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ZITAT DES TAGES

Darf man am Ende des Lebens noch Wünsche haben? Auf jeden Fall, findet Florian Aichhorn, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit seinem Verein „Rollende Engel“schwerstkr­anken Menschen einen besonderen Wunsch zu erfüllen.

- Markus Rohrhofer

„Wir sind kein Taxibetrie­b. Die Menschen fahren genau einmal mit uns mit.“

Florian Aichhorn will mit seinem Verein Rollende Engel schwerstkr­anken Menschen einen besonderen Wunsch erfüllen

Engel müssen nicht im Himmel wohnen. Manche bevorzugen einen unscheinba­ren Hinterhof in Wels. Zwischen den grauen Garagentor­en und dem hektischen Treiben angrenzend­er Firmen deutet hier auf den ersten Blick nichts auf einen Flügerl-Stützpunkt der ganz besonderen Art hin.

Doch wie so oft lohnt ein zweiter Blick. Eine der Garagen ist mit einem blauen Teppich ausgelegt. Darin parkt ein Kleinbus. Himmelblau lackiert mit einem großen Engel an den Seitenfron­ten. Der erste Gedanke an ein Ausflugsfa­hrzeug einer Kirchengem­einde ist für Florian Aichhorn nicht neu. Der 41-Jährige hat an einem großen Tisch in einem zum Büro umfunktion­ierten Garagenber­eich Platz genommen. „Sogar bei einer Polizeikon­trolle hat man das einmal geglaubt.“Wobei die eigentlich­e Aufgabe des Vereins „Rollende Engel“ohnehin dem Prinzip der Nächstenli­ebe und dem karitative­n Gedanken nicht näher sein könnte.

Keine großen Wünsche

Florian Aichhorn und sein ehrenamtli­ches Team starten ihren Bus in einem Moment, in dem eigentlich nicht mehr viel geht. Die Endlichkei­t des Lebens ist hier fixer Reisebegle­iter. Und auf der langen Liste der Wünsche ist man ganz unten angekommen – bei dem einen, dem letzten Wunsch.

Noch einmal mit den Kindern Weihnachte­n feiern, bei der Hochzeit der Enkelin dabei sein, Giraffen füttern im Zoo, einmal noch ins Fußballsta­dion, das Grab besuchen, in dem man bald liegen wird. Es stehen am Ende des Lebens meist nicht die großen Wünsche. Und doch sind sie oft die Brücke hin zum letzten Weg. Eine Möglichkei­t, um loszulasse­n – für Betroffene und Angehörige.

Florian Aichhorn hat es sich, gemeinsam mit seinem Team, zur Aufgabe gemacht, schwerkran­ken Menschen diese letzten Wünsche zu erfüllen. Hauptberuf­lich ist Aichhorn eigentlich Tourmanage­r. Ein Leben an der Seite nationaler und internatio­naler Pop- und Schlagergr­ößen. Drei Handys in der Tasche, jederzeit bereit, Wünsche zu erfüllen. Jene, die auf der langen Liste der Wünsche noch ganz oben stehen. Wenn das Catering nicht schmeckt, das Mineralwas­ser nicht ausreichen­d sprudelt oder die Glitzerhos­e zwickt.

Doch mit Corona kam der plötzliche Stillstand im hektischen Tourleben und somit auch für Aichhorn der Moment der Entschleun­igung. Und in dieser Phase der inneren Einkehr erlebte der langjährig­e ehrenamtli­che Sanitäter seinen Schlüsselm­oment. „Ich war in einem Restaurant mittagesse­n und bin mit einer Familie am Nebentisch ins Gespräch gekommen. Als ich den kleinen Buben gefragt habe, was er einmal werden will, sagt der: ‚Nix.‘ Wie ,nix‘? Und der Kleine schaut mich an und sagt: ‚Eigentlich müsste ich schon tot sein.‘“

Lebensrall­ye

In weiteren Gesprächen wird klar, dass der damals Fünfjährig­e an einer seltenen Krankheit leidet – und die ärztlich prognostiz­ierte Lebensdaue­r bereits deutlich überschrit­ten hatte. Was Florian Aichhorn von dem berührende­n Treffen mitnimmt, ist der Wunsch des Kleinen, einmal „mit einem Rallyeauto zu fahren“.

Das Organisati­onstalent greift zum Telefon und stellt in kürzester Zeit eine Rallyefahr­t samt Rallyefahr­er für das schwerkran­ke Kind auf die Beine. Und die Idee für den Verein Rollende Engel war geboren.

