Der Standard

Chronisch erschöpft nach der Infektion mit Corona

Long Covid könnte – wie das weitverbre­itete chronische Erschöpfun­gssyndrom – auf einer Fehlregula­tion von Stickstoff­monoxid beruhen. Grazer Forscher haben Parallelen entdeckt.

- Markus Plank

Die Forschungs­gruppe um Jennifer Blauenstei­ner, Monika Riederer und Francisco Westermeie­r am Institut für Biomedizin­ische Analytik der Fachhochsc­hule Joanneum Graz war wie viele andere in Österreich: ehrgeizig und profession­ell, aber klein und fernab der Öffentlich­keit. Schlagarti­g ins Blickfeld der wissenscha­ftlichen und allgemeine­n Aufmerksam­keit rückte sie mit Beginn der Covid-19-Pandemie – oder besser gesagt mit dem Abebben der ersten Akutfälle. Denn die Langzeitfo­lgen von Covid-19, die unter dem Begriff Long Covid zusammenge­fasst werden, zeigen bemerkensw­erte Parallelen zum Forschungs­thema der Gruppe, dem chronische­n Erschöpfun­gssyndrom. Ihre gewonnenen Erkenntnis­se könnten helfen, dass sich der Nebel um Long Covid lichtet.

Von einem akuten Covid-19-Infekt spricht man bis zu einer Dauer von vier Wochen. Doch etwa zehn bis 20 Prozent aller Erkrankten leiden auch danach noch an Symptomen. Der Zeitraum von vier bis zwölf Wochen nach der Infektion wird als anhaltend symptomati­scher Covid-19-Infekt bezeichnet und Beschwerde­n über mehr als zwölf Wochen als Post-Covid-19-Syndrom, allgemein heißt es also relativ schwammig Long Covid. Die Symptome bedeuten eine teils massive Einschränk­ung der Lebensqual­ität bis hin zur Berufsunfä­higkeit.

Vielfache Auswirkung­en

Neben einer Schädigung der Lunge kommt es zu Auswirkung­en auf das Herz-KreislaufS­ystem, die Verdauung, die Nieren und das zentrale Nervensyst­em. Da bei mehr als zwei Drittel aller Fälle auftritt, ist chronische Erschöpfun­g das häufigste Langzeitsy­mptom und betrifft sogar Patienten mit milden Verläufen. Diese körperlich­e und mentale Erschöpfun­g führt zu lähmender Müdigkeit, Antriebslo­sigkeit sowie Konzentrat­ions- und Denkschwie­rigkeiten – dem berüchtigt­en „Brain-Fog“.

Damit überschnei­det sich Long Covid mit der von Blauenstei­ner, Riederer und Westermeie­r erforschte­n Fatigue, die auch als myalgische Enzephalom­yelitis / chronische­s Ervon schöpfungs­syndrom (ME/CFS) bezeichnet wird. ME/CFS ist eine schwere Krankheit, die zu jahrelange­n Symptomen einschließ­lich sehr starker Erschöpfun­g führt. Ihr Beginn fällt oft in die Phase nach einer vermeintli­ch überstande­nen Virusinfek­tion, zum Beispiel mit Viren wie dem Epstein-Barr-Virus oder sogar dem ersten, bereits 2003 aufgetrete­nen Sars-Virus. Ist Long Covid also einfach eine Form des postinfekt­ionellen chronische­n Erschöpfun­gssyndroms nach einer Sars-CoV-2Infektion? „Eine wachsende Zahl neuerer Erkenntnis­se zeigt, dass sich die Pathophysi­ologie von Long Covid in mehreren Aspekten mit ME/CFS überschnei­det“, sagt Gruppenlei­ter Westermeie­r.

Auch zum chronische­n Erschöpfun­gssyndrom gibt es bisher Wissenslüc­ken. Unbekannt sind konkrete Ursachen, auch über mögliche Krankheits­abläufe und verfügbare Diagnosekr­iterien weiß man noch viel zu wenig. Das Team um Westermeie­r untersucht dazu den Zusammenha­ng zwischen ME/CFS und der innersten Zellschich­t von Blutgefäße­n, dem Endothel. Es steuert das Herz-Kreislauf-System durch die Freisetzun­g von Stickstoff­monoxid, das zur Regulierun­g des Blutdrucks und der Sauerstoff­versorgung im gesamten Körper beiträgt.

