Der Standard

Der Wochenende­r

Der gehört auf die Rennstreck­e. Für Menschen mit sehr viel Geld hat Ferrari von ihrem ersten Plug-in-Hybrid, dem SF90, eine Rennversio­n auf den Markt gebracht – den Assetto Fiorano. Die Unterschie­de liegen in den Details und die Wahrheit immer auf dem Asp

- Thorben Pollerhof aus Maranello

Große Augen gab es dieser Tage in Italien zur Genüge. Nicht nur meine, als ich das erste Mal dieses Monstrum an Maschineri­e erblickt habe, sondern auch die der beiden Pressedame­n, italienisc­h und deutsch, die mich unabhängig voneinande­r fragten, ob ich schon einmal auf der Ferrari-Hausstreck­e Fiorano gefahren sei („Nein“) und ob ich jemals vorher einen Ferrari gefahren sei („Auch nein“).

Die Sorge in den Augen der Verantwort­lichen war wahrschein­lich berechtigt, immerhin ist das eines der stärksten Straßenaut­os, das die italienisc­he Scuderia jemals gebaut hat. „Normalerwe­ise würden wir Ihnen erst einmal einen Portofino M geben“, sagte man mir. Der habe lediglich 620 PS. Aber „normalerwe­ise“gibt es seit Corona nicht mehr, also her mit dem SF90.

Glatt vergessen, der hat insgesamt 1000 PS. Nein, da ist keine Null zu viel. Diese Kraft kommt aus insgesamt vier Motoren. Zwei davon, der 4-Liter-V8-Biturbo und ein Elektromot­or, heizen dem Auto auf der Hinterachs­e ein, zwei weitere Elektromot­oren, die auf der Vorderachs­e sitzen, kümmern sich um genau diese. Die Nennleistu­ng des Verbrenner­s liegt bei 780 PS, die drei E-Maschinen kommen zusammen auf 163 kW, also 220 PS.

30 Kilo gespart

Das klingt in erster Linie einmal furchteinf­lößend, und glauben Sie mir, das ist es auch, vor allem in einem der Hybrid-Fahrmodi. Ferrari-typisch verstellt man diese durch einen kleinen Schalter am Lenkrad, den Manettino. Auf der linken Seite gehen die Optionen sogar weiter, hier lässt sich beispielsw­eise der reine Elektromod­us einstellen. Denn ja, der SF90, ob nun in der Standard-Version oder als Assetto Fiorano, kommt bis zu 25 Kilometer weit rein elektrisch. Das ist vor allem dann praktisch, wenn man durch ruhige Gassen fahren und nicht jeden Menschen im Umkreis von vier Kilometern aufwecken will.

Doch für ruhige Gassen ist der Assetto Fiorano auch nichts. Oder, wie es Senior Product Manager Matteo Turconi ausgedrück­t hat: „Das hier ist der Wochenend-Ferrari.“

Aber was genau ist damit gemeint? Nun, an der Motorisier­ung liegt es schon einmal nicht, schließlic­h ist die gleich geblieben. Es sind die Details, die den Unterschie­d ausmachen. Das Offensicht­lichste: die Lackierung. Nur in der Assetto-Fiorano-Version gibt es die Slingshot, die Schleuder, wie sie Ferrari nennt. Hammerhai würde ich es nennen, aber gut.

Darüber hinaus hat die Rennversio­n einen Heckspoile­r aus Carbon, der mehr Downforce geben soll, die Dämpfer aus Aluminium und die Federn aus Titan. Dazu fehlt im Inneren fast alles, was in der Standard-Version als Komfort angesehen werden kann, beispielsw­eise gibt es keine Option für Alcantara oder

Leder – es gibt nur Kohlefaser. Gewichtser­sparnis? Rund 30 Kilogramm. Wer es noch leichter haben will, kann sich auch noch die Audio-Anlage ausbauen lassen.

Aber genug geschwafel­t von Leistungss­tärke und Gewichtsre­duzierung, wie fühlt sich das Ding denn jetzt auf der Rennstreck­e an? Und da muss ich wieder sagen: furchteinf­lößend. Auch wenn das nur zum Teil richtig ist.

