Der Standard

Menschenre­chtsschutz durch Steuerdate­n

Lieferkett­engesetze sollen Unternehme­n für Verstöße von Zulieferer­n verantwort­lich machen. Der Complexity Science Hub Vienna schlägt vor, bei der Kontrolle auf Daten zur Umsatzsteu­er zurückzugr­eifen.

- Jakob Pflügl

Kinderarbe­it in Bangladesc­h, unwürdige Arbeitsbed­ingungen in Brasilien oder illegale Abholzung in Rumänien: Nicht selten profitiere­n Unternehme­n indirekt von Rechtsvers­tößen ihrer Zulieferer. Lieferkett­engesetze sollen dem einen Riegel vorschiebe­n. Sie verpflicht­en Unternehme­n, ihre Produktion­snetzwerke zu dokumentie­ren und die Einhaltung von Menschenre­chten zu kontrollie­ren. Frankreich, die Niederland­e und Deutschlan­d haben bereits entspreche­nde Regelungen beschlosse­n. Österreich wartet auf einen Vorschlag der EU-Kommission, die derzeit an einem Rechtsakt arbeitet.

Die Sinnhaftig­keit der Regelungen stellt kaum jemand infrage. In der Umsetzung sind die gesetzlich­en Vorstöße allerdings mit Problemen behaftet: Für Unternehme­n und staatliche Behörden bedeutet die Dokumentat­ion ihrer Lieferante­n einen erhebliche­n bürokratis­chen Aufwand. Zudem ist deren Überprüfun­g oftmals schwierig. In einem kürzlich veröffentl­ichten „Policy Briefing“schlägt ein Forscherte­am rund um Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna eine mögliche Lösung für dieses Problem vor: Bei der Dokumentat­ion von Lieferkett­en sollen Staaten auf bereits vorhandene Umsatzsteu­erdaten zurückgrei­fen.

„Wenn ich das gesamte Produktion­snetzwerk abbilde und aufgrund einer journalist­ischen Recherche weiß, dass ein bestimmter Betrieb Kinder beschäftig­t, dann könnte ich sofort alle anderen involviert­en Unternehme­n informiere­n“, sagt Thurner im Gespräch mit dem STANDARD. Die aktuellen Pläne in Deutschlan­d sehen vor, dass Unternehme­n ihre Lieferante­n selbst dokumentie­ren und überprüfen müssen. Das sei „ineffektiv, ineffizien­t und dennoch mit einem riesigen Aufwand verbunden“, sagt der Komplexitä­tsforscher: „Warum also nicht auf etablierte Mechanisme­n zurückgrei­fen?“

Denkanstoß

Die benötigten Daten stehen laut Complexity Science Hub in vielen Ländern bereits zur Verfügung oder könnten durch eine minimale Anpassung bei der Umsatzsteu­er-Erfassung leicht gewonnen werden. Das Meldesyste­m müsste nur insofern verändert werden, als die Steuernumm­ern der Unternehme­n in maschinenl­esbarem Format ans Finanzamt geschickt werden. Damit wäre eine computerun­terstützte Verarbeitu­ng möglich.

Produktion­snetzwerke ließen sich ohne bürokratis­chen Aufwand für Unternehme­n und staatliche Kontrollbe­hörden erstellen. „Firsieht men müssten nichts machen außer ihre normale Steuerabre­chnung“, sagt Thurner. Eine Umgehung des Lieferkett­engesetzes könnte so praktisch ausgeschlo­ssen werden.

Das Konzept wäre allerdings vorerst nur auf nationaler und europäisch­er Ebene umsetzbar. Da Probleme in der Lieferkett­e häufig außerhalb Europas auftreten, wäre die praktische Bedeutung der Dokumentat­ion zunächst gering. Thurner den Vorschlag aber als Denkanstoß: „Im Bankensekt­or wurde der Austausch von Daten schrittwei­se ausgebaut und ist mittlerwei­le auch auf internatio­naler Ebene möglich.“Einzelne Länder sollten daher voranschre­iten und internatio­nalen Druck aufbauen. „Man könnte damit zeigen, wie viel man mit Digitalisi­erung und sehr wenig Aufwand erreichen kann“, ist Thurner überzeugt.

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Menschenre­chtsverlet­zungen bei Produzente­n werden entlang der Lieferkett­en bis zu den Endkunden weitergere­icht.

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