Hohe Infektionszahlen könnten weiterhin zum Problem werden.
Krankenhäuser müssen einen geringeren Anteil an CovidErkrankten behandeln als im Frühjahr. Durch die Impfung hat sich die Inzidenz von der Krankheitslast entkoppelt. Wie groß der Effekt ist, lässt sich aber schwer einschätzen. Hohe Infektionszahlen könnten weiterhin zum Problem werden.
Die Zahlen steigen, und sie steigen schnell: Am Montag lag die SiebenTage-Inzidenz bei 25 – das bedeutet, dass in den letzten sieben Tagen 25 Infektionen pro 100.000 Einwohner registriert wurden. Vergangenen Montag waren es noch elf. Die Verdopplungszeit liegt damit unter einer Woche.
Derzeit ist die Inzidenz circa so hoch wie Anfang September vergangenen Jahres. Als die Zahlen im Herbst rasant anstiegen, gelangten die Krankenhäuser ans Limit. Diesmal beginnt der Anstieg sogar früher. Dennoch ist etwas entscheidend anders: 58 Prozent der Gesamtbevölkerung sind einmal geimpft, fast 46 Prozent vollständig immunisiert. Verlieren hohen Infektionszahlen damit an Schrecken?
Das ist noch nicht klar. Für den Herbst hat das Covid-Prognose-Konsortium verschiedene Szenarien modelliert: Im besten Szenario kommt es ab 13.000 täglichen Neuinfektionen zu einer Überlastung des Gesundheitssystems, im schlechtesten liegt die kritische Grenze bei 6800 Neuinfektionen pro Tag.
In beiden Fällen gehen die Experten von niedrigen Aufnahmeraten auf den Intensivstationen aus – sie liegen bei 0,4 und 0,8 Prozent. Ob diese Raten überhaupt eintreten, hängt jedoch von zwei Faktoren ab, die nur schwer vorherzusagen sind.
Erstens ist entscheidend, wie viele Menschen sich am Ende impfen lassen. In allen Szenarien ist das Konsortium von einer Vollimmunisierungsrate von mindestens 60 Prozent der Gesamtbevölkerung ausgegangen. Gerade die Erstimpfungen sind in den vergangen Tagen aber zurückgegangen. „Wir haben derzeit drei Millionen Menschen, die nicht geimpft sind. Das ist verdammt viel Frischfleisch für das Virus“, sagt der Komplexitätsforscher Stefan Thurner, der Teil des Konsortiums ist. „Bleibt es dabei, ist es möglich, dass es wieder zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt.“
Delta als Unbekannte
Zweitens bleiben auch bei einer hohen Durchimpfungsrate die Hospitalisierungen nur dann niedrig, wenn die Impfstoffe effektiv sind. Die Modellierer nahmen eine Wirksamkeit von 96 Prozent an. Die Delta-Variante wirft in dieser Hinsicht aber Fragen auf.
Denn neben einer hohen Durchimpfungsrate ist auch entscheidend, wie gut die Impfung vulnerable Gruppen schützt. Die Hospitalisierungsrate ist zurzeit auch deshalb niedrig, weil sich vor allem die Jungen infizieren. Stecken sich vermehrt Risikopatienten an, könnte sich das schnell ändern.
Zwar belegen Daten aus Israel und Großbritannien einen Schutz von über 90 Prozent vor Hospitalisierungen, auch für Infektionen mit der Delta-Variante. Ob das für alle Geimpften im gleichen Ausmaß gilt, lässt sich aber noch nicht klar beantworten. „Ich würde mit einer abschließenden Beurteilung der Wirksamkeit bei der Delta-Variante vorsichtig sein“, sagt der Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien (IHS) Thomas Czypionka. „Das Wissen, das wir darüber bisher haben, ist noch vorläufig.“
Man müsse davon ausgehen, dass es gerade bei jenen zu Impfdurchbrüchen kommt, die ohnehin ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, sagt Czypionka. Das sind etwa Menschen nach einer Chemotherapie, Patienten, die immunsupprimierende Medikamente nehmen, oder Ältere, deren Immunsystem nicht mehr so fit ist wie das der Jungen. Nach der Impfung fällt ihre Immunantwort im Schnitt schwächer aus.
Gefahr von Long Covid
Doch selbst wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen beherrschbar bleibt, haben hohe Inzidenzen Auswirkungen. „Es wäre ein Fehler, das Pandemiemanagement nur auf die Vermeidung von hohen Hospitalisierungen zu konzentrieren“, sagt Czypionka. Vor allem eine dritte Unbekannte bereitet Gesundheitsexperten zunehmend Sorgen: die Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. Wie viele Menschen Long Covid schwer trifft und welcher Prozentsatz sich davon nicht vollständig erholt, ist nicht abschließend geklärt. Auch dazu, in welchem Ausmaß die Impfung das Risiko von Long Covid reduzieren kann, gibt es bisher kaum Daten.
Für das Pandemiemanagement ist diese Frage aber zentral. „Neben persönlichem Leid könnten durch Langzeitkrankenstände nämlich enorme volkswirtschaftliche Schäden entstehen“, sagt Czypionka.