Mikroplastik ist immer überall
Winzige Plastikpartikel lassen sich vielfach nachweisen, und sie gelten als potenziell schädlich. Ihre Wirkung auf Umwelt, Tiere und Menschen ist aber noch wenig erforscht.
Der Siegeszug der Kunststoffe begann vor rund sechzig Jahren und ist bis heute ungebrochen: Kunststoffe, auch Plastik genannt, sind so ungeheuer vielseitig in Form und Funktion, dass sie aus unserem Leben nicht wegzudenken sind. Aber Massenproduktion und Wegwerfkultur hinterlassen deutliche Spuren. Vermüllte Straßenränder, Flussufer und Strände sowie strangulierte Meerestiere sind dabei nur ein Teil der Geschichte.
Kaum sichtbar ist Mikroplastik, winzige Kunststoffteilchen, die kleiner sind als fünf Millimeter. Sie stammen aus synthetischer Kleidung, Kosmetika und sich zersetzendem Plastikmüll und sind mittlerweile in allen Lebensräumen nachweisbar: in Flüssen und Ozeanen, in der Luft und der Erde und selbst im Schnee der Arktis. Wissenschafter haben Mikroplastik außerdem in Lebensmitteln und im Verdauungstrakt zahlreicher Tierarten nachgewiesen – und sogar im menschlichen Stuhl. Der größte Teil wird wohl ausgeschieden, möglicherweise kann aber sehr kleines Mikroplastik und noch kleineres Nanoplastik auch ins Blut oder durch die Atmung in die Lunge gelangen. Wie viel Partikel in den menschlichen Körper gelangen und wie sie sich in Organen oder Geweben auswirken, ist bisher noch völlig unbekannt – und wird nun im EU-Projekt „Imptox“unter Beteiligung der Universität Wien und der Med-Uni Wien erforscht.
Allergieauslösende Proteine
Das Projekt geht mehreren Fragen nach, in Wien soll etwa untersucht werden, ob die Aufnahme kleinster Plastikpartikel Allergien verstärken kann. „Auf der Oberfläche von Nanound Mikroplastik können allergieauslösende Proteine gut haften bleiben. Wenn solche Partikel in ihrer Größe Krankheitserregern wie Bakterien ähneln, können sie das menschlichen Immunsystem besonders gut stimulieren und vielleicht eine verstärkte Allergie auslösen“, erklärt die „Imptox“-Forscherin Lea Ann Dailey vom Department für Pharmazeutische Wissenschaften der Uni Wien.
Aus Studien an Modellorganismen wie Regenwürmern, Wasserflöhen oder Fischen weiß man, dass Mikroplastik in bestimmten Konzentrationen schädlich wirkt. Da es einen Teil der Nahrung ausmacht, aber keinen Nährwert besitzt, führt es unter anderem zu Energiemangel, reduziertem Wachstum und einer verringerten Anzahl an Nachkommen. In Experimenten mit Zellkulturen ließ sich nachweisen, dass Nanoplastik von Körperzellen aufgenommen werden kann und dort möglicherweise mit der Zellmaschinerie interagiert.
Aufwendiger Nachweis
Der Nachweis und die Quantifizierung von Kunststoffresten in Umweltproben sind bisher aber eine große technische Herausforderung. „Wir wissen also nicht genau, welcher Exposition wir ausgesetzt sind“, sagt Martin Löder, Umweltingenieur an der Universität Bayreuth, die 2019 einen Sonderforschungsbereich zu Mikroplastik eingerichtet hat. Für die Analyse einer Wasserprobe etwa brauche es rund 14 Tage. Dazu filtern die Forscher mehrere Hundert bis mehrere Zehntausend Liter durch feine Netze, reinigen die Proben auf, sortieren sie, filtern sie durch noch feinere Siebe, entfernen organische Bestandteile durch Enzyme, mineralische durch eine Dichtetrennung und fotografieren und vermessen schließlich jedes einzelne Plastikteilchen bis zu einer Größe von zehn Mikrometern.
Dass Mikroplastik nicht gleich Mikroplastik ist, erschwert die Risikobewertung zusätzlich: „Es handelt sich nicht um eine einheitliche Stoffgruppe, sondern es ist ein bunter Strauß an unterschiedlichen Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften und Formen, die sich unterschiedlich abbauen“, so Löder. „Die meisten Studien differenzieren nicht zwischen diesen Partikeln, obwohl theoretisch allein die Form ausschlaggebend dafür sein kann, ob das Teilchen schädlich wirkt oder nicht.“
„Bei Mikroplastik handelt es sich nicht um eine einheitliche Stoffgruppe, sondern um unterschiedliche Materialien, die sich unterschiedlich abbauen.“
Martin Löder, Umweltingenieur
Teilchen in der Nahrung
So ist ein wesentliches Ziel des „Imptox“Projekts die Etablierung standardisierter Nachweismethoden, um Gewissheit zu erlangen, wie viele und welche Plastikteilchen der Mensch mit der Nahrung und der Atmung aufnimmt. Daileys Team wird Meeresluft analysieren, da die Meere besonders stark von der Plastikverschmutzung betroffen sind und die Forscher annehmen, dass die Mikroplastikbelastung dort höher ist. Als Vergleich dienen Luftproben vom Neusiedler See. „Der Nachweis von lungengängigen Plastikteilchen ist eine große Herausforderung“, sagt Dailey. Denn diese Teilchen sind kleiner als fünf Mikrometer und entziehen sich der Analytik bislang fast vollständig. So existieren zwar hochauflösende Spezialmikroskope, die neben der Größe und Form auch Information zum Plastiktyp geben können. „Aber wir müssen erst unsere Messmethoden verfeinern, bevor wir zuverlässige Informationen zur Art und Menge an Plastik in der Luft gewinnen können“, erklärt Dailey.
Obwohl die Wirkung von Mikroplastik auf den Menschen und auch die Umwelt noch unklar ist, begrüßen viele Wissenschafter das Einwegplastikverbot der EU, das im Juli in