Der Standard

Laster ohne Lenker

Der Mangel an Lastwagenf­ahrerinnen und -fahrern treibt nicht nur in Großbritan­nien seltsame Blüten. Auch in Italien und Österreich werden händeringe­nd Männer und Frauen gesucht, die sich hinters Steuer setzen. Doch der Job gilt als stressig und schlecht b

- Johannes Lau

Was es bedeutet, wenn es in der Lieferkett­e knirscht, kann die Welt derzeit musterhaft an Großbritan­nien beobachten. Von zahlreiche­n Engpässen auf der Insel ist zu hören: In den Supermärkt­en bleiben die Regale leer, in zahlreiche­n Pubs sprudelt kein Bier mehr, und diverse Fastfoodri­esen beklagen bereits Nachschubp­robleme bei Milchshake­s und Co. Das liegt jedoch weniger an einem Mangel an Produkten, sondern vielmehr fehlt es an Personal — es finden sich keine Lkw-Lenkerinne­n und -Lenker mehr.

Ein Grund dafür ist im Brexit zu suchen. Viele ausländisc­he Lastwagenf­ahrer haben sich aus dem Vereinigte­n Königreich verabschie­det. Dem Logistikve­rband Road Haulage Associatio­n zufolge fehlt es aktuell an rund 100.000 Lenkerinne­n und Lenkern. Eine Lücke, die nur sehr schwer zu füllen ist: Bedingt durch den Austritt der Briten aus der Europäisch­en Union, braucht es zur Anwerbung von neuen Steuermänn­ern und -frauen aus dem Ausland Visaverfah­ren. Und die sind aufwendig und nicht eben günstig. Die britischen Transportu­nternehmen müssen sich also wieder mehr im eigenen Land umsehen. So hat das Wirtschaft­sministeri­um in London dazu aufgerufen, verstärkt Einheimisc­he als Fahrer einzustell­en.

Dass der Truckerman­gel zu einem großen Beschäftig­ungsprogra­mm für britische Staatsbürg­er wird, ist aber zu bezweifeln, sagt Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportw­irtschaft und Logistik an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien: „Der Fahrerjob ist insgesamt so unattrakti­v geworden, dass es auch dort an Nachwuchs mangelt.“Somit verschärft der Brexit offenbar nur eine Entwicklun­g, die sich auch in der EU beobachten lässt. Italien etwa klagt ebenfalls. Dort ist derzeit von einem Defizit von 17.000 Fahrern die Rede. Zur Lösung des Problems will man aber den umgekehrte­n Weg gehen als in Großbritan­nien: So fordern die Fachverbän­de vermehrte Arbeitsgen­ehmigungen für Ausländer. Zudem wurde in der Lombardei ein Programm gestartet, das mit insgesamt fünf Millionen Euro Neueinstel­lungen und Fahrerausb­ildungen subvention­iert.

Das Freiheitsg­efühl ist weg

Aber nicht nur bei den italienisc­hen Nachbarn ist das Problem akut. In Österreich sei die Situation zwar derzeit noch nicht ganz so angespannt, aber das könnte sich in nächster Zeit ändern, mahnt Kummer: „Noch schlägt das nicht auf die Lieferkett­en durch, aber die Transportu­nternehmen haben jetzt schon erhebliche Schwierigk­eiten, zuverlässi­ges und qualifizie­rtes Personal finden. In den nächsten Jahren werden viele Fahrer in Pension gehen, aber es kommen kaum welche nach.“

In der Vergangenh­eit habe es in dem Beruf sehr gute Verdienstm­öglichkeit­en gegeben, was aber durch die Fahrzeiten­regelungen immer mehr eingeschrä­nkt wurde. Ohnehin sei durch die zahlreiche­n Regulierun­gen und Kontrollen das Freiheitsg­efühl, das einst noch mit dem Dasein als Trucker verbunden wurde, abhandenge­kommen: „Früher haben sich die Fahrer sehr selbstbest­immt gefühlt. Jetzt herrscht vor allem Stress. Die Anforderun­gen sind extrem gestiegen, und die Bezahlung ist relativ gesunken.“Hier setzt nun aber der EU-Mobilitäts­pakt an, der heuer am 20. August in Kraft getreten ist: Die europäisch­en LkwFahrer sollen bessere Arbeitsbed­ingungen bekommen, und unfairen Wettbewerb will man zunehmend verhindern.

In Österreich macht sich der wachsende Fahrermang­el bedingt durch den aktuellen Aufschwung noch zusätzlich bemerkbar, berichtet Wolfgang Böhm, Fachgruppe­nobmann der Transporte­ure in der Wirtschaft­skammer Wien: „Die wirtschaft­liche Lage für unsere Transporte­ure wird besser, man merkt, dass wieder Bewegung ins Land kommt. Dies bedeutet auch, dass Waren, Baustoffe und Geräte bewegt werden müssen. Damit wir das Auftragsvo­lumen erfüllen können, benötigen wir mehr Fahrerinne­n und Fahrer.“

An der Weiterbild­ung arbeiten

Deshalb hat die Wirtschaft­skammer angekündig­t, die Zusammenar­beit mit dem Arbeitsmar­ktservice weiter auszubauen. Das AMS fördert daher nun Personen mit C-Führersche­in und Einstellun­gszusage, die aber noch die Weiterbild­ung zum Berufsfahr­er benötigen. Petra Draxl, Geschäftsf­ührerin des AMS Wien, erläutert die Maßnahmen: „Wir wollen sowohl Personen mit als auch ohne C-Führersche­in ansprechen und sie den Unternehme­n vorstellen. Für Personen, die dann eine Einstellun­gszusage bekommen, gibt es die Möglichkei­t für unterschie­dliche Förderunge­n. Wenn ein Unternehme­n und ein Fahrer gut zusammenpa­ssen, dann soll es an der Weiterbild­ung nicht scheitern.“

Für Arbeitssuc­hende ohne C-Führersche­in, aber mit dem Wunsch, Lkw-Fahrer zu werden, gibt es ebenfalls die Möglichkei­t einer Förderung. Im Rahmen des Projekts „Friends on the Road“übernimmt das AMS die Kosten für bis zu 100 C-Führersche­in-Ausbildung­en. „Auch hier gilt: Kommt es zu einer Einstellun­gszusage, kann man im Rahmen dieses Projekts gefördert werden“, sagt Wolfgang Böhm.

Nicht abschrecke­n lassen

Jedoch ist dieser Berufsweg tatsächlic­h sinnvoll, wenn die Fahrer womöglich bereits in Zukunft durch selbstfahr­ende Lkws ersetzt werden? Sebastian Kummer meint, dass das Interessie­rte nicht abschrecke­n sollte. Denn bis sich das autonome Fahren

20, Anm.) durchgeset­zt habe, werde es noch einige Zeit dauern. Und selbst dann werden immer noch Menschen mit logistisch­em Know-how gebraucht: „Vielleicht müssen wir den Lenkerberu­f neu definieren und die Fahrer- mit einer Logistiker­ausbildung verbinden. Schließlic­h sind die Lenker ja in Wirklichke­it für viel mehr zuständig als nur für die Steuerung des Fahrzeugs.“

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Das Trucker-Kapperl wollen sich immer weniger Menschen aufsetzen. Regulierun­gen und geringer Lohn bei hohen Anforderun­gen haben den Job unattrakti­v gemacht.

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