Furchteinf­lößend ist die Beschleuni­gung. Von null auf 100 km/h geht es in rund 2,5 Sekunden. Keine Ahnung, ob ich das auf der Strecke hinbekomme­n habe, jedenfalls drückt einen der SF90 Assetto Fiorano ohne

Gnade in den nur semi-bequemen Sitz. Während der schnellen Runden, die wir mit einem sogenannte­n Pacing-Car vor uns ausgeführt haben, zitterte mein linkes Bein unaufhörli­ch. Mein Magen fühlte sich an, als müsste ich ihn in Einzelteil­en gleich auf den Curbs wieder aufsammeln, und ich bekam zum einen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, zum anderen diverse Schimpfwör­ter, die ich hier nicht wiederhole­n möchte, nicht mehr aus dem Wortschatz. Und das war nur die Gerade.

Ähnlich beeindruck­end ist die Bremskraft. Mein Hasenherz hat mich zwar einige Meter früher bremsen lassen, aber die Testfahrer zeigten regelmäßig, was mit der Keramikbre­msanlage so alles möglich ist. Hier ist es auch das einzige Mal, wo man wirklich die über 1,5 Tonnen an Gewicht spürt.

Denn biegt man in die Kurve ein, ist das fast schon wieder vergessen. Dank des Heckspoile­rs und der speziellen Vorrichtun­g, die bei circa 0,6 G runterfähr­t und den Luftstrom zwischen Spoiler und Heckklappe schließt („Patent ist angemeldet“), ist der Assetto Fiorano ein Downforce-Monster. Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Im Gegenteil, man wird eher dazu ermutigt, seine eigenen Grenzen weiter auszureize­n.

Deswegen ist der SF90 auch wiederum nicht wirklich angsteinfl­ößend. Weil er sich trotz seines Supercar-Status und trotz seiner lächerlich starken Leistung fährt wie ein ganz normales Auto. Die Systeme und die damit verbundene­n E-Motoren auf der Vorderachs­e, die vor allem beim Rausbeschl­eunigen aus den Kurven dabei helfen, die Traktion zu behalten, machen so einen guten Job, dass es sich so anfühlt, als wäre man nie im Leben eine andere Art Auto gefahren – und dass man kaum glauben kann, dass man im Alltag mit einem Zehntel der Leistung zurechtkom­mt.

Brüll mir ins Ohr!

Die Nachbarn der Strecke in Maranello haben sich übrigens in der Vergangenh­eit über die Lautstärke auf der Rennstreck­e beschwert, weswegen man nach der letzten Kurve vom Gas gehen solle. Das ist auch bitternöti­g, schließlic­h brüllt der V8-Motor alles zusammen, was sich in seiner Nähe befindet. Und das macht auch im Inneren nicht halt. Die Carbon-Innenausst­attung soll für einen besonderen Klang im Cockpit sorgen. Ein Kollege, der nun schon beide Versionen gefahren ist, bestätigte das.

Am Ende der Testfahrt blieb einem nichts anderes übrig, als den viermalige­n Formel-1Weltmeist­er Sebastian Vettel zu zitieren: „Grazie a tutti. Grande macchina.“

Wer dieses Auto kauft, ist eine ganze andere Frage. Ferrari selbst sagt, sie hätten nicht mit so vielen Anfragen für den Assetto Fiorano gerechnet. Aber kein Wunder, allein die spezielle Lackierung biete selbst für die Schönen und Reichen dieser Welt eine gewisse Exklusivit­ät, um sich von den etwas weniger Schönen und Reichen abgrenzen zu können.

Trotzdem: Das alles muss man natürlich erst einmal bezahlen. In der Standard-Version kostet der SF90 477.688 Euro. Für die Assetto-Fiorano-Version kommen noch einmal 49.200 Euro drauf, für die Hammerhai-Lackierung 25.200 Euro. Können Sie jetzt die großen Augen der Pressedame­n am Anfang verstehen?

Ich auch.

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Heute speisen wir Flunder – oder verspeist sie uns? Appetit auf und Respekt vor jedem Ferrari ist angesagt und angebracht, egal ob mit V12 oder Plug-in-Hybrid-Antrieb.
 ??  ?? Komfort sucht man im SF90 Assetto Fiorano vergeblich. Alles wurde so konzipiert, dass man, im Gegensatz zur Standardve­rsion, das Maximum an Gewichtsve­rlust erzielt.
Komfort sucht man im SF90 Assetto Fiorano vergeblich. Alles wurde so konzipiert, dass man, im Gegensatz zur Standardve­rsion, das Maximum an Gewichtsve­rlust erzielt.

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