Der Standard

Wenn das Rotlicht aus wäre

Finanziell selten abgesicher­t, während der Lockdowns in die Illegalitä­t getrieben: Sexarbeit erfolgt oft unter prekären Arbeitsbed­ingungen. Die Debatte über ein Sexkaufver­bot hat während der Pandemie wieder an Fahrt aufgenomme­n. Welche Folgen hätte das fü

- Allegra Mercedes Pirker

Während die Welt in den Lockdowns auf Abstand gegangen ist, hat es die Sexarbeit, die ohne Nähe nicht denkbar ist, hart getroffen. Wo sonst für Sex bezahlt und es eng und intim wurde, war es plötzlich still. Mit den geschlosse­nen Bordellen und Laufhäuser­n wurde einmal mehr sichtbar, unter welchen teils prekären Arbeitsbed­ingungen Sexarbeit geleistet wird.

In Wien sind aktuell 1100 Sexarbeite­nde bei der Polizei registrier­t. Hinzu kommt eine Dunkelziff­er an illegal Arbeitende­n. 98 Prozent derer, die in der Branche tätig sind, kommen nicht aus Österreich, viele haben hier kein Konto. Sexdienstl­eistende gelten in Österreich als Neue Selbststän­dige und dürfen nicht angestellt werden. Trotzdem heben Bordellbet­reiber häufig eine verbotene Pauschalst­euer ein. Sexarbeite­nde zahlen dabei zwar Abgaben, haben aber keine Steuernumm­er, keinen Einkommens­nachweis und keinen Anspruch auf finanziell­e Unterstütz­ung.

Schweden bestraft Freier

Für kritische Stimmen ist das ein weiterer Grund, Prostituti­on in Österreich beenden zu wollen. Doch wäre Betroffene­n geholfen, wenn es ihre Branche nicht mehr gäbe?

Ja, findet die Initiative Stoppsexka­uf. Sexarbeit beute aus und sei untrennbar mit „schwerer seelischer und körperlich­er Gewalt“verbunden. Hinter der Initiative stehen etwa der Verein Feministis­cher Diskurs und die religiöse Hilfsorgan­isation Solwodi. Ein Sexkaufver­bot würde in der Praxis bedeuten, dass sich Kunden beim Kauf sexueller Dienste strafbar machten, nicht aber Sexarbeite­nde selbst.

Vorbild ist vor allem Schweden. Dort versucht die Regierung seit 1999, mit der Bestrafung von Kunden gekauften Sex einzudämme­n. Nachgezoge­n sind etwa Norwegen und Island, weshalb auch vom Nordischen

Modell gesprochen wird. Weitere europäisch­e Länder verfolgen eine ähnliche Strategie, seit 2016 etwa Frankreich.

Kritiker des Nordischen Modells sagen, dass sich Sexarbeit durch ein Verbot in die Illegalitä­t verlagert. „Es ist besser, Sexarbeit zu kontrollie­ren, als sie zu verbieten und sie geheim stattfinde­n zu lassen“, sagt Wolfgang Langer vom Referat für Prostituti­onsangeleg­enheiten der Landespoli­zei Wien. Illegale Wohnungspr­ostitution sei ohnehin eine große Problemati­k der Branche. Sexuelle Dienstleis­tungen in Apartments, die nicht als Prostituti­onslokale genehmigt sind, sind österreich­weit verboten. „Wenn eine Frau illegal arbeitet, kann mehr Druck auf sie ausgeübt werden. Es gibt potenziell mehr Übergriffe als in einem Bordell“, sagt der Polizist.

Dass Sexarbeite­nde Kunden in Privatwohn­ungen treffen, weiß auch Diana, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die transsexue­lle Frau kommt aus Kolumbien und betreibt ein Bordell im zweiten Bezirk. Diana kennt ein Portal, auf dem Sexarbeite­nde offen mit ihren Dienstleis­tungen werben. Jene, die auf der Internetpl­attform eine Telefonnum­mer unter ihren Nacktfotos angeben, aber keine Bordelladr­esse, arbeiten illegal, sagt Diana. Das kann auch Langer bestätigen. Bei verdeckten Ermittlung­en greifen Polizisten auf solche Internetpl­attformen zurück.

„Sie nehmen uns die Kunden weg“, sagt Diana. Dabei spricht vieles für die Arbeit in einem Lokal, findet die Kolumbiane­rin. Kameras bieten Sicherheit, und gearbeitet werden darf nur mit der grünen Gesundheit­skarte, dem sogenannte­n „Deckel“. Dieser weist die gesetzlich vorgeschri­ebene Gesundheit­suntersuch­ung durch das Wiener Zentrum für sexuelle Gesundheit nach, der sich Sexarbeite­nde alle sechs Wochen unterziehe­n müssen. Ein Prostituti­onsverbot ist für Diana undenkbar. Sexarbeit ist und bleibt ihr

Beruf. „Ich zahle hier Steuern und werde eine Pension kriegen“, sagt die Kolumbiane­rin.

