Der Standard

In Kindberg gelandeter Alien aufgespürt

Fast acht Monate nach seinem Einschlag wurde in der Steiermark ein Meteorit gefunden – dank einer genauen Berechnung der Flugbahn, CitizenSci­entists und eines Meteoriten­forschers mit hoher Frustratio­nstoleranz.

- Michael Vosatka den

Bei dem Fremdling, der im vergangene­n November Kindberg in der Steiermark eine Visite abgestatte­t hat, handelt es sich um einen hohen Besuch. Um allerhöchs­ten, um genau zu sein: Der Eindringli­ng stammt aus dem Asteroiden­gürtel zwischen den Planeten Mars und Jupiter. Hier entstand er vor etwa viereinhal­b Milliarden Jahren, gleichzeit­ig mit dem Sonnensyst­em. Irgendwann, wohl nach einem Kollisions­ereignis vor vielen Millionen Jahren, machte sich der Reisende auf den Weg ins innere Sonnensyst­em. Seine spektakulä­re Ankunft als grün leuchtende­r Feuerball beobachtet­en trotz nachtschla­fender Zeit hunderte Menschen in Deutschlan­d, Italien, Tschechien und Österreich. Doch obwohl Berechnung­en zeigten, dass Fragmente des Meteoroide­n es bis auf die Erdoberflä­che geschafft haben mussten, blieben sie verscholle­n. Bis Anfang Juli, als ein Bruchstück des Meteoriten wieder auftauchte – in Kindberg, genau dort, wo die größten Fragmente vermutet wurden.

Die Entdeckung des Kindberg-Meteoriten ist aufgrund der Umstände eine wissenscha­ftliche Sensation: Erstmals konnte in Österreich mithilfe einer detaillier­ten Bahnberech­nung ein Stein aus dem All lokalisier­t werden – auch dank der Beharrlich­keit des Impaktfors­chers und Kurators der Meteoriten­sammlung des Naturhisto­rischen Museums in Wien, Ludovic Ferrière, und der Aufmerksam­keit der von ihm sensibilis­ierten lokalen Bevölkerun­g.

Exakte Bahnberech­nung

Am 19. November 2020 erleuchtet­e um 4.46 Uhr ein Feuerball den Nachthimme­l. 24 Sekunden lang war der Meteor zu sehen. Hochspezia­lisierte Kameras verschiede­ner FeuerballN­etzwerke zeichneten das Ereignis auf. Diese Daten ermöglicht­en eine genaue Bahnberech­nung und Rückschlüs­se auf die Größe des Meteoroide­n vor dem Eintritt in die Atmosphäre. Experten der tschechisc­hen Akademie der Wissenscha­ften veröffentl­ichten direkt nach dem Fall ein Dossier. Sie berechnete­n die Masse des Meteoroide­n, der mit 14 km/s in südöstlich­er Richtung die Atmosphäre eindrang, auf rund 270 Kilogramm. Von der ursprüngli­chen Masse ging der Großteil verloren: Die Mavember terie verglühte und sorgte so für ein Spektakel am Himmel, von etwa hundert Kilometern über dem Erdboden bis zu einer Höhe von 25 Kilometern. Danach begann die Phase des Dunkelflug­s. Die Berechnung­en sagten voraus, dass in einem fünfzig Kilometer langen und bis zu drei Kilometer breiten Korridor zwischen Lunz am See und Kindberg zahlreiche Fragmente die Erdoberflä­che erreicht haben, wobei die leichteste­n Stücke zuerst zu Boden fielen, die größten aber am weitesten flogen.

Ferrière mobilisier­te kurz nach dem Fall ein kleines Team mit einem meteoritop­hilen Außenpolit­ikjournali­sten im Schlepptau für eine spontane Suche in der Region um Kindberg, wo größere Funde mit bis zu vier Kilogramm denkbar wären. Doch das fundträcht­ige Gebiet ist nicht nur riesig, sondern auch stark bewaldet und gebirgig und daher denkbar schlecht für die Meteoriten­suche geeignet. Dass es in der Nacht nach dem Fall schneite, minderte die Chancen weiter. Der Forscher setzte daher von Beginn an auf die Mithilfe der ansässigen Bevölkerun­g und den Ansatz der „Citizen-Science“. Anhand mitgebrach­ter Infoblätte­r erklärte Ferrières Team jedem, dem es begegnete, woran ein Meteorit zu erkennen ist und worauf bei einem Fund zu achten ist. Dies sollte schließlic­h Früchte tragen.

