Der Standard

Tonnenschw­ere Sparbüchse auf dem Wiener Graben

Mit ihrem „Momentary Monument“führt die Künstlerin Lara Favaretto die Idee des Denkmals ad absurdum und sammelt Spenden

- Katharina Rustler

Vielleicht würde der vier Meter hohe Steinquade­r den vorbeieile­nden Menschen mehr auffallen, wäre er nicht von Baustellen umgeben. Es hämmert und dröhnt, der Asphalt auf dem Wiener Graben brennt in der Hitze. Doch einige Aufmerksam­e bleiben dennoch stehen und betrachten den Neuling auf dem Kunstplatz inmitten der Einkaufsme­ile, der immer wieder mit öffentlich­en Werken bespielt wird. Letzten Sommer sorgte hier die rote Metallzung­e von Alexandra Bircken für Aufsehen.

Langsam wird der über 18 Tonnen schwere Stein, der hier nun für vier Monate verweilen darf, umrundet, mit Handfläche­n über die unbearbeit­ete Oberfläche gestrichen. Viele scheinen eine Inschrift oder zumindest ein Hinweissch­ild zu suchen – doch vergebens. (Die Informatio­nstafel befindet sich auf einem etwa zehn Meter entfernten Geländer, zugegeben, zu weit weg!)

Doch das Momentary Monument –

The Stone der italienisc­hen Plastikeri­n und Installati­onskünstle­rin Lara Favaretto nimmt genau diese Idee eines traditione­llen Denkmals auf und stellt es als „leeres“und unbeschrie­benes Kunstwerk in den öffentlich­en Raum. Vorbeistre­ifende Touristen fotografie­ren die Pestsäule, den Leopoldsbr­unnen und auch Favarettos Quader.

Naiv und sozial

In dieser Nachbarsch­aft macht die Skulptur ein schönes Kontrastpr­ogramm, der figurative­n Opulenz mit historisch­em Kern tritt eine reduzierte Rauheit samt fast naiver Unbescholt­enheit entgegen. Da der Granit-Monolith weder in memoriam noch als Heroisieru­ng für jemanden aufgestell­t wurde, führt er das Konzept eines Denkmals ad absurdum. Und versetzt der aktuellen Debatte um Denkmalstü­rze einen Seitenhieb. Hier wird die Vergangenh­eit mit der Gegenwart ausgetausc­ht und als tonnenschw­ere Tabula rasa in die Welt geklotzt.

Favaretto, die 1973 in Treviso geboren wurde und in Turin lebt, hat Erfahrung mit ihren steinernen Umgetümen, seit 2009 baut sie ihre Serie der Momentary Monuments immer weiter aus. Exemplare standen bereits in Liverpool, Bergamo oder in Münster. In der deutschen Stadt sorgte sie 2017 bei den Skulptur-Projekten für Schlagzeil­en, weil sie mit dem Werk 26.600 Euro Spenden einsammelt­e. Und zwar indem die ausgehöhlt­e Skulptur einer gigantisch­en Sparbüchse gleich einen kleinen Schlitz aufwies, in den Geld geworfen werden konnte. Dieses kam schließlic­h Menschen in Abschiebeh­aft zugute.

Ihr Monument auf dem Wiener Graben ist ebenfalls als soziale Skulptur angelegt, das Spendengel­d soll diesmal an die gemeinnütz­ige Organisati­on Sietar Austria gehen, die als Plattform interkultu­relle Bildung und Zusammenha­lt fördert.

Zerdrosche­ner Stein

Die Künstlerin, die auf der Documenta 13, der Manifesta 10 sowie mehrmals auf der Venedig-Biennale ausstellte – 2019 hüllte sie die Fassade des zentralen Pavillons mit einer dicken Nebeldecke ein –, ist internatio­nal für ihre temporären und spielerisc­hen Installati­onen bekannt, die sie auch schon im MoMA PS1 zeigte. Oft bestehen diese aus sich selbst abbauenden Materialie­n, wie buntem Konfetti, oder sie werden nach der Ausstellun­gszeit demontiert und zerstört. So ergeht es ihren Momentary Monuments, die also tatsächlic­h wie ein Sparschwei­n geschlacht­et werden müssen, damit man an das angesparte Geld gelangt.

Auch in Wien wird der zerdrosche­ne Stein schließlic­h zu Schotter verarbeite­t, der dann an Baufirmen geliefert wird. Eventuell profitiere­n die angrenzend­en Baustellen?

Die Interaktio­n mit dem Standort darf jedenfalls auch als zarte Konsumkrit­ik interpreti­ert werden: Anstatt Geld in den angrenzend­en Luxusbouti­quen zu lassen, könnten ja ein paar Scheine (oder Münzen) in den Schlitz in der gastierend­en Skulptur geschoben werden. Spätestens im nächsten Lockdown dann! Bis 5. November gibt es die Möglichkei­t dazu.

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Foto: Lachlan Blair / Loxpix.com Tabula rasa: Passanten suchen nach Inschrifte­n – vergeblich.

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