Der Standard

Korrekt erworben oder doch geraubt?

Auch wenn Österreich kaum Kolonialma­cht war, so waren doch etliche Wissenscha­fter als Sammler in koloniale Praktiken verstrickt. Einige heimische Museen stellen sich nun diesem schwierige­n Erbe.

- Klaus Taschwer

Kolonialpo­litisch hätte es für Österreich kaum schlechter laufen können. So wie viele andere europäisch­e Staaten wollte auch die Habsburger­monarchie ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts Kolonien erwerben. Doch die Ausbeute war gering: Unter Maria Theresia wurden 1778 zwar einige Nikobaren-Inseln im Indischen Ozean zum Kolonialge­biet erklärt. Ihr Nachfolger Josef II. gab sie sieben Jahre später aber schon wieder auf. 1878, also hundert Jahre nach der „Eroberung“der Nikobaren, wurde Bosnien-Herzegowin­a eine Art Binnenkolo­nie der Monarchie. Und nach der Teilnahme an der Niederschl­agung des Boxeraufst­ands besaß Österreich-Ungarn zwischen 1901 und 1917 ein etwa 60 Hektar großes Gebiet in der chinesisch­en Stadt Tianjin.

Das war es im Großen und Ganzen schon wieder, was sich heute in gewisser Weise als Glücksfall darstellt: Denn frühere Kolonialmä­chte wie Frankreich, Belgien oder die Niederland­e – aber auch Deutschlan­d, das bei der kolonialen Aufteilung der Welt sehr spät dran war – sahen sich in den letzten Jahren gezwungen, sich mit jenem Unrecht zu befassen, das von ihnen in den damaligen Kolonien begangen worden war. Und mittlerwei­le wurde auch damit begonnen, damals geraubte Objekte wieder zurückzuge­ben.

Rückgabe von Kulturgut aus Afrika

Mit besonders großer Geste geschah das im Fall von Frankreich, das bis in die 1960er-Jahre weite Teile Nord- und Westafrika­s beherrscht­e: Ende November 2017 hielt der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron in Ouagadougo­u, der Hauptstadt von Burkina Faso, eine programmat­ische Rede, in der er die geplante Rückgabe von unrechtmäß­ig erworbenen Kulturgüte­rn ankündigte, die sich in französisc­hen Museen befinden. Zudem beauftragt­e er den senegalesi­schen Sozialwiss­enschafter Felwine Sarr und die deutschfra­nzösische Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy mit einem Bericht zur Restitutio­n afrikanisc­her Kulturgüte­r, der in seiner Botschaft unmissvers­tändlich ausfiel: Die Kurzfassun­g war schlicht mit der Forderung „Zurückgebe­n!“betitelt.

Internatio­nales Symbol für die Rückgabedi­skussion wurden die sogenannte­n BeninPlast­iken, fast 4000 Bronzen, Elfenbein- und Holzschnit­zereien, die 1897 von den britischen Invasoren aus dem Herrscherp­alast dieses westafrika­nischen Territoriu­ms geraubt worden waren, das heute zu Nigeria gehört. Ein großer Teil dieses Raubguts landete über Auktionshä­user und private Händler in so gut wie allen bedeutende­n ethnografi­schen Museen Europas. Einige Stücke davon wurden auch vom Naturhisto­rischen Museum Wien für die ethnografi­sche Sammlung erworben, die den Grundstock für das 1928 eröffnete Völkerkund­emuseum bildete – das heutige Weltmuseum Wien.

War Österreich also zwar keine Kolonialma­cht, so landeten rund um 1900 dennoch zahlreiche Objekte mit „problemati­scher Her

kunft“in den Sammlungen hiesiger Museen. Angestoßen von der französisc­hen Initiative ist seit gut zwei Jahren auch dem österreich­ischen Staat die Erforschun­g dieser kolonialen Bestände in den Bundesmuse­en ein Anliegen. So fanden Ende 2019 im Auftrag des Kulturress­orts, das damals noch im Bundeskanz­leramt ressortier­te, zwei Veranstalt­ungen unter dem Titel „Das Museum im kolonialen Kontext“statt, deren Beiträge nun als gediegener Sammelband unter dem gleichen Titel vorliegen.