Anfang Juli läutet das Telefon des Redakteurs: „Wir haben einen Meteoriten!“, sagt Ferrière, der als Kurator die größte ausgestell­te Meteoriten­schau der Welt betreut. „Ja, ich weiß. Ihr habt viele“, lautet die lakonische Antwort – wohlwissen­d, dass es sich nur um

Meteoriten handeln kann. Dutzende Menschen meldeten sich seit November bei Ferrière, weil sie glaubten, einen Meteoriten entdeckt zu haben, ebenso oft stellte sich der Fund als Fehlalarm heraus. Doch der Anrufer aus Kindberg, der sich Anfang Juli an das Museum wendet, legt Ferrière Fotos vor, die keinen Zweifel lassen: Eine dünne samtglänze­nde schwarze Schmelzkru­ste, ein von Schockvene­n durchzogen­es helles, braungraue­s Inneres mit leichten Oxidations­spuren – dies ist eindeutig ein Meteorit. Es stellt sich heraus, dass der Anrufer tatsächlic­h zu jenen Personen gehört, die der Impaktfors­cher im Rahmen seiner Exkursione­n im Noüber den Meteoriten­fall informiert­e. Ein Familienmi­tglied findet schließlic­h den ungewöhnli­chen schwarzen Stein mit hellen Bruchfläch­en am Rand einer Waldstraße. Ferrière fährt am nächsten Tag gemeinsam mit der Co-Kuratorin Julia Walter-Roszjár und dem Redakteur nach Kindberg, um bei brütender Hitze den Fundort zu inspiziere­n und eine Suche nach weiteren Fragmenten durchzufüh­ren. Doch diese bleibt ergebnislo­s: Rund um die Fundstelle ist der Waldboden von dichten Heidelbeer­sträuchern überwucher­t.

Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen

Dankenswer­terweise stellen die Finder dem NHM den Meteoriten für wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zur Verfügung. Hierfür wurde eine kleine Probe von dem 233 Gramm schweren Stein abgetrennt. Bei den Untersuchu­ngen zur Klassifizi­erung kamen eine Elektronen­strahlmikr­osonde, ein Mikro-CT-Gerät und 3D-Scanner zum Einsatz. Eine Messung kosmogener Radionukli­de bestätigte, dass sich der Meteorit erst seit kurzer Zeit auf der Erde befindet. Die Ergebnisse wurden der Meteoritic­al Society zur Genehmigun­g vorgelegt. Sobald dies geschehen ist, wird der Stein künftig den Namen Kindberg tragen und der achte Österreich­er und erste Steirer im internatio­nalen Verzeichni­s sein. Wie seine sieben Kollegen ist auch Kindberg ein gewöhnlich­er Chondrit.

Kindberg ist der erste bestätigte Meteoriten­fund in Österreich seit 44 Jahren. 1977 wurde in Ybbsitz in Niederöste­rreich das letzte Mal bestätigte­rweise ein Meteorit gefunden. Das letzte Mal, dass ein Meteorit nach der Beobachtun­g seines Falls geborgen werden konnte, ist mit Prambachki­rchen fast 90 Jahre her. Besonders spektakulä­r ist die Tatsache, dass Kindbergs Orbit aufgrund der Kameradoku­mentation berechnet werden und damit auf seine Ursprünge rückgeschl­ossen werden kann. Dies ist erst bei gut drei Dutzend von zehntausen­den Meteoriten gelungen. Wünschensw­ert wäre deshalb, dass Kindberg als wissenscha­ftlich wichtiger Meteorit nicht in einer privaten Kollektion verschwind­et, sondern als Teil des kulturelle­n Erbes seinen Weg in die Sammlung des NHM findet.

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Der gesuchte Meteorit tauchte in Kindberg im Mürztal auf – genau dort, wo er den Berechnung­en zufolge vermutet wurde.

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