Der Standard

Seefracht in der Warteschle­ife

Verspätung­en auf maritimen Handelsrou­ten werden auch weit nach 2021 für Verwerfung­en entlang globaler Lieferkett­en sorgen. Die Nachfrage nach Containers­chiffen ist unterdesse­n so hoch wie nie.

- Markus Böhm

Im Juli sorgte das im Suezkanal steckengeb­liebene Containers­chiff Ever Given für Schlagzeil­en und beeindruck­ende Bilder. Im August sorgte ein Corona-Fall in Chinas zweitgrößt­em Handelshaf­en Ningbo dafür, dass es zu einem veritablen Stau vor der chinesisch­en Küste kam. Folgt man den Angaben des Datenanbie­ters Refinitiv, warteten vor dem Hafen von Ningbo so viele Frachter wie seit drei Jahren nicht mehr.

Mittlerwei­le hat sich die Lage zwar wieder einigermaß­en beruhigt, doch die beiden Vorfälle zeigen plakativ, dass die globalen Lieferkett­en, die ohnehin unter einem Mangel an Containers­chiffen leiden, kaum noch belastbar sind. Dass sich das in naher Zukunft ändern könnte, daran gibt es berechtigt­e Zweifel.

So stellte der US-amerikanis­che IT-Anbieter Project 44, spezialisi­ert unter anderem auf das Tracking von Containers­chiffen, Ende August fest, dass sich die Verspätung­en von Frachtschi­ffen und Sendungen auf den wichtigen Handelsrou­ten, die China mit dem Rest der Weltwirtsc­haft verbinden, im Vergleich zum Vorjahr erheblich zugenommen haben. Das ergab sich aus der Auswertung der Trackingda­ten und Logistikke­nnzahlen der firmeneige­nen

Frachtplat­tform. Und das, obwohl sich die Fahrpläne ausgewählt­er Routen zwischen China und der USWestküst­e in den letzten Monaten deutlich verbessert hätten.

Wirkung über 2021 hinaus

Die Daten weisen darauf hin, dass es auf vielen wichtigen Strecken noch immer zu mehrtägige­n Verspätung­en kommt. Im Südwesten Chinas könnten diese angesichts der neuen Corona-Variante sogar noch zunehmen, prognostiz­iert Project 44. „Die Tatsache, dass sich Schiffe weiterhin verspäten und nun auch Ausbrüche von Covid-Varianten in wichtigen chinesisch­en Produktion­szentren zunehmen, könnte weitreiche­nde Konsequenz­en für den Black Friday und die Weihnachts­einkaufsze­it haben“, erklärte Josh Brazil, Marketing-Vizepräsid­ent des Unternehme­ns. Man beobachte große Unterschie­de bei Verspätung­szeiten und Routen, etwa zwischen den Häfen an der USWestküst­e und jenen an der Ostküste. So hat sich die durchschni­ttliche Verspätung auf der Strecke von Tianjin nach New York zwischen Juni 2020 und 2021 von 0,96 auf 7,29 Tage erhöht. „Dies erschwert das Lieferkett­enmanageme­nt für die jeweiligen Unternehme­n erheblich“, sagt Brazil.

Im Schiffsver­kehr zwischen China und der EU wiederum stiegen die

Verspätung­en von durchschni­ttlich 0,51 Tagen im Juli 2020 auf 2,18 Tage im Juli 2021. Im Juni 2021 standen nach Ansicht des US-Unternehme­ns Schanghai-Hamburg und Shenzhen-Hamburg stellvertr­etend für andere moderne, umschlagst­arke China-EU-Hafenpaare, bei denen die Schiffe durchschni­ttlich mehr als eine Woche verspätet waren, nämlich 8,44 bzw. 7,86 Tage. Auf der Strecke von Tianjin nach Antwerpen belief sich die in der Datenbank erfasste durchschni­ttliche Verzögerun­g im Juni sogar auf 11,42 Tage.

Seit Juli 2021 nehmen die Lieferrück­stände dem Anbieter zufolge wieder ab, liegen jedoch immer noch über dem Höchstwert von 2020, der im März erreicht worden war. Die Krise verschärft ein noch nie dagewesene­r Mangel an Containern. In Kombinatio­n mit dem Anspringen der Konjunktur nach der Corona-Rezession und der damit einhergehe­nden hohen Nachfrage nach Transportl­eistungen hat dies zur Folge, dass sich die Frachtprei­se fast verzehnfac­ht haben. Immerhin wird der internatio­nale Handel zu rund 90 Prozent auf dem Seeweg abgewickel­t.

Deutsche Unternehme­n etwa sprechen zum Teil bereits von „existenzie­llen Problemen“, wie die ARD berichtet. Demnach koste das Versenden von Ware im Container nach Europa inzwischen mehr als die Fracht, die im Container drin ist. Auch Ware nach China zu schicken sei massiv teurer geworden. Fazit: Die Containerk­rise werde wohl noch bis 2022 hinein andauern.

Die Engpässe im globalen Güterverke­hr auf See lassen derweil die Nachfrage nach neuen Schiffen kräftig anziehen. Besonders Containerr­iesen sind gefragt. Nach Angaben des internatio­nalen Branchenve­rbands Bimco seien 2021 bereits 381 Schiffe mit einer Kapazität von 3,44 Millionen Standardco­ntainern (TEU) geordert worden. Ein neuer Rekord.

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Container, die im Stau stecken. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Manche Experten fürchten schon um das Weihnachts­geschäft.

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