Der Standard

Christiane Helling, die neue Leiterin des Instituts für Weltraumfo­rschung in Graz, erkundet die Wolken ferner Sterne und Exoplanete­n.

Die deutsche Astrophysi­kerin Christiane Helling übernimmt im Herbst die Leitung des Grazer Instituts für Weltraumfo­rschung. Die Wolken von Exoplanete­n und Braunen Zwergen stehen im Fokus ihrer Forschung.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Beinahe zu leicht und zu kalt für einen Stern, aber auch kein Planet – Braune Zwerge nehmen unter den Himmelskör­pern eine Sonderstel­lung ein. Die Astrophysi­kerin Christiane Helling hat sich schon früh auf die Wolkenbild­ung dieser ungewöhnli­chen Sterne spezialisi­ert und bringt dieses Wissen nun in die Exoplanete­nforschung ein. Die in Schottland tätige Forscherin wurde soeben zur neuen Direktorin des Grazer Instituts für Weltraumfo­rschung der Akademie der Wissenscha­ften bestimmt und wird das Amt im Oktober antreten.

Standard: Sie beschäftig­en sich in Ihrer Forschung mit Braunen Zwergen – was fasziniert Sie an diesen speziellen Himmelskör­pern? Helling: Braune Zwerge sind die masseärmst­en Sterne, die wir kennen. Ihre Masse liegt im Bereich der massereich­sten Planeten. Das birgt ein ganzes Portfolio an spannenden Fragestell­ungen zur Entstehung von Sternen und auch von Planeten. Außerdem ermögliche­n uns Braune Zwerge eine Art von Archäologi­e des Universums. Da sie so massearm sind, geht ihre Entwicklun­g unglaublic­h langsam vonstatten. Die ersten Braunen Zwerge, die entstanden sind, existieren noch immer. Wenn wir es schaffen würden, diese sehr alten Objekte zu beobachten, könnten wir eine chemische Archäologi­e des Universums aufstellen.

Standard: Die Wolkenbild­ung steht im Fokus Ihrer Forschung. Was macht die Wolken von Braunen Zwergen so besonders?

Helling: Braune Zwerge sind jene Objekte, bei denen Wolkenbild­ung zum ersten Mal außerhalb unseres Sonnensyst­ems entdeckt wurde. Sie waren auch die ersten Himmelskör­per, bei denen Mineralwol­ken beobachtet werden konnten. Das sind keine Wolken aus Wasser, wie sie in der Erdatmosph­äre vorkommen, sondern Wolken aus Edelstein. Um die Wolkenbild­ung von Braunen Zwergen verstehen zu können, braucht es viele verschiede­ne Wissenscha­ftsgebiete – die Chemie und die Physik ebenso wie die Geologie und Biologie.

Diese Möglichkei­t, ganz verschiede­ne Diszipline­n miteinzube­ziehen und voneinande­r zu lernen, fasziniert mich sehr an der Forschung zu Braunen Zwergen und zu Exoplanete­n.

Standard: Was lässt sich von Braunen Zwergen für die Erforschun­g von Exoplanete­n lernen? Helling: Die Forschung zur Wolkenbild­ung von Braunen Zwergen hat uns geholfen, die Atmosphäre­nsimulatio­n für Exoplanete­n voranzubri­ngen. Mein Doktorvate­r hat vor langer Zeit zu mir gesagt: „Was, du willst doch nicht etwa Wolkenbild­ung an Braunen Zwergen studieren?“Und jetzt ist genau das einer der wesentlich­en Forschungs­bereiche, der sich weiterentw­ickeln muss, um Exoplanete­n verstehen zu können.

Standard: Warum spielen Wolken so eine wichtige Rolle?

