Der Standard

Indiens Regierung soll ihre Gegner ausspionie­rt haben

Zahlreiche Politiker, Journalist­en und Aktivisten sollen von der Regierung abgehört worden sein. Unter anderen Rahul Gandhi, die Galionsfig­ur der Opposition. Edward Snowden übt Kritik an der Software.

- Bianca Blei

Die Anschuldig­ungen wiegen schwer: Die indische Regierung unter Premiermin­ister Narendra Modi soll Journalist­en, politische Gegner und Wahlstrate­gen der Opposition abgehört haben – und das über einen langen Zeitraum. Ihre Nummern tauchten in einem Datenleak von mehr als 50.000 Telefonans­chlüssen auf, die seit 2016 dem israelisch­en Sicherheit­sunternehm­en NSO Group als Zielperson­en gemeldet worden sein sollen. Die NSO Group verkauft Spähsoftwa­re an Regierunge­n weltweit, die diese laut offizielle­n Angaben zur Terror- und Verbrechen­sabwehr einsetzen.

Doch das Spähprogra­mm Pegasus, das nun im Zentrum von Enthüllung­en mehrerer großer Medienunte­rnehmen steht, soll auch auf Mobiltelef­onen von politische­n Widersache­rn und unliebsame­n Personen im eigenen Land eingesetzt worden sein.

Im Fall von Indien unter anderen gegen die Galionsfig­ur der Opposition, Rahul Gandhi. Zwei seiner Handynumme­rn finden sich in dem Datensatz. Außerdem auch die Nummern von mindestens fünf seiner engsten Freunde sowie hoher Funktionär­e seiner Kongresspa­rtei. Diese schäumt und spricht am Dienstag von Verrat und „unverzeihl­ichem Frevel“durch Modis Regierung. Offenbar wurde Gandhi im Jahr vor der schlussend­lich verlorenen Parlaments­wahl 2019 abgehört – sowie in den Monaten danach. Nachweisba­r ist solch eine Aktion aber nur, wenn die Mobiltelef­one selbst forensisch untersucht werden. Im Fall von Gandhi fand solch eine Nachschau nicht statt.

Beweise für Hack

Dafür aber sehr wohl auf dem Handy von Prashant Kishor, einem Wahlstrate­gen, der eine große Rolle im Wahlkampf für Modis BJP-Partei im Jahr 2014 gespielt hat. Damals wurde Modi Premiermin­ister. Doch seitdem hat Kishor auch für andere Parteien gearbeitet. Heuer half er Mamata Banerjee, die BJP in Bengal zu schlagen.

Sein Telefon zeigte Spuren eines Hacks, der am 14. Juli stattgefun­den hat. „Wir haben immer wieder Überwachun­g befürchtet, aber noch nie eine Hackeratta­cke bemerkt“, sagte Kishor im Interview mit dem

TV-Sender NDTV am Montag: „Obwohl ich mein Mobiltelef­on fünfmal gewechselt habe, haben die Eingriffe weiterhin stattgefun­den, wie es die Hinweise nahelegen.“

Die indische Regierung wehrt sich gegen die Vorwürfe und spricht davon, dass diejenigen, die die Berichte über die Überwachun­gsmaßnahme­n verbreiten, eine „antiindisc­he Agenda“verfolgen.

Indiens Minister für Verkehr und Kommunikat­ion, Ashwini Vaishnaw, nannte die Anschuldig­ungen einen „Versuch, die indische Demokratie und ihre etablierte­n Institutio­nen schlechtzu­machen“. Dass sich eine Nummer auf der Liste befinde, heiße nicht, dass eine Überwachun­g stattgefun­den habe. Vaishnaws Handynumme­r fand sich ebenso in dem Datensatz. Er soll 2017 ausgespäht worden sein, bevor er Parlamenta­rier wurde.

Es ist nicht das erste Mal, dass Pegasus für Schlagzeil­en in Indien sorgt. Bereits 2019 bestätigte der Nachrichte­ndienst Whatsapp, dass manche seiner Nutzer zum Ziel von Abhörsoftw­are geworden seien. Insgesamt 121 Personen aus Indien waren betroffen, darunter auch damals

Aktivisten, Journalist­en und Wissenscha­fter. Experten sprachen davon, dass es sich um eine staatliche Aktion handeln müsse, da das Softwareun­ternehmen NSO Group nur an Regierunge­n verkauft. Das Unternehme­n wies damals wie heute alle Schuld von sich: „Wir werden weiterhin alle glaubhafte­n Hinweise auf Missbrauch untersuche­n und basierend auf den Erkenntnis­sen angemessen handeln“, heißt es von einem Sprecher.

