Der Standard

Gedanken einer Generation

Sally Rooney ist die erfolgreic­hste Autorin aus der Generation der Millennial­s. In ihrem neuen Roman „Schöne Welt, wo bist du“geht es einmal mehr um Sexualität, Kapitalism­us und Sinnsuche. Ambivalent, kritisch und anregend.

- Michael Wurmitzer

Eine junge, dennoch schon berühmte Schriftste­llerin aus Dublin, die mit dem Literaturb­etrieb hadert und nach einem Nervenzusa­mmenbruch in einen kleinen Ort an der irischen Küste gezogen ist, um dort ein leerstehen­des Haus zu hüten, trifft bei einem Tinder-Date den Lagerarbei­ter eines Versandhan­dels. Es funkt nicht so recht, trotzdem nimmt sie ihn mit heim. Nachdem er das imposante Haus bestaunt hat, dreht er sich aber um und geht wieder. Kein Sex. Die beiden Welten haben nicht zusammenge­funden, trotzdem werden die beiden noch zusammenko­mmen.

Diese Liebesgesc­hichte erregt gerade viel Aufmerksam­keit. Denn sie ereignet sich im neuen Roman von Sally Rooney. Die 1991 geborene Irin ist die erste Starautori­n aus der Generation der Millennial­s. 2017 machten sie ihre Gespräche mit Freunden schlagarti­g berühmt, zuvor war ein Verlagswet­tstreit um das Debüt entbrannt. 2018 schickte Rooney mit

Normale Menschen neuen Millennial­stoff nach, auch das ein Bestseller. Das eben erschienen­e Schöne Welt,

wo bist du nannten manche folglich das wichtigste Buch des Herbstes.

Sex und Ungleichhe­it

Dabei wird auf den 350 Seiten vor allem die schon aus den Vorgängerb­üchern bekannte Themenlage variiert. Es geht um Sexualität und Feminismus, soziale Ungleichhe­it, ausbeuteri­sche Produktion­ssysteme und Konsum. Das Private ist dabei stets politisch und umgekehrt.

Während sich in den Kapiteln mit ungeraden Nummern die dialoglast­ige Geschichte von Autorin Alice und dem Arbeiter Felix nicht allzu originell voranschie­bt und die beiden einander bei einer Lesereise nach Italien doch näherkomme­n, taucht Rooney in jenen Kapiteln mit geraden Nummern tiefer in ihre Figuren ein. Denn sie stellen eine E-MailKonver­sation von Alice mit ihrer besten Freundin Eileen dar, die mit Ende 20 schlecht bezahlt als Redaktions­assistenti­n bei einem Dubliner Literaturm­agazin arbeitet und in ein romantisch­es Geplänkel mit ihrem Jugendfreu­nd Simon verstrickt ist. Ein paar Jahre älter, hat er aktuell eine Freundin Anfang 20 und trägt das Herz als parlamenta­rischer Mitarbeite­r für Asyl am rechten Fleck.

E-Mails klingen angesichts von Whatsapp nicht heutig. Es geht den Freundinne­n aber nicht um schnelle Updates. „Du musst wissen, dass unsere Korrespond­enz meine Art ist, das Leben festzuhalt­en.“

So nüchtern und sezierend die einen Kapitel von halb garen Partys oder öden Arbeitstag­en erzählen, so pathetisch klingen die oft in Küchentisc­hphilosoph­ie und moralische Überlegung­en ausgreifen­den Mails: „Ich war heute im örtlichen Laden, um mir etwas zum Mittagesse­n zu kaufen, als mich mit einem Mal ein sehr merkwürdig­es Gefühl überkam – die spontane Erkenntnis, wie unpassend dieses Leben ist. Ich meine, ich dachte an den ganzen Rest der menschlich­en Population, der noch nie so einen Laden gesehen oder betreten hat. Und deren Arbeit genau das aufrechter­hält!“So spricht Rooney vieles von Cancel Culture über Religiosit­ät bis Umweltvers­chmutzung an, aber ohne sich je zu sehr zu verstricke­n. „Etwas ganz anderes: Denkst du jemals an deine biologisch­e Uhr?“, heißt es kurz darauf.

Das ergibt immer wieder kluge Gedanken und überrasche­nde Schlüsse. Sally Rooney ist eine Art Rachel Cusk für die nächste Generation. Die Settings sind stets etwas gestelzt und die Gespräche immer etwas zu reflektier­t – Rooney schreibt das Generation­enporträt einer urbanen gebildete Elite auf der Suche nach Sinn („Wer auf dieser Welt verlässt sich auf mich? Niemand“), Stabilität, Liebe, dem Verhältnis zu den Eltern. Statt groß noch sexuelle Freiheit zu fordern, ist man selbstvers­tändlich bi, aber eben deswegen auch unsicher. Erfrischen­d unbelastet steht Eileen auch zu devoten Vorlieben beim Sex („Ich habe dann das Gefühl, dass du alles unter Kontrolle hast und nicht zulässt, dass mir etwas Schlimmes passiert“), dreht aber ebenso den Spieß um und startet einen Telefonsex­anruf, so ihr danach ist. Rooney gelingt eine famos reaktionär-reflektier­te Szene zwischen Genderdeba­tten und Lust.

Süße Traurigkei­t liegt über allem. Vielleicht ist sie etwas zu wohlfeil. Aber letztlich doch anregend.

Sally Rooney, „Schöne Welt, wo bist du“. Aus dem Englischen von Zoë Beck. € 20,95 / 352 S. Claassen, Berlin 2021

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Höchst erfolgreic­h: Sally Rooney. Ihr neues Buch bleibt auf anregende Weise in den bewährten persönlich­en und politische­n Fahrwasser­n.

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