­heiten der Polizei erschossen wird, gebracht werden.

Erneute Hausdurchs­uchungen

Diese Erkenntnis über den genauen Zeitpunkt ihrer Löschungen wirft nun den Verdacht auf, dass sie vom geplanten Anschlag gewusst haben. Das hat über ein halbes Jahr später Folgen. Am 7. Juli 2021 gegen sechs morgens kommt es auf Veranlassu­ng der Generalbun­desanwalts­chaft zu zwei Hausdurchs­uchungen in Kassel und Osnabrück – bei ebendiesen beiden Männern. Die Staatsanwa­ltschaft in Wien und die Generalbun­desanwalts­chaft in Karlsruhe geben sich zu den laufenden Ermittlung­en zugeknöpft.

Fest steht: Die erneuten Hausdurchs­uchungen bei den zwei Männern, einem Deutschen und einem Kosovaren, wurden nicht von den österreich­ischen Behörden angestoßen. Die Wiener Staatsanwa­ltschaft bestätigt dem

STANDARD aber, dass aktuell noch sieben Personen in Verbindung mit dem Anschlag in Untersuchu­ngshaft sitzen. Gegen insgesamt 33 wird ermittelt. Mit den deutschen Behörden gebe es „laufend polizeilic­hen und justi- ziellen Austausch“, heißt es knapp. Von den Hausdurchs­uchungen am Mittwoch sei Wien vorab informiert gewesen.

Die beiden Männer, in deren Wohnungen die besagten Razzien stattfande­n, befinden sich auf freiem Fuß. Es bestehe keine Verdunkelu­ngs

oder Fluchtgefa­hr, so ein Sprecher der Generalbun­desanwalts­chaft. Sichergest­ellte Datenträge­r werden nun analysiert.

Unbekannte waren die beiden für die Behörden aber keinesfall­s. Sie waren schon in der Vergangenh­eit aufgefalle­n. Bereits vor einem Jahr beobachtet­e in Deutschlan­d das Bundeskrim­inalamt ein mögliches terroristi­schen Netzwerk, dessen Mitglieder in Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und Teilen des Westbalkan vermutet wurden.

Zu diesem Netzwerk, das „Löwen des Balkans“genannt wurde, soll auch der 20-jährige Attentäter von Wien gehört haben. Vor einem Jahr, am 16. Juli 2020, wurden er und die beiden Männer, deren Wohnungen nun durchsucht wurden, in Wien von der Polizei observiert – auf Vorschlag der deutschen Kollegen, die von einer Wien- Reise der beiden Männer Wind bekommen hatten. Die deutschen Ermittler hatten erwar- tet, dass ein weiterer einschlägi­g bekannter Deutscher, der damals in Wien lebte, die beiden Wien-„Touristen“an diesem Sommeraben­d vom Flughafen abholen würde. Doch der tauchte nicht auf. Stattdesse­n kam der spätere Attentäter K. F. in Begleitung zweier weiterer Männer.

Beten und treten

Im Observatio­nsbericht vom Juli 2020 werden die beiden deutschen „Zielperson­en“dabei beobachtet, wie sie gleich nach ihrer Ankunft am Flughafen, noch bevor sie die Freunde treffen, ihre Jacken auf dem Boden ausbreiten und sich zum Gebet niederknie­n. Unmittelba­r darauf üben sie „Selbstvert­eidigungsg­riffe und Fußtritte“, so der Bericht.

Danach begrüßt man die anderen drei mit Bruderküss­en. Es geht unter anderem in den Vergnügung­spark des Prater, wo man mit der „Black Mamba“fährt, später übernachte­n die Gäste in der Wohnung des Attentäter­s. Die Observatio­n wird nach dem Besuch von österreich­ischer Seite abgebroche­n.

Dabei war K. F. bekanntlic­h für die österreich­ischen Behörden längst kein Unbekannte­r mehr. Schon im April 2019 stand er vor Gericht, musste sich für seine Mitgliedsc­haft bei der Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“verantwort­en

und wurde zu 22 Monaten unbedingt verurteilt.

Später, als also die Observatio­n längst abgebroche­n war, meldete sich bekanntlic­h ein anderer Nachbarsta­at vergeblich bei den Österreich­ern: die Slowakei, wo K. F. versucht hatte, Munition zu kaufen. Der Hinweis der slowakisch­en Behörden wurde zu viel spät weitergele­itet.

Mit Blick auf diese Ereignisse könnte man den Eindruck gewinnen, Österreich werde nur dann tätig, wenn es von ausländisc­hen Staatsschü­tzern angestoßen werde. Finden es Jihadisten gar besonders „gemütlich“in Österreich?

