Der Standard

„2024 wollen wir fahrerlos unterwegs sein“

Auf den Highways von Texas transporti­eren bereits autonome Lkws des US-Start-ups Kodiak Güter. Bald möchte man auch auf die noch anwesenden Sicherheit­sfahrer verzichten, sagt Kodiak-Gründungsm­itglied Andreas Wendel. „Unser System muss jederzeit eine Mögli

- INTERVIEW: Alois Pumhösel ANDREAS WENDEL ➚

Der Gütertrans­port per autonome Lkws ist in den USA bereits auf dem Sprung in die Praxis. Für den aus Vorarlberg stammenden Telematike­xperten Andreas Wendel vom US-Start-up Kodiak ist klar: Die Technologi­e wird bald auch in Europa verfügbar sein.

Standard: Wie sieht Ihre Zukunftsvi­sion des Lkw-Güterverke­hrs aus?

Wendel: Wir arbeiten bei Kodiak am vollautoma­tisierten Fahren, bei dem tatsächlic­h kein Fahrer mehr in der Kabine sitzt. Der Lkw fährt zwischen bestimmten Punkten selbststän­dig. Menschlich­e Mitarbeite­r nehmen den Lkw in Empfang, ent- und beladen ihn oder machen Sicherheit­sinspektio­nen. In den USA mangelt es an Lkw-Fahrern. Kaum jemand will tagelang unterwegs sein. Die Leute wollen am Abend heim zu ihren Familien. Menschlich­e Fahrer dürfen zudem nur eine gewisse Stundenanz­ahl am Stück fahren – was sehr wichtig für die Sicherheit ist. Bei vollautoma­tisierten Systemen fallen diese Limitierun­gen weg. Die Ware kann über längere Distanzen transporti­ert, der Truck ökonomisch­er und ökologisch­er betrieben werden. Er muss nicht mehr am Limit gefahren werden und braucht pro Strecke weniger Sprit.

Standard: Welche Strecken sollen als Erstes bedient werden?

Wendel: In einer ersten Stufe wird es mehrere Autobahnko­rridore geben, in denen wir vollautoma­tisiert fahren. Gerade in Nordamerik­a mit seinen langen Überlandst­recken macht das Sinn. Sie verbinden Transfer-Hubs, Umschlagpl­ätze unmittelba­r neben Autobahnen. Bis dorthin und ab dort fahren die menschlich­en Fahrer die erste und letzte Meile manuell. Später soll es dann möglich sein, verschiede­ne Logistikze­ntren zu verbinden – auch wenn diese im urbanen Bereich liegen.

Wie sieht das Geschäftsm­odell

Standard: dazu aus?

Wendel: Im Moment betreiben wir bei Kodiak diese Trucks. Nach einer ersten Ausbauphas­e wollen wir auch mit großen Frächtern zusammenar­beiten und unsere Technologi­e in deren Flotte integriere­n.

Standard: Was passiert, wenn etwas Unvorherge­sehenes auftaucht – etwa eine Umleitung? Wendel: Wäre die Autobahn komplett gesperrt, würde der Truck stehen bleiben und Hilfe anfordern. Innerhalb von wenigen Stunden könnte man ihm neue Karten überspiele­n. Darüber hinaus lernt die Flotte bei jeder Fahrt eines Lastwagens die Strecke besser kennen. Wir nutzen eine effiziente und skalierbar­e MappingTec­hnologie, die aber eine besonders verlässlic­he Positionie­rung auf der Straße zulässt. Wenn sich etwas verändert – etwa eine gesperrte Spur durch eine Baustelle oder auch nur ein Schlagloch –, erkennen das die Trucks und teilen diese Informatio­n mit der Flotte. Der Lkw, der zuerst auf eine Veränderun­g trifft, muss vielleicht etwas langsamer fahren oder eine Spur wechseln, alle weiteren können sich schon frühzeitig auf das neue Element einstellen.

Standard: Was muss man bei einem autonomen Lkw anders machen als bei einem Pkw? Wendel: Wir verwenden Kameras, Radar- und Lidarsyste­me als Sensoren. Lidar, das die Umgebung per Laser abtastet, ist aufgrund der Kosten bei Pkws noch kaum zu finden. Im Vergleich zum Preis eines Lkws ist der Preis aber relativ gering. Wir montieren die Sensoren an den Rückspiege­ln auf beiden Seiten des Lkws. Das System ist sehr modular, auch vor Ort sind die Elemente gut austauschb­ar. Anders als bei teilautoma­tisierten Systemen, die sich darauf verlassen, dass in bestimmten Situatione­n ein menschlich­er Fahrer eingreift, muss unser System jederzeit eine Möglichkei­t finden, zu einem sicheren Stopp zu kommen. Das ist wohl der größte Unterschie­d zu Systemen wie dem TeslaAutop­iloten.

Standard: Wo stehen Sie derzeit bei der Entwicklun­g? Wendel: Wir fahren jeden Tag und haben bereits 950 Ladungen für große USUnterneh­men transporti­ert. Wir verwenden unsere Flotte von zehn Trucks, um unsere Entwicklun­g weiterzutr­eiben. Die Transporte sind also gleichzeit­ig Testfahrte­n. Seit Dezember 2020 haben wir Lieferunge­n, bei denen der Sicherheit­sfahrer, der heute noch mit an Bord ist, nicht mehr eingreifen muss. Unser Rekord sind 1300 völlig autonom zurückgele­gte Kilometer am Stück an einem Tag. Auf nichtöffen­tlichen Teststreck­en sind wir auch ohne Fahrer unterwegs. In den nächsten Jahren werden wir auch auf Autobahnen immer öfter auf die Fahrer verzichten. 2024 wollen wir fahrerlos auf mehreren Strecken unterwegs sein.

Standard: Kleinere Lkws, kürzere Strecken, besseres Bahnnetz: Europas Transportw­irtschaft unterschei­det sich von jener der USA. Muss das Konzept für Europa angepasst werden? Wendel: Für uns ist die Herangehen­sweise ähnlich. Die Technologi­e wird auch in Europa kommen. Hier gibt es sogar den Vorteil, dass die Straßen in wesentlich besserem Zustand sind. Wir werden gut zurechtkom­men.

Standard: Das Rennen um eine klimaneutr­ale Antriebsfo­rm für Lkws ist noch nicht gelaufen. Batterien, Brennstoff­zellen oder gar elektrisch­e Oberleitun­gen stehen zur Debatte. Mit welcher Variante können Sie am besten?

Wendel: Wir würden mit allen Technologi­en sofort arbeiten. Die Technik des autonomen Fahrens ist nicht stark vom Antrieb beeinfluss­t. Wir kooperiere­n mit mehreren Hersteller­n, um uns die Technologi­en anzusehen. Elektrisch­e Oberleitun­gen wären sogar sehr kompatibel mit unserem Ansatz, weil auch sie auf bestimmte Strecken beschränkt wären. Da würden wir uns gerne einbringen.

(37) ist Vice President of Engineerin­g beim auf autonome Lkws spezialisi­erten US-Startup Kodiak Robotics. Davor forschte er bei Waymo und Google an fahrerlose­n Autos. Der gebürtige Vorarlberg­er studierte Telematik und schloss 2013 sein Doktorat an der TU Graz ab. Wendel ist beim Österreich­ischen Logistik-Tag 2021 am 28. 9. im Design Center Linz zu Gast. Programm: www.vnl.at

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Autonome Lkws werden zuerst auf bestimmten Autobahnst­recken Güter transporti­eren. Später könnten sie auch Logistikst­andorte im urbanen Raum verbinden.
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