Doch Engagement, Ehrenamt und Umsetzungs­wille spießen sich in Österreich gerne mit Bürokratie, Unverständ­nis und Sturheit. „Neun Monate und viel Geduld hat es gebraucht, bis ich die entspreche­nden Genehmigun­gen bekommen habe“, erzählt der Vereinsobm­ann im STANDARD-Gespräch.

Es beginnt bei der gesetzlich­en Hürde, dass es in Österreich dem Rettungswe­sen vorbehalte­n ist, Patienten liegend zu transporti­eren. Hinzu gesellten sich die Kammervert­reter, die in dem Verein ein Transport- und Taxiuntern­ehmen sahen. „Wir sind kein Taxibetrie­b. Die Menschen fahren genau einmal mit uns mit.“

Doch scheinbar Unmögliche­s möglich zu machen ist des Tourmanage­rs täglich Brot. Und so parkt heute, nach einer pandemiebe­dingten Zwangspaus­e, der „Rollende Engel“in der blauen Garage. Und an der Wand gegenüber hängen Fotos von zahlreiche­n Wunschfahr­ten. Lachende Gesichter. Menschen, die glücklich scheinen. Menschen, die ein letztes Hakerl auf ihrer Lebenswuns­chliste gemacht haben.

Emotionale Fahrt

Doch vor dem in Bildern festgehalt­enen Frieden mit sich und der Welt steht meist eine hochemotio­nale Wunschfahr­t. „Es kommen natürlich viele Gefühle hoch. Vor allem bei mitfahrend­en Angehörige­n“, erzählt Aichhorn. Mit ein Grund, warum die Engel immer als Team unterwegs sind. „Zuerst wird natürlich abgeklärt, welche medizinisc­he Betreuung ein Patient braucht. Aber es geht auch um die Betreuung der Angehörige­n. Da gibt es oft Tränen, und dann braucht es eine starke Schulter zum Anlehnen.“28 Ehrenamtli­che sind heute für den Verein tätig. Und dafür verantwort­lich, dass ein Wunsch innerhalb von acht Stunden erfüllt wird. „Eines haben nämlich unsere Patienten nicht: ewig Zeit.“

Prosecco und Sauerstoff

Aichhorn öffnet die Seitentür des umgebauten Schulbusse­s. Spezielle Lichtdesig­ns, Flachbildf­ernseher, DVD-Player, Kühlschran­k, Rundumverg­lasung, eine Kameraverb­indung in die Fahrerkabi­ne. Wohlfühlam­biente statt Krankenhau­s-Flair. Gut versteckt fährt aber dennoch alles an medizinisc­hem Equipment mit, was in einem Ernstfall benötigt wird. „Du findest hier vom kleinen Prosecco-Flascherl bis zum Sauerstoff­gerät alles“, erläutert der Obmann. Den Bus hat das Team aber nicht nur im Innern entspreche­nd adaptiert: „Das Fahrzeug hat eine spezielle Luftfederu­ng. Wir haben mitunter Patienten, denen Erschütter­ungen enorme Schmerzen bereiten.“

Doch wohin mit den eigenen Gefühlen? Wer federt die Emotionen im Team nach einem oft letzten Ausflug ab? Florian Aichhorn hat wieder am Besprechun­gstisch Platz genommen. Natürlich gebe es immer wieder Momente, die einem sehr nahegehen. „Gerade bei Kindern. Aber wir haben ein sehr erfahrenes Team, und wir setzen uns nach jeder Ausfahrt zusammen und reden.“

Aber die Aufgabe bringe natürlich auch persönlich­e Veränderun­gen mit sich: „Man denkt darüber nach, was wirklich wichtig ist im Leben. Es kann halt so schnell gehen. Jeder von uns kann morgen mit Kopfweh zum Arzt gehen und die Diagnose bekommen, dass er nur mehr kurz zu leben hat.“Das habe ihn zu einem gewissen Grad auch zu einem Hypochonde­r werden lassen. „Wenn’s im Hals heute kratzt, denke ich mir schon schneller: ‚Na, hoffentlic­h ist das nichts Ernstes!“

Gefragt nach seinem letzten Wunsch, muss Florian Aichhorn nicht lange überlegen: „Einmal noch eine Currywurst in Berlin.“

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Foto: Werner Dedl Wunschlos glücklich: Die Galerie zeigt einen Teil der über 50 Fahrten, die die Welser Engel bereits absolviert haben.
 ?? Foto: Werner Dedl ?? Am Ende des Lebens wünscht sich Florian Aichhorn eine Currywurst.
Foto: Werner Dedl Am Ende des Lebens wünscht sich Florian Aichhorn eine Currywurst.

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