Das würde Felix Lippe, der am Institut für Rechts- und Kriminalso­ziologie unter anderem zu Extremismu­spräventio­n forscht, so nicht sagen: „Dass es in Österreich so viele ‚foreign fighters‘ (Syrien-Kämpfer, Anm.) gibt, hat historisch­e Gründe“, sagt der Experte, „es konnte sich in Österreich eine kleine Szene nach den Bosnien-Kriegen entwickeln, die bis heute besteht“. K. F. selbst wurde in Österreich geboren, seine Eltern wanderten schon in den 1980ern aus Nordmazedo­nien ein.

Was laut Lippe wichtig wäre, wäre, „nicht nur

jene Männer zu beobachten, die als IS-Kämpfer aus dem Syrienkrie­g zurückgeke­hrt sind, sondern vor allem auch jene, die es probiert haben, aber nicht nach Syrien gekommen sind“.

Aus seiner Erfahrung als Beobachter von Terrorismu­s-Gerichtspr­ozessen sind die Heimkehrer „oft glaubhaft desillusio­niert und sind sogar von dort geflohen“. Diese traumatisc­he Erfahrung fehle jenen, die in Österreich, Deutschlan­d oder auch der Schweiz bleiben.

Vor allem seit der „Islamische Staat“2016 die Order an seine Anhänger in Europa ausgab, „lieber aktiv zu werden in den Län- dern, wo sie leben“, sei die Gefahr gestiegen. Dass die nun beobachtet­en Netzwerke gänz- lich neu sind, glaubt Lippe nicht. Auch wenn die Mitglieder jung seien, seien es seit Jahren dieselben Orte, an denen schon früher von radikalen Predigern Kämpfer rekrutiert worden seien. Auch die Netzwerke des Attentäter­s von Wien deckten sich mit „berüchtigt­en Drehscheib­en“, wie es Lippe und sein Kollege der Universitä­t Luzern, der Soziologe Johannes Saal, in einem ausführlic­hen Text über K. F. für das Combating Terrorism Center at Westpoint (CCT) beschreibe­n. Die beiden Forscher kommen darin zu der Conclusio, dass allein in Österreich rund 100 Jihadisten mit ähnlichem Mindset wie jenem von K. F. leben und sich die Behörden doppelt so stark auf die Aufdeckung von deren Netzwerken, die sich weit über Europa ziehen, konzentrie­ren sollten.

Schweizer Freunde

So etwa im Schweizer Winterthur, wo ebenfalls Bekannte des Attentäter­s von Wien zu finden sind. Die beiden Männer waren auch zwischen 16. und 20. Juli 2020 mit von der Partie, kamen aber nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Auto aus der Schweiz angereist. Die beiden damals 18 und 24 Jahre alten Männer wurden wenige Tage nach dem Anschlag in Wien in Winterthur festgenomm­en.

Doch nicht nur das Netzwerk des Attentäter­s jener Nacht vom 2. November führt unter anderem nach Deutschlan­d.

In München trauern seit der Wiener Terrornach­t zwei Frauen um ihre Tochter bzw. Schwester: Der 24-jährigen Deutschen, die in Wien Kunst studierte und neben dem Studium kellnerte, wurde ihr Job am 2. November zum Verhängnis, als K. F. sie im Gastgarten des Lokals erschoss. Unter anderem wegen der im Juli 2020 abgebroche­nen Observatio­n hat die Mutter des Opfers einen Amtshaftun­gsanspruch gestellt und die Republik Österreich geklagt.

Die Klage wurde schon im März das erste Mal zurückgewi­esen – unter anderem mit der Begründung, dass K. F. an Deradikali­sierungspr­ogrammen teilgenomm­en hatte. Der Wiener Anwalt Norbert Wess, der die Münchner Hinterblie­benen pro bono vertritt, will nicht aufgeben. Schon gar nicht im Lichte der neuerliche­n Hausdurchs­uchungen. Wess ist sich sicher: Der Tod der 24-Jährigen hätte verhindert werden können, hätte man den Mann engmaschig­er kontrollie­rt. Zudem könne man nicht vom Tisch wischen, dass in der Causa „immer noch ein Strafverfa­hren gegen zwei Beamte wegen Amtsmissbr­auchs anhängig ist“, erinnert der Rechtsanwa­lt.

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Foto: Christian Fischer Fragen, die sich die österreich­ische und deutsche Justiz stellen: Wer wusste vom Anschlag? Wer hätte ihn stoppen können?

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