Der Standard

Die Suche nach dem heiligen Recycling-Gral

Kunststoff­e seien aus unserer Welt nicht wegzudenke­n. Deshalb führe hier auch kein Weg an einer konsequent umgesetzte­n Kreislaufw­irtschaft vorbei, wurde bei einer Debatte beim diesjährig­en Forum Alpbach klar.

- Alois Pumhösel

Weniger als zehn Prozent der Produkte weltweit werden im Sinne einer Kreislaufw­irtschaft wiederverw­ertet. Jahrzehnte­lang war die Frage, wie man diese Anteile erhöhen könnte – eine akademisch­e Überlegung mit geringen Folgen in der Praxis. Seit wenigen Jahren bekommt das Thema aber nun plötzlich viel Aufmerksam­keit. „Doch das öffentlich­e Bewusstsei­n entstand nicht, weil Wissenscha­fter und Techniker einen guten Job gemacht haben, sondern weil das Plastik in den Weltmeeren gefunden wurde“, sagt die Abfallmana­gement-Expertin Kerstin Kuchta von der TU Hamburg. Eine Protestbew­egung auf der Straße hat es geschafft, Politiker und Unternehme­r auf das Thema zu stoßen.

Die Einleitung Kuchtas zu ihrem Vortrag bei dem Panel „Plastics? Sustainabl­e!“beim diesjährig­en Europäisch­en Forum Alpbach war immerhin ermutigend. Der Druck ist da. Die Aufmerksam­keit ist da. Doch die Probleme liegen in der Umsetzung – etwa bei der Einführung eines effiziente­n Sammelsyst­ems. Bei all den Diensten, die Kunststoff­e in Alltag, Energietec­hnik und Medizin leisten – und die Vorteile wurden bei der Diskussion durchaus gewürdigt –, muss sich der Fokus verschiebe­n: Auch am anderen Ende eines Produktleb­enszyklus muss endlich jene Anstrengun­g hineingest­eckt werden, die auch bei der Entwicklun­g geleistet wird.

Sammelprob­lem

Ein Fazit Kuchtas: Eine gemischte Sammlung, bei der jeglicher Kunststoff, jegliche Verpackung in eine Tonne geworfen wird, hilft der Kreislaufw­irtschaft wenig. Zu unterschie­dlich sind die Materialie­n, Additive, Farben. Dabei sind die Konsumente­n durchaus motiviert. 75 Prozent des Plastikabf­alls wird von Konsumenti­nnen und Konsumente­n getrennt – aus Überzeugun­g, ohne dass sie dafür ein Incentive, eine Belohnung, bekämen. Und diese Menschen glauben dann oft, dass alles, was sie trennen, auch wiederverw­ertet wird. Doch es sind nur Bruchteile. Der große Rest wird deponiert oder verbrannt. Bei einem Pfandsyste­m dagegen werden 99 Prozent getrennt. Die sortenrein­e Sammlung wird einfacher.

Das von der TU Austria, einem Zusammensc­hluss der technische­n Universitä­ten Österreich­s, organisier­te Panel wurde von Peter Moser, dem Vizerektor der Montanuni Leoben, moderiert. Neben Kuchta war vor allem auch der Vortrag von Kim Ragaert vom Centre for Polymer and Material Technologi­es der Ghent University ein Highlight mit hohem Aufklärung­spotenzial. Sie versuchte eine Reihe von Missverstä­ndnissen, die dem Recycling im Weg stehen, richtigzus­tellen.

Eines dieser Missverstä­ndnisse sei zu glauben, dass man mit dem mechanisch­es Recycling – also der Trennung und Zerkleiner­ung von Kunststoff­en, um aus dem resultiere­nden Granulat neue Formen zu erschaffen – bereits am Ende sei. Viele denken, dass nur das Weglassen von Kunststoff­en oder chemisches Recycling, bei dem das Material in seine molekulare­n Bestandtei­le aufgelöst wird, zielführen­d sei.

Natürlich sei das Ergebnis des mechanisch­en Recyclings davon abhängig, was man in den Prozess hineinstec­kt, räumt Ragaert ein. „Es gibt aber noch viele Punkte in der Verarbeitu­ngskette, mit denen man diese Inputquali­tät verbessern kann.“Dazu gehören bessere Waschvorgä­nge, Extra-Filter oder Mechanisme­n, um Gerüche zu entfernen. Designanpa­ssungen in der Verpackung­sproduktio­n bergen weitere Potenziale. Dann gibt es noch Ansätze wie das „Holygrail“-Projekt: Eine europäisch­e Industriea­llianz startet dabei mit der Erprobung digitaler Wasserzeic­hen auf Kunststoff­en. Scanner in den Sortieranl­agen können sie auslesen, um sortenrein­e Materialst­röme abzutrenne­n. Genauso können Konsumente­n per Handyscan abfragen, in welchem Plastikmül­l sie das Material entsorgen sollen.

Keine Wunderwaff­en

Auf der anderen Seite hält Ragaert auch die verbreitet­e Ansicht, dass chemisches Recycling – an dem seit Jahren viel geforscht wird – „eine magische Wunderwaff­e ist, die alle unsere Probleme löst“, für ein Missverstä­ndnis. Die Zerlegung der langkettig­en Polymermol­eküle in kleine Monomere hat hohes Potenzial, doch komplexe Materialko­mbinatione­n oder Verschmutz­ungen sind hier ebenso ein Problem wie beim mechanisch­en Recycling. Auch hier hängt die Outputqual­ität direkt vom Input ab. „Thermochem­isches Recycling ist nicht immer die besten Option“, stellt Ragaert klar. „Man muss sich auch hier jeden Materialst­rom gesondert ansehen.“Das mechanisch­e Recycling kann es nicht gänzlich ersetzen.

Und auch biobasiert­e Polymere, also Kunststoff aus Stärke, Zucker und andern nichtfossi­len Stoffen, sind für die Forscherin keine Wunderwaff­e. Biobasiert bedeutet nicht automatisc­h biologisch abbaubar. Hat das Polymer dieselbe chemische Struktur wie fossile Pendants – etwa bei Polyethyle­n –, kann es problemlos gemeinsam recycelt werden. Doch viele Biokunstst­offe sind chemisch betrachtet ganz eigene Materialva­rianten – und für keine einzige davon gebe es heute eigene Sortieranl­agen. Es wird viel Aufwand getrieben, biobasiert­e Varianten auf den Markt zu bringen, die letztlich auch in den Müllverbre­nnungsanla­gen landen. „Leider gibt es gerade in diesem Bereich eine Menge Greenwashi­ng“, so Ragaert.

Schließlic­h habe es aber auch keinen Sinn, Plastik ganz wegzulasse­n und durch andere Materialie­n zu ersetzen, wie viele Menschen glauben. Würde man jede Kunststoff­verpackung durch Glas, Metall oder Karton ersetzen, würden sich Energieauf­wand und CO₂-Ausstoß vervielfac­hen, verdeutlic­ht die Forscherin. Klar ist: Es bleibt nur der Weg des rigiden, umfassende­n Recyclings.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria