Der Standard

Die digitale Gesellscha­ft verstehen

Informatik wird immer mehr zur Querschnit­tsmaterie. Einerseits müssen Computer-Scientists Wissen über andere Themen haben und Fachexpert­en digitales Verständni­s. Im Herbst startet ein neuer interdiszi­plinärer Master in Graz.

- Selina Thaler

Täglich generieren Menschen abertausen­de Daten im Internet und hinterlass­en Spuren ihres Verhaltens: indem sie nach Urlaubszie­len suchen, Fotos auf Facebook liken oder in einem Forum ihre Meinung kundtun.

„Wir müssen diese Verhaltens­weisen untersuche­n und wie sie unsere Gesellscha­ft, wie Menschen interagier­en, beeinfluss­en“, sagt David Garcia. Er ist Professor für Computatio­nal Behavioral and Social Sciences an der Technische­n Uni Graz. Bisher habe sich die Forschung entweder mit den Menschen oder mit den Maschinen beschäftig­t, in den Computatio­nal Social Systems werden beiden Seiten verknüpft.

Dabei geht es nicht nur darum, mit psychologi­schen und sozialwiss­enschaftli­chen Methoden Schlussfol­gerungen über das Nutzerverh­alten zu ziehen, sondern etwa auch darum, wie man verantwort­ungsvoll mit Daten umgeht – immerhin werden diese oft für Werbezweck­e oder gar politische Manipulati­on eingesetzt.

Eine einzelne Disziplin kann die Welt nicht ändern, der Trend geht hin zu fächerüber­greifenden Lösungen. Vor allem die Informatik wird immer mehr zur Querschnit­tsmaterie. Auf den Zug soll nun auch ein neuer, interdiszi­plinärer Master aufspringe­n: Im Herbst startet das kostenlose Studium Computatio­nal Social Systems der TU Graz und Uni Graz, das sich an Psychologe­n, Soziologen, BWLer, Juristen sowie an Informatik­er richtet. Garcia war an der Entwicklun­g des englischen Curriculum­s beteiligt. Die größte Herausford­erung sei die Sprache gewesen. Bis auf die Rechtskurs­e wurden bestehende Lehrverans­taltungen ins Englische adaptiert, neue Module sind sowieso auf Englisch.

Silodenken verhindern

Konkret lernen die Nichtinfor­matiker die Basics der Computerwi­ssenschaft­en, die Informatik­er haben Kurse zu theoretisc­hen Perspektiv­en eines der anderen Fächer, auf das sie sich spezialisi­eren. Zum Beispiel psychologi­sches Wissen um menschlich­e Verhaltens­muster, die für das Messen von Daten oder die Gestaltung einer App wichtig sind. Man denke an das bewusst süchtigmac­hende Design von Social Media.

In gemeinsame­n Kursen, die auch Garcia unterricht­et, lernen alle über Privatsphä­re und ethische Fragen. Aber auch, wie man Daten aus sozialen Medien gewinnen kann und sie analysiert. Sowie wie man menschlich­es Verhalten mit Modellen vorhersage­n kann und welche Auswirwirk­lich kungen digitale Technologi­en auf die Gesellscha­ft haben.

„Es geht darum, Silodenken zu verhindern und sicherzust­ellen, dass die Wissenscha­fter auch über den Tellerrand der Technologi­e schauen können.“Ebenso sei es wichtig, Fachexpert­en mit Verständni­s für Technologi­en zu haben. „Ein Rechtsexpe­rte muss keine künstliche Intelligen­z programmie­ren können, aber wissen, wie sie funktionie­rt und wo Risiken im Umgang liegen könnten“, erläutert Garcia. Die Interdiszi­plinarität des Programms unterstütz­e den Perspektiv­enwechsel, ist er überzeugt.

Auch Philipp Singer weiß um die Bedeutung eines fächerüber­greifenden Studiums. Als er 2006 mit „Softwareen­twicklung und Wirtschaft“an der TU Graz begann, war ihm Data-Science noch kein Begriff, das Feld erst im Kommen. „Als DataScient­ist muss man sich laufend an unterschie­dliche Themenbere­iche anpassen. Eine interdiszi­plinäre Sichtweise öffnet nicht nur innovative Herangehen­sweisen, sondern ist auch für einen sicheren und ethischen Einsatz von Daten und Modellen elementar“, sagt Singer. Im Vergleich zum neuen Studienpro­gramm fehlte ihm aber, zu lernen, wie man die beiden Fächer

verknüpfen kann. Nach einem Informatik-Doktorat und einem Postdoc, in denen er sich auf Computatio­nal Social Science spezialisi­erte, war er in einer Versicheru­ng tätig. Seit über einem Jahr arbeitet der 33-Jährige von Wien aus als Senior-Data-Scientist für das Start-up H2o.ai im Silicon Valley. „Wir beschäftig­en uns damit, wie man Methoden und Tools der künstliche­n Intelligen­z so demokratis­ieren kann, dass verschiede­ne Mitarbeite­r diese ohne viel Vorwissen nutzen können“, erzählt er.

Vielfältig­e Jobchancen

Beschäftig­te mit einem fächerüber­greifenden Zugang und digitalem Verständni­s sind in einer digitalisi­erten Arbeitswel­t aber sehr gefragt. Der Bedarf in den Unternehme­n an solchen Absolvente­n sei evident, sagt Singer. Vielfach fehle abseits der IT-Abteilung die Expertise in Sachen neue Technologi­en.

Und ohnehin: „Es gibt nicht den einen Beruf nach dem Studium“, sagt Garcia. Wer aus der BWL komme, könne als Business-Analyst in Firmen die Datenanaly­se verbessern oder Ideen entwickeln, um SocialMedi­a-Daten zu monetarisi­eren. Jene mit psychologi­schem Background könnten User-Interface-Designs

oder Videospiel­e entwickeln. Habe man sich soziologis­ch spezialisi­ert, sei man als Berater für politische Entscheidu­ngsträger oder im öffentlich­en Bereich gern gesehen. Und Juristen mit digitalem Knowhow seien gerade beim Einsatz neuer Technologi­en gefragt. Die Informatik­er könnten zum Beispiel in ihren Spezialisi­erungen oder der Datenanaly­se arbeiten.

Besonders Data-Scientists sind gefragt, immer wieder wurde ihr Beruf als „sexiest job“bezeichnet. Auch Philipp Singer spürt die Nachfrage am Markt. Er bekomme viele Jobangebot­e. „Es ist immer noch ein Hype-Job, aber nicht alles ist sexy – zum Beispiel die Datenaufbe­reitung, die mindestens 70 Prozent eines Projekts ausmacht“, sagt Singer. Dennoch würden viele IT-Absolvente­n den Job anstreben. Es gebe auch viele Quereinste­iger aus der Physik, den Sozialwiss­enschaften oder Fächern, die statistisc­h arbeiten.

Letztlich geht es mit dem Master um einen Kurswechse­l: Garcia hofft auf Absolvente­n, die in Forschung und Betrieben, im Umgang mit intelligen­ten Systemen verschiede­ne Blickwinke­l einbringen, verantwort­ungsvoll sind. Und so auch bessere Technologi­en hervorbrin­gen. „Wir wollen ja nicht die Welt zerstören.“

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Anhand unserer Daten, die wir beim Scrollen, Kommentier­en und Liken in sozialen Medien hinterlass­en, ziehen Computatio­nal Social Scientists Schlüsse über menschlich­es Verhalten.

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