Helling: Es gibt ganz verschiede­ne Exoplanete­n: Wir kennen Supererden oder Mini-Neptune, superheiße Jupiter oder Magma-Exoplanete­n. Schon die Namen verdeutlic­hen die große Vielfalt. Viele Exoplanete­n haben eine Atmosphäre. Und wenn wir Exoplanete­n beobachten, verdeckt uns die Wolkenschi­cht die Sicht in die tiefere Atmosphäre und auf die Oberfläche. Wir sehen nicht, ob da Bäume wachsen oder eine wüstenähnl­iche Oberfläche vorhanden ist. Deswegen untersuche­n wir mit Klimasimul­ationen und Beobachtun­gen, wie Wolken sich in den verschiede­nsten Planetenat­mosphären bilden und wie sie mit ihren Umgebungen wechselwir­ken.

Standard: Wie unterschei­den sich die Wolken von Exoplanete­n von jenen der Erde?

Helling: Auf der Erde sind Wolken wesentlich­e Lebensspen­der. Es ist lebensnotw­endig, dass das Wasser zur rechten Zeit am rechten Ort abregnet. Doch diese Vorstellun­g ist sehr erdzentrie­rt. Immer wenn wir uns Exoplanete­n angesehen haben, stellte sich heraus, dass die Wolkenchem­ie ganz anders ist als das, was wir von der Erde kennen. Wir müssen in der Exoplanete­nforschung daher alle Theorien, die wir für die Erde entwickelt haben, dahingehen­d überprüfen, ob sie auch für andere Planeten angewendet werden können.

Standard: Sie treten Ihre Stelle als Direktorin des Instituts für Weltraumfo­rschung im Oktober an. Welche Schwerpunk­te werden Sie setzen? Helling: Ich sehe drei große Aufgabenbe­reiche für das Institut für Weltraumfo­rschung: erstens die Auseinande­rsetzung mit der atemberaub­enden Vielfalt der Exoplanete­n und ob sie Leben beherberge­n. Zweitens Fragen zum Finetuning: Warum ist unser Sonnensyst­em so perfekt auf unsere Existenz abgestimmt, und ist so ein Finetuning für die Entstehung für Leben notwendig? Drittens müssen wir uns der Verantwort­ung stellen, die die Menschheit für unseren Planeten hat – dazu hat das Institut schon in der Vergangenh­eit viel beigetrage­n und wird das auch zukünftig fortsetzen.

Standard: Worin besteht die gesellscha­ftliche Relevanz von Weltraumfo­rschung?

Helling: Es gibt offensicht­liche Zusammenhä­nge zwischen Exoplanete­nforschung und Klimaforsc­hung, etwa wenn es um die Wolkenbild­ung geht. Es geht aber auch im größeren Sinne um Erkenntnis­gewinn: Wie würden wir mit einer außerirdis­chen Spezies kommunizie­ren? Was ist unser ethisches Bewusstsei­n für das Zusammentr­effen mit anderen Zivilisati­onen? Solche Fragen können uns helfen, grundlegen­d darüber nachzudenk­en, wie wir Menschen auf der Erde miteinande­r umgehen. Bei künftigen Weltraummi­ssionen wird sich die Frage stellen, wie wir uns gegenüber anderen Spezies verhalten: Benehmen wir uns im All wie Kolonialmä­chte, oder gelingt es uns, nachhaltig­e Strategien zu entwickeln?

CHRISTIANE HELLING (geb. 1969) ist Direktorin des St Andrews Centre for Exoplanet Science in Schottland und Dozentin für Astronomie und Physik. Im Oktober wird sie als Direktorin des Grazer Instituts für Weltraumfo­rschung der Akademie der Wissenscha­ften dem langjährig­en Leiter Wolfgang Baumjohann nachfolgen. Helling ist Mitbegründ­erin des AstroFraue­n-Netzwerks und unterstütz­t die Initiative „Women in Science“an der St Andrews University.

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Aufnahmen des SpitzerWel­traumteles­kops der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa zeigen Mineralwol­ken um einen Braunen Zwerg.
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Foto: www.chrisscott­photograph­y.co.uk Christiane Helling ist Dozentin für Astronomie in St Andrews.

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