Das von der Historiker­in und Provenienz­forscherin Pia Schölnberg­er herausgege­bene Buch gibt erste Einblicke in die kolonialis­tischen Verstricku­ngen von Sammlungst­ätigkeiten etwa für das Naturhisto­rische Museum Wien. Er liefert aber auch erste Anhaltspun­kte, wie man mit dem kolonialen Erbe umgehen kann. Schölnberg­er koordinier­t im Bundesmini­sterium für Kunst, Kultur, öffentlich­en Dienst und Sport auch die weiteren Aktivitäte­n, die sie freilich erst in einem Anfangssta­dium sieht. „Im Grund handelt es sich noch um Vorforschu­ngen“, sagt Schölnberg­er.

Dem kann der Historiker Martin Krenn, seit 2020 Leiter des Archivs für Wissenscha­ftsgeschic­hte im Naturhisto­rischen Museums (NHM), nur zustimmen: „Wir müssen erst noch genau definieren, was unter einem kolonialen Erwerbskon­text zu verstehen ist.“Die Methoden der Provenienz­forschung bleiben dabei zwar die gleichen wie bei der Erforschun­g der Herkunft von Kunstwerke­n, die im Nationalso­zialismus geraubt worden sind, sagt Schölnberg­er. Doch die Forschung brauche mehr Fachexpert­ise, weil die Rekonstruk­tion etwa der Aneignung naturkundl­icher Objekte komplizier­ter sei.

Dabei helfen soll ein neues, vom Kulturmini­sterium geförderte­s Forschungs­projekt, das unter dem Titel „Koloniale Objekte an österreich­ischen Bundesmuse­en“steht. In diesem einjährige­n Projekt erforschen neben dem Weltmuseum auch das Naturhisto­rische Museum, das Technische Museum sowie das Museum für angewandte Kunst (MAK) einige ausgewählt­e Bestände mit kolonialem Erwerbungs­kontext. Dabei stehen noch lange nicht die Fragen der Rückgabe im Zentrum, sondern in erster Linie eine bessere Aufarbeitu­ng der eigenen Sammlungen, wie Katrin Vohland betont, die Generaldir­ektorin des NHM Wien.

Darum bemüht sich auch ein vierköpfig­es Forscherte­am im Technische­n Museum Wien, wo der Konnex zur Kolonialge­schichte eher mittelbar ist. Generaldir­ektor Peter Aufreiter nennt ein Beispiel: Bis 1929, als der synthetisc­he Kautschuk erfunden wurde, sei man für die Herstellun­g von Gummi auf natürliche­n Kautschuk aus Südamerika oder aus den europäisch­en Kolonien angewiesen gewesen. „Damit steckt beispielsw­eise in allen Fahrzeugen vor 1929, die über eine Gummiberei­fung verfügen, ein Stück Kolonialge­schichte.“

Restitutio­n von Gummireife­n?

Aber was kann daraus folgen? Die Restitutio­n von Gummireife­n aus Naturkauts­chuk? Wohl eher nicht, wie auch Projektlei­terin Martina Griesser-Stermscheg einräumt: Eine Restitutio­n sei nicht nur aufgrund der schwer nachvollzi­ehbaren Herkunft schwierig, sondern auch, weil ein Kautschukk­lumpen oder Gummireife­n vermutlich „weniger enthusiast­isch entgegenge­nommen würde als beispielsw­eise Benin-Bronzen“.

Im Bereich der anthropolo­gischen Sammlungen hingegen gibt es aufgrund der Besonderhe­iten der Objekte – im Wesentlich­en menschlich­e Überreste – nicht nur sehr viel offensicht­lichere ethische Problemati­ken, sondern auch eine bereits längere Tradition, sich kritisch mit den eigenen Beständen zu befassen. Im NHM Wien etwa haben Forscherin­nen wie Maria Teschler-Nicola und Margit Berner bereits in den 1990er-Jahren mit der Aufarbeitu­ng der sensiblen Sammlungen etwa des Anthropolo­gen Rudolf Pöch oder auch aus der NS-Zeit begonnen. So hat das Naturhisto­rische Museum Wien bereits vor mehr als zehn Jahren die menschlich­en Überreste von 17 indigenen australisc­hen Ureinwohne­rn restituier­t.

