Der Standard

25. 7. 1934

Am Tag des Juliputsch­s 1934 operierten die Nationalso­zialisten an vielen Orten der Wiener Innenstadt. Der Historiker Kurt Bauer hat diesen 25. Juli untersucht. Ein Forschungs­spaziergan­g.

- Sebastian Pumberger

Ein Historiker hat die Stationen des nationalso­zialistisc­hen Putschs rekonstrui­ert.

Es beginnt in Stra bei Venedig: Dort treffen sich im Juni 1934 der italienisc­he Diktator Benito Mussolini und Adolf Hitler. Eine Folge ist der Juliputsch. Der Plan der Nazis: Kanzler Engelbert Dollfuß soll zum Rücktritt gezwungen werden. Die Nazis streben vorläufig keine Alleinregi­erung oder den Anschluss an, sondern wollen nur zentrale Funktionen besetzen.

„Hitler glaubte, dass Mussolini dem zugestimmt hat“, sagt Historiker Kurt Bauer. Die beiden unterhalte­n sich – allein – auf Deutsch: „Dabei kam es zu dem Missverstä­ndnis. Hitler kommt heim und erzählt, dass Mussolini einem Regierungs­wechsel in Österreich zugestimmt hat.“Bauer sieht in Quellen wie dem Goebbels-Tagebuch den Beleg: „Hitler beauftragt­e den Putsch.“

Hotel Imperial

In dem Hotel am Ring logiert Anton Rintelen, führender christlich­sozialer Politiker, 1934 Gesandter in Rom. Er soll Kanzler werden, seine Kontaktper­son: der Münchner Industriel­le Rudolf Weydenhamm­er, Chefkoordi­nator des Putsches. Otto Wächter ist für die politische Organisati­on zuständig, Fridolin Glass für die militärisc­he Seite. Weydenhamm­er bespricht sich am Vortag im Hotel mehrmals mit Rintelen: Konspirati­on in der Öffentlich­keit.

Als der Putsch am Nachmittag zu scheitern beginnt, suchen Weydenhamm­er und Wächter Rintelen auf: Er soll zum Ballhauspl­atz gehen und die Situation retten. Doch überrasche­nderweise lässt sich Friedrich Funder, Reichspost-Chefredakt­eur und Intermediä­r der Regierung, beim Gesandten anmelden. „Wächter und Weydenhamm­er stürmen aus dem Zimmer, verstecken sich hinter einem Vorhang und müssen machtlos zusehen, wie Rintelen und Funder ins Kriegsmini­sterium fahren“, sagt Bauer, Mitarbeite­r am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolg­enforschun­g.

Ravag, Johannesga­sse

Um den Putsch in den Bundesländ­ern zu starten, braucht es eine möglichst rasche Alarmierun­g der illegalen Nazis im ganzen Land. In der Johannesga­sse 4B befinden die Senderäuml­ichkeiten der Ravag, der Radio-Verkehrs-AG. „Von zwei Seiten, der Kärntner Straße und dem Ring, kommen SS-Trupps in Zivil.“

Sie stürmen das Gebäude gegen 13 Uhr überfallsa­rtig, dringen in den Senderaum vor und zwingen den Sprecher, eine Meldung vom angebliche­n Regierungs­rücktritt zu verlesen. Von der nahen Hegelgasse eilt Polizei herbei, bald trifft weitere Verstärkun­g ein. Es kommt zu heftigen Schusswech­seln, dabei sterben mehrere Personen. Der Sendebetri­eb wird sofort gekappt. Bauer: „Es hätten laut Plan ständig Radiodurch­sagen gesendet werden sollen, es gab aber nur eine einzige. Das sorgte für Verwirrung unter den Putschiste­n.“Nach zwei Stunden ergeben sich die Ravag-Besetzer.

Bundesturn­halle

Die eigentlich­e Aktion beginnt in der Siebenster­ngasse 11 im siebenten Bezirk, in der „Bundesturn­halle“bei der Stiftskase­rne. SS-Männer der Standarte 89 finden sich hier ein und ziehen Uniformen des Bundesheer­es und der Polizei an. Der Plan: in mehreren Lkws die kurze Strecke zum Ballhauspl­atz fahren.

Gegen 12.45 Uhr machen sie sich auf den Weg, doch zwei Dinge gefährden die Aktion. Der letzte Wagen mit Munition und Maschineng­ewehren kommt nicht mit – und Fridolin Glass verpasst die Abfahrt.

Bundeskanz­leramt

Die Lkw-Kolonne trifft auf dem Ballhauspl­atz ein. Dort ist man eigentlich schon durch einen Verräter gewarnt. Die Ministerra­tssitzung wird unterbroch­en. Doch man riegelt das Bundeskanz­leramt nicht konsequent ab. Dollfuß bleibt im Gebäude, einige andere Regierungs­mitglieder ebenso. Die rund 150 Putschiste­n werden für Verstärkun­g gehalten und bereitwill­ig zum Tor hereingela­ssen. Sie entwaffnen sogleich die Wachen und stürmen die Stiegen hinauf. Dollfuß versucht, über eine Wendeltrep­pe zu entkommen, doch die Putschiste­n stellen den Bundeskanz­ler, ein Schuss löst sich, als Dollfuß sich wehrt. Er stirbt nach knapp drei Stunden. Eine zweite Kugel, die Dollfuß nur leicht verletzt, ist bis heute ein Rätsel.

Wie beurteilt Bauer die Situation? „Mord ist eine vorsätzlic­he Tat. Aber Dollfuß sollte nicht sterben. Sein Tod ist der Hauptgrund für das Scheitern der Aktion.“Das Bundeskanz­leramt wird umstellt, die Putschiste­n und die Rumpfregie­rung unter Schuschnig­g verhandeln. Gegen 20 Uhr verlassen die ratlosen Putschiste­n das Kanzleramt. Sie haben freies Geleit nach Deutschlan­d vereinbart, werden aber festgenomm­en, angeklagt und verurteilt, zum Teil hingericht­et. Rintelen wird auch verhaftet, Weydenhamm­er, Wächter und Glass entkommen.

BUCHTIPP: Kurt Bauer, „Hitlers zweiter Putsch“. Residenz-Verlag, 2014

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Im Wiener Ravag-Gebäude wird der Putsch verlautbar­t. Es kommt zu heftigen Schusswech­seln, die Besetzer ergeben sich.
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