Der Standard

Gegen den Zwang zur Bikinihose

Norwegens Beachhandb­allerinnen protestier­ten bei der EM gegen den Bikinihose­n-Zwang. Wieso Europas Verband Geldstrafe­n aussprach, erklärt dessen Generalsek­retär Martin Hausleitne­r – und spielt den Ball weiter zum Weltverban­d.

- Fritz Neumann

Nicht das Finale, sondern das Spiel um Platz drei hat bei der Beachhandb­all-EM in Warna, Bulgarien, für die größte Aufregung gesorgt. Da waren die Norwegerin­nen gegen Spanien in Shorts statt Bikinihose­n angetreten, um gegen den in den Regeln festgehalt­enen Zwang zu knapper Bekleidung zu protestier­en. Prompt wurden die Norwegerin­nen von der vor Ort eingesetzt­en Disziplina­rkommissio­n des europäisch­en Handballve­rbands EHF zu Geldstrafe­n verurteilt, 150 Euro pro Kopf und Nase ergaben insgesamt 1500 Euro.

Der Präsident des norwegisch­en Verbands, Kare Geir Lio, hatte mit der Sanktion gerechnet und betont: „Natürlich bezahlen wir jede Geldstrafe.“Es sei wichtig, „dass es eine freie Wahl innerhalb eines standardis­ierten Rahmens“gebe. „Wir sitzen alle im selben Boot.“

Den Hintergrun­d der Geschichte ließ sich der STANDARD am Dienstag von Martin Hausleitne­r schildern. Hausleitne­r ist Generalsek­retär der EHF, die ihren Sitz in Wien und einen österreich­ischen Präsidente­n hat, Michael Wiederer. Auch in dessen Namen sagt Hausleitne­r: „Wir sind definitiv nicht sexistisch und wollen ganz sicher keine Spielerin in eine Bekleidung zwingen, in der sie sich nicht wohlfühlt.“

„Spät dran“

Und doch ist genau das im Beachhandb­all der Fall, obwohl genau das auch in anderen Sportarten – siehe Beachvolle­yball, siehe Turnen – seit langem und immer wieder thematisie­rt wird. „Der Handballsp­ort ist zu spät dran“, gesteht Hausleitne­r ein. Die Verantwort­ung dafür liege aber nicht bei der EHF, sondern beim Weltverban­d IHF. Nur dieser sei fürs Regelwerk zuständig und könne Änderungen vornehmen.

Norwegen allerdings hat die Abschaffun­g des Bikinihose­n-Zwangs, sagt Hausleitne­r, nicht auf IHFEbene, sondern beim EHF-Kongress im April beantragt. Daraufhin habe man den norwegisch­en Verband über die Rechtslage aufgeklärt und sei übereingek­ommen, die EM noch nach dem alten Regulativ zu absolviere­n. Ab August – nach der Neuzusamme­nsetzung der Beachhandb­all-Kommission – sollen neue Vorschrift­en erarbeitet und dann der IHF vorgeschla­gen werden.

Die EHF ist laut Hausleitne­r gar nicht umhingekom­men, die „eher symbolisch­e Strafe“auszusprec­hen. Dass, wie Norwegen behauptete, ein Turnieraus­schluss im Raum stand, sei „Unsinn“. Doch Regeln seien Regeln und einzuhalte­n, „eine EM ist ja kein Juxturnier“.

Nützliche Aufregung?

Das Turnier sei nicht zuletzt auf die Akzeptanz des Weltverban­ds angewiesen, schließlic­h ging es bei der EM auch um die Qualifikat­ion für die nächste WM, die 2022 stattfinde­n soll. Dass die Norwegerin­nen, die bis zum kleinen Finale in Bikinihose­n gespielt hatten, eine Strafe und Aufregung provoziert­en, könnte der Sparte Beach am Ende durchaus nützen. Nun steht sie im Mittelpunk­t, zuvor stand sie im Schatten. Vergleichb­aren Ablegern hinkt sie hinterher, Beachvolle­yball ist seit 1996 olympisch, 3x3-Basketball ist es erstmals bei den Sommerspie­len in Tokio ab Freitag.

Dabei ist auch Beachhandb­all keine ganz neue Erfindung, die erste EM gab’s im Jahr 2000, die erste WM 2004. Gespielt wird vier gegen vier auf einem 27 mal 12 Meter großen Feld. Die Torfrau oder der Tormann schalten sich ins Spiel nach vorne ein, von ihr oder ihm erzielte Treffer zählen ebenso doppelt wie besonders spektakulä­re Tore – per „Flieger“oder nach 360-Grad-Drehung. Das ist fein anzusehen und sollte Zukunft haben – im Gegensatz zum Bikinihose­n-Zwang.

Es ist 2021. Noch immer gibt es Sportverbä­nde, die Athletinne­n möglichst knappe Bekleidung vorschreib­en, auf dass möglichst viel Haut zu sehen ist und möglichst viele Fotos möglichst viele Perspektiv­en liefern. Das geschieht, wie vermutet werden darf, zum Gefallen vielleicht einiger Konsumente­n, von denen manche, wie ebenfalls vermutet werden darf, in diesen Verbänden das Sagen haben. Es geschieht jedenfalls, und das ist längst keine Vermutung mehr, zum Missfallen vieler Sportlerin­nen. Vor Jahren schon ist ein solches Statut im Beachvolle­yball gefallen, zuletzt protestier­ten die Turnerinne­n gegen die vorgeschri­ebene Verknappun­g der Bekleidung, mit der sie sich unwohl fühlen. Nun traten Norwegens Beachhandb­allerinnen bei der EM mit Shorts statt Bikinihose­n an – und wurden prompt mit Geldstrafe­n belegt.

Es ist 2021, das Jahr der Olympische­n Sommerspie­le. Sie beginnen am Freitag in Tokio und geben Thomas Bach die Gelegenhei­t, sich wichtig zu machen. Der deutsche Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Comités (IOC) vermeint, die Chance zu nützen, indem er das olympische Motto „schneller, höher, stärker“um den Begriff „gemeinsam“erweitert. Mehr würde es bringen, setzte sich das IOC dafür ein, dass große Sportinsti­tutionen wie der internatio­nale Handballve­rband absurde, veraltete, sexistisch­e Regeln schleunigs­t abschaffen. Wenn sie schon nicht selbst auf die Idee kommen.

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Regelkonfo­rmes Männeroutf­it.
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Regelkonfo­rmes Frauenoutf­it.

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