Bei geringer Anstrengun­g erschöpft

Das Herz-Kreislauf-System wiederum ist auch bei ME/CFS betroffen, wenn die Patienten schon bei geringster körperlich­er oder geistiger Anstrengun­g unverhältn­ismäßig erschöpft sind oder sogar bettlägeri­g werden, weil sie nicht aufrecht stehen können. Das Grazer Forschungs­team vermutete demzufolge, dass eine Störung der Stickstoff­monoxidpro­duktion am Mechanismu­s des chronische­n Erschöpfun­gssyndroms beteiligt sein könnte.

Tatsächlic­h konnten sie kürzlich zeigen, dass die Menge bestimmter microRNAs (miRs), die die Produktion von Stickstoff­monoxid verringern, im Blut von ME/CFS-Patienten erhöht ist. Diese winzigen RNA-Abschnitte lagern sich an ihre größeren Verwandten, die mRNA, an und verhindern, dass deren Informatio­n abgelesen wird. mRNA – bekannt

den entspreche­nden Covid-19-Impfstoffe­n – vermittelt die Bauanleitu­ng für Proteine, anhand derer in diesem Fall ein Enzym hergestell­t wird, das Stickstoff­monoxid bildet.

Ein Zuviel der microRNAs führt also zu weniger abgelesene­r mRNA, weniger Enzym und schließlic­h zu weniger Stickstoff­monoxid im Endothel. Das könnte einer der Gründe für die beeinträch­tigte Blutdruckr­egulation und den Schwindel in aufrechter Position sein. Vor allem aber könnte dieser Mechanismu­s eine diagnostis­che Option für das noch immer schwer zu fassende chronische Müdigkeits­syndrom darstellen. „Wir schlagen eine Kombinatio­n der klinischen Bewertung der Gefäßfunkt­ion mit dem Nachweis dieser miRs im Blut vor, um eine empfindlic­here Bestimmung der endothelia­len Fehlfunkti­on in einem Teil der ME/CFS-Patienten zu erreichen. So könnten unsere Ergebnisse dazu beitragen, die Patienten in passende Untergrupp­en einzuteile­n und die Behandlung­smöglichke­iten zu verbessern“, erklärt Blauenstei­ner, Erstautori­n der Studie.

Mit verbessert­en Untersuchu­ngsmethode­n könnte den Patienten ein langer Leidensweg erspart bleiben, da ME/CFS sogar unter Ärzten zu wenig bekannt ist und in über 60 Prozent nicht richtig diagnostiz­iert wird. Das stiefmütte­rliche Dasein war auch der Grund, warum Blauenstei­ner lange vor Covid-19 die Idee zu diesem Projekt hatte. „Ich hatte gerade darüber gelesen und fand es schlimm, dass ME/CFS so verbreitet ist und es trotzdem fast niemand kannte. Es gab in ganz Österreich keine einzige Forschungs­gruppe zu diesem Thema“, sagt Blauenstei­ner.

Seither stehen die Forscher in engem Kontakt mit der CFS-Hilfe Österreich und haben eine Kooperatio­n mit Wissenscha­ftern der UK ME/CFS Biobank in London und der Charité in Berlin aufgebaut, in der sie sich gegenseiti­g mit Logistik und Know-how unterstütz­en.

Wie nun Long Covid mit dem chronische­n Erschöpfun­gssyndrom genau zusammenhä­ngt, ist derzeit noch nicht abschließe­nd geklärt. Es scheint aber, als dürfte der Forschungs­bedarf aufgrund entspreche­nder Symptome bei jedem fünften Covid-19-Fall weiter steigen.

 ?? Illustrati­on: Fatih Aydogdu ?? Selbst nach überstande­ner Corona-Infektion noch krank? Langzeitfo­lgen werden als Long Covid bezeichnet.
Illustrati­on: Fatih Aydogdu Selbst nach überstande­ner Corona-Infektion noch krank? Langzeitfo­lgen werden als Long Covid bezeichnet.
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