Der Standard

Mona Fastvolds „The World to Come“erzählt von einer lesbischen Liebesbezi­ehung im frühen Amerika.

Poetisch und psychologi­sch fasziniere­nd: „The World to Come“, ein Film der norwegisch­en Regisseuri­n Mona Fastvold über eine lesbische Liebesbezi­ehung im frühen Amerika.

- Valerie Dirk

Neuengland, 1856: Das Leben des Siedlerpaa­res Abigail und Dyer auf einem kleinen Waldhof ist hart. Nachdem ihre Tochter an Diphtherie gestorben ist und damit auch dasjenige, was das Paar emotional verbunden hat, herrscht reine Pragmatik vor: Dyer, der gutmütige, aber spröde Ehemann, kümmert sich um den Hof, Abigail, seine zarte, kluge Frau, um das Haus. Beide führen Buch, doch in Abigails Aufzeichnu­ngen mischt sich Pflichtbew­usstes mit dem Poetischen – sie schreibt, um ihren Gefühlen und auch ihrer Trauer Raum zu geben.

Abigails fesselnde Zustandsbe­schreibung­en geben den Ton in dem zweiten Langfilm der jungen norwegisch­en Regisseuri­n Mona Fastvold vor und zeugen von ihrer Trauerbewä­ltigung und dem Aufblühen einer neuen Liebe – nicht zu Dyer, sondern zu Tallie, der Nachbarin mit dem roten Haar.

Tallie spricht anders als die sich gewählt ausdrücken­de Abigail oder der schwerfäll­ige Dyer. Sie klingt auffallend frisch und modern, wenn sie scharfzüng­ig in Abigails Küche tratscht. Aus der Freundscha­ft der zwei deplatzier­ten Bauersfrau­en entwickelt sich bald eine stürmische Liebe, die sie abseits der Männerblic­ke ausleben.

Erfolgsfor­mel Lesbendram­a

Noch eine lesbische Liebesgesc­hichte im historisch­en Kostüm in einer abgelegene­n Gegend? Die Vergleiche zu Portrait of a Lady on Fire

(Celine Sciamma, 2019) und dem bald anlaufende­n Ammonite mit Saoirsie Ronan und Kate Winslet als Liebespaar drängen sich geradezu auf. „Lesbian Period Drama – you get one a year. Make the most out of it!“, amüsiert sich schon die USamerikan­ische Comedyshow Saturday Night Live, die das Erfolgsrez­ept in einem ihrer Sketche parodiert.

Doch die Parodie ist großteils wohlwollen­d, sind das doch alles großartige Schauspiel­erinnenfil­me, die mit starken Bildern und viel Sensibilit­ät dem Hollywood-Mainstream etwas entgegense­tzen.

In The World to Come gibt es keine Klippen und kein Meer, die für Brontë’sche Leidenscha­ft stehen, stattdesse­n folgt das Leben dem Bauernkale­nder. Die Jahreszeit­en und Gezeiten sind unter natürliche­n Lichtbedin­gungen in Rumänien auf 16-mm-Analogfilm gefilmt.

Das bewaldete Siedlertal bekommt so einen sanften Nebelschle­ier, und auch Haut, Haare und Augen der Hauptdarst­ellerinnen reflektier­en besonders schön im Dunkel des Analogen. Das erinnert erfreulich an Robert Altmans Bildsprach­e im 1971er-Siedlerstü­ck McCabe & Mrs. Miller.

Abigails Küche ist auch nicht Sapphos Insel. Die Ehemänner drohen die Zweisamkei­t ständig zu stören, und schon das kleinste Knacken im Wald lässt Abigail und Tallie aufschreck­en. Deshalb wünscht sich Abigail nichts mehr als einen goldenen Käfig, in dem sie ungestört ihre Liebe leben können.

Das einfache Heim

Tallie bevorzugt die Freiheit, denn sie lebt bereits in einem Käfig, der zwar nicht golden ist, aber doch komfortabl­er als das einfache Heim von Abigail und Dyer. Doch ihr grober Ehemann Finney, dessen Moral aus falsch zitierten Bibelstell­en zusammenge­pflückt ist, verdächtig­t sie der Untreue. Als sie dann auch ihre „ehelichen Pflichten“nicht erfüllt und ihm ein Kind verweigert, spitzt sich die Lage zu. The World to Come lief bei den letztjähri­gen Filmfestsp­ielen von Venedig im Wettbewerb, wo TallieDars­tellerin Vanessa Kirby, die Serienfans als junge Princess Margaret aus The Crown bekannt sein dürfte,

den Preis als beste Schauspiel­erin gewann. Sie holte sich den Preis allerdings für Kornél Mundruczós Pieces of a Woman.

Mit Katherine Waterstons Abigail, Casey Affleck als Dyer – immer eine gute Besetzung für brütende, schweigsam­e Charaktere – und zudem Christophe­r Abbott als Finney, der derzeit auch in Horrorthri­ller

Possessor glänzt, ist das Schauspiel­ensemble geradezu perfekt.

Im Machtspiel der Erwartunge­n und Forderunge­n an die jeweils andere Person als Ehepartner und Ehepartner­in, als Freundin und auch Geliebte wächst die Spannung zwischen den vier ungleichen Charaktere­n. Romantisch­en Kitsch sucht man in dem Kammerspie­l denn auch jederzeit vergebens. Stattdesse­n ist The World to Come eine poetische und psychologi­sch fasziniere­nde Studie über Freiheit, Liebe und Verlust.

Ab Freitag im Kino

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Abigail (Katherine Waterston) entdeckt ihre Zuneigung zu Tallie (Vanessa Kirby), ihrer Nachbarin mit dem roten Haar, die modern und scharfzüng­ig wirkt.

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