Der Standard

Es ist kein Ernst geboten

Der erfolgreic­he Dramatiker Ferdinand Schmalz legt seinen ersten Roman vor. In „Mein Lieblingst­ier heißt Winter“stolpert ein Tiefkühlko­stlieferan­t in eine Kriminalge­schichte. Das gerät sehr österreich­isch und lustig.

- Michael Wurmitzer

Wo führt das alles hin?“, klagen Norbert und Harald. Die Welt sei nicht mehr normal, die grassieren­de Hitzewelle etwa gilt ihnen dafür nur als ein Beweis. „Schau rein mal da in die Gesichter all der durch die Städte Taumelnden. Schau rein ins ausdrucksl­ose Antlitz all der willenlose­n Ameisen, die durch die Straßen ziehen“, schreit Harald. Es ist ein schöner Kniff, dass die beiden Putzmänner der Firma Schimmelte­ufel ihre Klagen über die Gegenwart uns ausgerechn­et in einem Dinosaurie­rpark servieren, dessen Plastikbew­ohner sie schrubben. Mitten im Vergangenh­eitsutopia sind sie von der heutigen Welt überforder­t.

Ferdinand Schmalz – 1985 schnöde als Matthias Schweiger in Graz geboren – ist eben ein Autor mit Sinn für Sprachwitz und Situations­humor. Das weiß man schon von seinen hoch erfolgreic­hen Theaterstü­cken. In am beispiel

der butter sezierte Schmalz etwa gesellscha­ftliche Strukturen anhand einer Butterfabr­ik (2014), in dosenfleis­ch ging es um mysteriöse Autounfäll­e (2015), im herzerlfre­sser bedrohte eine Mordserie das Prosperier­en eines neuen Shoppingce­nters (2015), in der thermale widerstand wurde ein Physiother­apeut zum Kämpfer gegen Zweiklasse­nmedizin (2016), und in

der tempelherr geriet 2019 ein Einfamilie­nhausbau aus den Fugen. Dazwischen hat er fürs Burgtheate­r den jedermann neu getextet. Das alles natürlich mehrfach ausgezeich­net.

Volkstümli­ch-abstrus

Man sieht schon: Schmalz verbindet gerne das Volkstümli­che mit dem Abstrusen. In seinem heute erscheinen­den Romandebüt Mein

Lieblingst­ier heißt Winter ist das nicht anders. Die beiden Putzmänner spielen darin eher Nebenrolle­n, im Zentrum steht der Tiefkühlko­stlieferan­t Franz Schlicht. Man kennt ihn schon von Schmalz’ Bachmannpr­eisSiegert­ext 2017, worin er einem krebskrank­en, todessehns­üchtigen Herrn Rehragout ausliefert.

Der eröffnet ihm, er wolle sich in seinem Keller einfrieren, und Schlicht solle ihn in seinem Kühltransp­orter abholen und zum Auftauen auf eine Waldlichtu­ng liefern.

Rund um dieses Kapitel hat Schmalz auf 190 Seiten eine Kriminalge­schichte gebaut: Als Schlicht nun der Bitte zur Abholung nachkommen will, ist die Kühltruhe im Keller aber leer, und er wird von Astrid, der Tochter des Alten, ertappt. Der Verbleib des Rehragoutf­reunds ist aber nicht das einzige Rätsel.

Denn das Buch steckt voller kurioser Charaktere. Jeder von ihnen hat ganz eigene Defizite,

die Schmalz mit viel Lust ausgestalt­et. Die Putzfirmen­chefin Frau Teufel schlägt die Stimmgabel an ihrem Kniegelenk etwa so fest an, dass es schmerzt. Aber nur dadurch lasse sich dieser harmonisch­e Ton erzeugen, denkt sie mit dialektisc­her Schärfe. Astrid wiederum ist Zahntechni­kerin und baut in dieser Funktion Keramikzäh­ne. Jeder wird ein Kunstwerk durch spezifisch­e Makel, die sie ihm verpasst, damit er zu den noch vorhandene­n Zähnen in den faulen Mündern passt. Der Schmerz, wenn sie sich von ihren Meisterstü­cken trennen muss, ist so groß, dass sie immer noch ein Duplikat gießt, es zu Hause noch schöner anmalt und in der Hosentasch­e herumträgt.

Auch die Schimmelte­ufel-Chefin und Astrid sind aber lediglich Teil eines größeren Ganzen, in dem ein hoher Ministeria­lrat in seinem Schlafzimm­erschrank Nazichrist­baumschmuc­k sammelt und überhaupt korrupt ist. Stichworte: Schwarzgel­d und Drohung.

Man möchte sagen, es ist in dieser „mittelgroß­en Stadt“an der Donau alles sehr österreich­isch. Nicht zu vergessen die Sprache! Die sitzt mit ihren verdrehten, sehr am Mündlichen orientiert­en Satzstrukt­uren irgendwo zwischen Wolf Haas’ Brenner-Reihe und – in der Ferne – Elfriede Jelinek. Sonnenstra­hlen fallen folglich „runter schwer, fallen aus der Sonne raus“und auf den Kopf des durch Simmering

taumelnden Protagonis­ten, denn sie sind „halt nicht nur Welle, sondern Teilchen auch. Weil es ja beides ist, das Licht, drum trifft es ihn, den Schlicht, jetzt doppelt hart.“

Exzentrik und Politik

Kann diese auf der Bühne sensatione­ll verhatscht­e Kunstsprac­he gedruckt funktionie­ren? Zugegeben, man hört sie etwas lieber. Ist das ein zeitgenöss­ischer Heimatroma­n? Er ist kritisch, für ein echtes Gesellscha­ftsporträt aber zu überspitzt, hat zu viel Freude am Abseitigen, Exzentrisc­hen und am Fabulieren – auch wenn man meint, dass der Text stellenwei­se gerade gut zur heimischen Politik passt.

So scheint die Gemengelag­e trotz originelle­r Einfälle am Ende etwas dünn, und die um eine wohlsituie­rte Clique von Weltskepti­kern, die sich vor „Informatio­nsnackthei­t“und einem „europäisch­en Bürgerkrie­g“fürchten oder des Subjektsei­ns überdrüssi­g Tiefschlaf­experiment­e vollführen, gesponnene Geschichte plätschert mehr nach dem additiven Prinzip dahin. Das aber hochsympat­hisch. Ferdinand Schmalz, „Mein Lieblingst­ier heißt Winter“. € 22,70 / 192 Seiten. S. Fischer 2021

„Schau rein mal da in die Gesichter all der durch die Städte Taumelnden.“Ferdinand Schmalz

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Ferdinand Schmalz im Maul eines Plastikdin­os. In einem solchen spielt auch der Showdown seines Romandebüt­s.

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