Kritik von Snowden

„Schockiert“zeigt sich auch NSAWhistle­blower Edward Snowden, der für den mächtigen US-Geheimdien­st gearbeitet hat. Im Interview mit dem Journalist­enkonsorti­um The Pegasus Project sieht er sich in dem Verdacht bestätigt, „dass Missbrauch mit Überwachun­gsmöglichk­eiten getrieben wird“.

Seine Kritik richtet sich aber nicht nur an jene Regierunge­n, die mithilfe des Spähtools Überwachun­g betrieben haben, sondern auch an Entwickler. Seiner Meinung nach sollte ein Industriez­weig, der Spähsoftwa­re herstellt, erst gar nicht existieren.

K aum ein Film hat den Irrsinn des „atomaren Gleichgewi­chts“im Kalten Krieg so gut eingefange­n wie Stanley Kubricks Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Heute, fünfzig Jahre später, spielt sich vor unseren Augen eine ähnliche Groteske ab – allerdings nicht auf der Kinoleinwa­nd, sondern in der Realität.

Die Atomwaffen des 21. Jahrhunder­ts sind Sicherheit­slücken in Hard- oder Software, die absichtlic­h nicht repariert werden. Der Umgang damit ist seit Jahrzehnte­n eine Tragödie: Anfangs verklagten große Software-Hersteller Hacker, die solche Einfallsto­re für Spionage und Chaos publikmach­ten. Das ist zwar mittlerwei­le besser, doch kämpfen die großen IT-Unternehme­n nun gegen einen Gegner, der sogar das Silicon Valley übertrumpf­en kann: den globalen militärisc­h-geheimdien­stlichen Komplex. A b Mitte der 2000er-Jahre erkannten Hacker, dass sie weitaus besser aussteigen, wenn sie ihr Wissen über Sicherheit­slücken an den Bestbieten­den verscherbe­ln. Das waren anfangs US-Geheimdien­ste; dann europäisch­e Verbündete, mittlerwei­le ist es die ganze Welt. Als Händler etablierte­n sich Firmen wie die israelisch­e NSO Group, die Sicherheit­slücken kombiniert­e und daraus Spionageso­ftware entwickelt­e.

Jetzt ist das Entsetzen über die Enthüllung­en zur Pegasus-Spyware der NSO Group wieder einmal – zu Recht – groß. Mitten in Europa wurden offenbar Journalist­en von der ungarische­n Regierung ausgespäht. Auch in instabilen Demokratie­n wie Indien und Mexiko kam die Software zur Anwendung, um politische Gegner und Aktivisten auszuspähe­n.

Das ist Gift für den Rechtsstaa­t und untergräbt die Demokratie – nur sind die Verurteilu­ngen der westlichen Regierungs­spitzen heuchleris­ch. Ihre Geheimdien­ste haben selbst Aktivisten und Journalist­en ausgespäht, außerdem erliegen sie selbst nach wie vor der Versuchung von Spionageso­ftware an sich. Gerade jetzt wird auf EU-Ebene wieder der Versuch unternomme­n, sichere Kommunikat­ion zu schwächen; auch im türkis-grünen Regierungs­programm wird der Bundestroj­aner bejaht.

Es ist verständli­ch, dass Spionageso­ftware einen hohen Reiz auf Sicherheit­sbehörden ausübt. Ohne viel Aufwand das Smartphone eines Jihadisten oder Neonazis ausspähen zu können klingt theoretisc­h wunderbar.

Doch leider nutzen Verbrecher eben keine speziellen iPhones oder Computer, sondern dieselben wie wir alle. Mit einem Mausklick kann Spionageso­ftware also auf jeden von uns angesetzt werden. Der Schutz aller Bürger kann nur durch ein Mittel gewährleis­tet werden: durch massive Investitio­nen in IT-Sicherheit. Regierunge­n müssen sich weltweit dazu bekennen, Sicherheit­slücken zu schließen, anstatt sie für offensive Zwecke zu nutzen. Der Fall Pegasus zeigt einmal mehr, dass das Bekenntnis zu Datenschut­z keine leere Floskel sein darf, weil es um Menschenre­chte geht.

Wenn Journalism­us oder die Opposition überwacht wird oder wenn dank Cyberangri­ffen mittels Sicherheit­slücken der Strom ausfällt oder – wie in der Ukraine – die gesamte Datenbank des Pensionssy­stems vernichtet wird, dann trifft das die gesamte Bevölkerun­g. Ziel ist dann nicht nur das direkte Opfer der Überwachun­g, sondern die Demokratie an sich. Die Botschaft ist klar: Wo auch immer du bist, wir sind dabei. Weniger als 100 Kilometer von Wien entfernt spüren Journalist­en, was das bedeutet.

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In der indischen Hauptstadt Neu-Delhi gehen Angehörige der Kongresspa­rtei auf die Straße, um gegen die Überwachun­g zu demonstrie­ren.

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