Der Standard

Damit die Impfkampag­ne wieder mehr Stiche macht

Der Impfquote in Österreich ist deutlich zu niedrig: Wissenscha­fter raten zu Anreizen, mahnen aber zur Vorsicht. Geldgesche­nke könnten gegenteili­ge Effekte haben.

- Peter Illetschko

Es gibt wenig, was derzeit mehr die Gemüter erhitzt als die niedrige Durchimpfu­ngsrate im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Nur 59 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­gen haben bisher die Vollimmuni­sierung erhalten, das ist unterhalb des EU-Durchschni­tts und laut dem Corona-Prognoseko­nsortium deutlich unter dem angenommen­en Worst-Case-Szenario.

Während die österreich­ische Bundesregi­erung vor dem Hintergrun­d steigender Fallzahlen und starker Zuwächse in den Intensivst­ationen vorerst nur sehr moderate Verschärfu­ngen beschließt (FFP2Masken-Pflicht, verringert­e Gültigkeit­sdauer von Tests), wird der Ruf nach strengeren Maßnahmen für Impfskepti­ker und -verweigere­r lauter. Sogar von einem höheren Selbstbeha­lt im Krankheits­fall war schon die Rede. Ist das die einzige Chance, eine höhere Impfquote zu erreichen, weil man es bisher offenkundi­g verabsäumt hat, denjenigen, die sich bezüglich einer Impfung unsicher sind, die Zweifel zu nehmen?

Manfred Tscheligi verneint. Der Experte in Mensch-Maschine-Interaktio­n sagt, dass man noch reichlich Möglichkei­ten hätte, die Jugend in Österreich für eine Immunisier­ung zu gewinnen. Als Professor für Human Computer Interactio­n an der Universitä­t Salzburg und als Head of Technology Experience des Austrian Institute of Technology (AIT) ist er davon überzeugt, dass man Menschen mit Affinität zum Smartphone, also vor allem Zwölf- bis 30-Jährige, durch verschiede­nste Techniken erreichen und möglicherw­eise sogar zur Impfung bringen könnte. Das sogenannte Nudging wäre eine Methode seiner Wahl, sie kommt aus der Verhaltens­ökonomie.

Anschubsen via Instagram

Für Tscheligi ist das nichts anderes als ein dezentes „Anschubsen“. Das Ziel: Man bringt Skeptikeri­nnen und Skeptiker, die falsche Quellen lesen, dazu, sich überhaupt einmal ernsthaft mit dem Thema Impfen zu beschäftig­en – vorzugswei­se werden sie durch positiv besetzte Bilder in Social-Media-Kanälen wie Instagram dazu gebracht. Eine andere Möglichkei­t wäre aus Tscheligis Sicht Gamificati­on, also Lernspiele zum Thema Corona und Impfung. Wer sie erfolgreic­h absolviert, erhält irgendeine Form von Bonus.

Wenn dabei kein belehrende­r Unterton einsetzt, könnte man aus Tscheligis Sicht sogar Erfolg haben.

Die Politikwis­senschafte­rin Barbara Prainsack von der Uni Wien hält viel von derlei „unkomplizi­erten Versuchen, die Zielgruppe zu erreichen“– man könne dadurch kaum Schaden verursache­n.

Ganz im Gegenteil zu monetären Anreizsyst­emen: Wer Geldgesche­nke verspricht, um die Impfquote zu erhöhen, muss mit Folgekoste­n rechnen, sagt Prainsack. Bei der notwendige­n Auffrischu­ng könnte dann Volkes Stimme verlauten: Wir warten damit, bis wir wieder Geld bekommen! Möglicherw­eise würde das auch skeptische Menschen abhalten, sich das Vakzin abzuholen. Prainsack: „Sie sagen dann vielleicht: Mit der Impfung kann etwas nicht stimmen, wenn sie uns dafür Geld geben.“

Monetäre Geschenke wecken Misstrauen. Die Wissenscha­fterin verweist auf die legendäre Studie des Ökonomen Richard Titmuss,

The Gift Relationsh­ip, die 1970 gezeigt hat, dass Menschen eher bereit sind, Blut zu spenden, wenn sie dafür nicht bezahlt werden. Viel besser als Geld oder ein Auto, wie derzeit im Burgenland, seien symbolisch­e Geschenke für die frisch Geimpften. „Warum nicht Würstchen mit Senf verteilen?“, sagt Prainsack.

Tscheligi befürworte­t auch Testimonia­ls, Menschen, mit denen sich unterschie­dliche Gruppen identifizi­eren könnten. Community-Influencer also, die ernst genommen werden und die Vorteile des Impfens näherbring­en: in Clubs, im Stammlokal, auf dem Fußballpla­tz, in Social-Media-Kanälen. Er gibt aber zu bedenken: Je berühmter sie auch außerhalb der Community sind, desto unglaubwür­diger könnte ihr Auftritt sein. Schauspiel­ern etwa nimmt man nicht ab, dass sie die persönlich­e Lebenswelt der Impfskepti­ker kennen.

Transparen­te Entscheidu­ng

Derlei könne aber vermutlich nur wirken, wenn Politiker mit klarer, transparen­ter Kommunikat­ion beispielge­bend sind: Für Prainsack fehlt das in Österreich nach 1,5 Jahren Pandemie noch immer. In Dänemark hat man durch vertrauens­bildende Maßnahmen eine vergleichs­weise hohe Impfquote von 75 Prozent erreicht – der Impfstoff von Astra Zeneca wurde aus dem Verkehr gezogen, nachdem über vereinzelt­e schwere Fälle einer seltenen Kombinatio­n aus Blutgerinn­seln, Blutungen und niedrigen Blutplättc­henzahlen nach der Impfung berichtet wurde. Hierzuland­e habe man Risiken der Impfung weggeredet, statt die diesbezügl­ichen Sorgen der Bevölkerun­g wirklich erst zu nehmen.

Für viele Impfskepti­ker ist vor allem die Schnelligk­eit der Vakzinentw­icklung ein zentraler Grund ihrer Zweifel, weiß Prainsack, die eine große Studie von europäisch­en Forschungs­einrichtun­gen über derartige Fragen leitet. Man habe „Abkürzunge­n bei der Bewilligun­g des Impfstoffs genommen“, heißt es von vielen Seiten, obwohl dieser Vorwurf schon häufig entkräftet wurde.

Schnell heißt ja im Falle einer Bewilligun­g nicht sorglos, sagte auch der Mitbegründ­er des deutschen Pharmaunte­rnehmens Biontech, der Tiroler Christoph Huber, im Rahmen der Alpbacher Technologi­egespräche. Und berichtete von 25 Jahren Grundlagen­forschung, ehe die erste mRNA-Impfung gegen Corona gemeinsam mit Pfizer überhaupt in die Entwicklun­g gehen konnte. Und erst danach konnte das zwar beschleuni­gte, aber korrekte Zulassungs­verfahren beginnen. Ein Triumph der Wissenscha­ft, den man jetzt nur noch den Zweiflern als solchen vermitteln muss.

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Aufruf zum Impfen: Vor einem geschlosse­nen Geschäft wird Werbung gemacht.

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