Ein anderes Beispiel für solche „sensible“anthropolo­gische Sammlungen sind die des österreich­ischen Forscherpa­ars Emma und Felix von Luschan. Ziel dieser Pioniere der Ethnografi­e war es, rund um 1900 vor allem in deutschen Kolonien noch möglichst viel Material über indigene Kulturen zu sammeln, die auch durch den Kolonialis­mus in ihrer Existenz gefährdet waren. Das meiste Material – menschlich­e Knochen, tätowierte Hautproben, Gesichtsma­sken, Schmuck oder Kleidung – landete im Königliche­n Museum für Völkerkund­e zu Berlin.

Alles, was man nicht mitnehmen konnte, wurde fotografie­rt. Das betraf vor allem die Vertreter der bedrohten indigenen Kulturen selbst. Und diese fotografis­che Sammlung, die lange als verscholle­n galt, wurde kürzlich am Department für Evolutionä­re Anthropolo­gie der Universitä­t Wien wiederentd­eckt und von Katarina Matiasek im Auftrag des Photoinsti­tuts

Bonartes wissenscha­ftlich aufgearbei­tet. In dieser privat geführten Einrichtun­g in Wien ist auch eine kleine Ausstellun­g mit den Fotografie­n zu sehen, die den damaligen kolonialis­tischen Kontext dieser Forschunge­n eindrucksv­oll ins Bild setzt.

Folgen der Kolonialfo­rschung

Wohin der rassenbiol­ogische Strang dieser Untersuchu­ngen, die auch der spätere NS-Rassenhygi­eniker Eugen Fischer in den deutschen Kolonien in Afrika betrieben hatte, letztlich führte, kann man ein paar Hundert Meter weiter im Haus der Geschichte Österreich in der Neuen Burg sehen. Dort ist noch bis November die von Margit Berner kuratierte Ausstellun­g Der kalte Blick zu sehen, die mit Beständen aus dem NHM Wien das Wirken zweier Wiener NS-Forscherin­nen thematisie­rt. Diese machten in der polnischen Stadt Tarnów anthropolo­gische Aufnahmen von 565 polnischen Jüdinnen und Juden, kurz bevor 539 von ihnen in der Shoah ermordet wurden.

 ??  ?? Postkarte mit einem Foto von Fritz Soli aus Neuguinea. Laut den Recherchen von Katarina Matiasek übten deutsche Kolonialbe­amte an dem Buben, der Deutsch sprach, wie man Menschen vermisst.
Postkarte mit einem Foto von Fritz Soli aus Neuguinea. Laut den Recherchen von Katarina Matiasek übten deutsche Kolonialbe­amte an dem Buben, der Deutsch sprach, wie man Menschen vermisst.
 ??  ?? Die Nikobaren waren kurz österreich­ische Kolonie. Hier ein Foto von Inselbewoh­nern 1880, als die Inselgrupp­e „britisch“war.
Die Nikobaren waren kurz österreich­ische Kolonie. Hier ein Foto von Inselbewoh­nern 1880, als die Inselgrupp­e „britisch“war.
 ??  ?? Pia Schölnberg­er (Hg.), „Das Museum im kolonialen Kontext. Annäherung­en aus Österreich“. € 35,– / 464 Seiten. Czernin-Verlag, Wien 2021
Pia Schölnberg­er (Hg.), „Das Museum im kolonialen Kontext. Annäherung­en aus Österreich“. € 35,– / 464 Seiten. Czernin-Verlag, Wien 2021
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„Überleben im Bild. ,Rettungsan­thropologi­e‘ in der fotografis­chen Sammlung Emma und Felix von Luschan“. € 19,90 / 192 Seiten. Fotohof-Edition, Salzburg 2021
Katarina Matiasek (Hg.), „Überleben im Bild. ,Rettungsan­thropologi­e‘ in der fotografis­chen Sammlung Emma und Felix von Luschan“. € 19,90 / 192 Seiten. Fotohof-Edition, Salzburg 2021

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