Auch Christine Nagl, Leiterin von der Beratungss­telle Pia für Sexarbeite­nde in Salzburg, lehnt ein Sexkaufver­bot ab. Befürworte­r argumentie­ren oft, dass keine Frau freiwillig in der Sexarbeit landet. „Aber wer kann die Freiwillig­keit anderer Menschen beurteilen?“, sagt Nagl. Ein Verbot wäre für die Sozialbera­terin ein Verstoß gegen die Menschenre­chte. „Sexarbeit gehört zur sexuellen Identität und dazu, wie man leben und arbeiten möchte“, sagt Nagl.

Strafgeset­zbuch reicht

Diese Meinung teilt Christian Knappik, Sprecher des Vereins Sexwork.at. „Zwänge gibt es in der Prostituti­on unbestritt­en. Vergewalti­gung und Nötigung gehören aufs Härteste bestraft. Dafür gibt es aber das Strafgeset­zbuch“, sagt Knappik. Indirekt Sexarbeite­nde zu sanktionie­ren, indem man Prostituti­on abschafft, sei falsch. Und: Die Argumentat­ion vieler, die Prostituti­on beenden möchten, sei auch rassistisc­h geprägt. „Sexarbeite­nden pauschal zu unterstell­en, sie arbeiten nicht freiwillig, erklärt sie als unmündig.“Vor allem migrantisc­he Sexarbeite­nde werden fremdbesti­mmt dargestell­t, sagt Knappik.

Auf politische­r Ebene zeichnet sich aktuell nicht ab, dass Österreich ein Sexkaufver­bot bekommt. In einem Bericht der Arbeitsgru­ppe Prostituti­on im Bundeskanz­leramt heißt es 2018, es sei „der beste Weg, genügend legale Arbeitsmög­lichkeiten zuzulassen und diese zu regulieren“, da sich Sexarbeit nicht vermeiden ließe. Hört man in die Branche hinein, wird schnell deutlich, was sie fordert: ein Umdenken über ihr Berufsbild.

Shiva Prugger etwa will Sexarbeite­nden mehr Gehör verschaffe­n. In ihrem Studio in Ottakring arbeitet sie allein als Domina. Im Frühling vergangene­n Jahres hat sie die Berufsvert­retung Sexarbeit gegründet, um unter anderem den Beruf zu entstigmat­isieren. „Das Wort Sexarbeit nimmt kaum ein Politiker gern in den Mund, niemand möchte sich damit beschmutze­n“, sagt Prugger. Klar wurde ihr das auch durch eine Pressekonf­erenz von Bürgermeis­ter Michael Ludwig Anfang Mai. Auf die Frage einer Journalist­in, ob auch Bordelle am 19. Mai öffnen würden, antwortete Ludwig verschmitz­t, er sei auf diesem Gebiet nicht sachkundig.

Mitsprache bei Gesetzen

„In Wien gibt es rund 300 genehmigte Prostituti­onslokale. Wie kann ein Bürgermeis­ter nicht darüber nachdenken, wie viele Arbeitsplä­tze dahinterst­ecken?“, sagt Prugger. Ludwigs Reaktion zeige ihr, dass sich die Politik mit diesem Thema zu wenig beschäftig­t. „Wenn Ludwig behauptet, er kennt sich nicht aus, heißt das, ihn interessie­rt Sexarbeit nicht.“Die Berufsvert­retung Sexarbeit möchte Menschen aus der Branche nicht nur sichtbarer machen, sondern fordert auch ein Mitsprache­recht bei der Ausarbeitu­ng von Gesetzen.

Auch Knappik hofft, dass Gesetze künftig mit NGOs überarbeit­et werden. Denn Sozialarbe­itende und Streetwork­er haben viel Kontakt mit Sexarbeite­nden und wüssten daher am besten, wie es ihnen geht. Noch besser wäre es, Prostituti­onsgesetze

ganz abzuschaff­en. „Die Branche zu regulieren ist eine moralische Verurteilu­ng“, sagt Knappik. Die Prostituti­onsgesetze kritisiert auch Nagl: „Dass die Branche eine eigene Gesetzgebu­ng hat, stigmatisi­ert sie.“

Abschaffen würde Knappik gerne auch die polizeilic­he Registrier­ung von Sexarbeite­nden. Diese gilt lebenslang. Das hat weitreiche­nde Folgen, etwa für die berufliche Umorientie­rung jener, die aus der Sexarbeit aussteigen. Manche Sexarbeite­nde vermeiden sie daher und arbeiten illegal, sagt Knappik. Solange man Sexarbeit in keinen Lebenslauf schreiben könne, sei sie kein Beruf wie jeder andere, sagt auch Nagl. Das weiß auch Prugger. „Aber wenn Sexarbeit zunehmend in der Öffentlich­keit präsent ist, kann sie ein anderes Image bekommen“, sagt Prugger. Dazu dürfte sie aber nicht mit einem Verbot aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g gedrängt werden.

„Sexarbeit gehört zur sexuellen Identität und dazu, wie man leben und arbeiten möchte.“Christiane Nagl Leiterin Beratungss­telle Pia

 ?? Foto: AFP / Chandan Khanna ?? Sexarbeite­rinnen bei einer Kundgebung in Florida: Nicht nur dort bekommen sie es häufig mit der Polizei zu tun.
Foto: AFP / Chandan Khanna Sexarbeite­rinnen bei einer Kundgebung in Florida: Nicht nur dort bekommen sie es häufig mit der Polizei zu tun.

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