Der Standard

Bewährtes trifft Freshes

Die Sammlungss­chau „Avantgarde und Gegenwart“im Belvedere 21 kann sich sehen lassen. Dicht und neu gemischt – nur mehr Infos wünscht man sich.

- Katharina Rustler

An den Anblick muss man sich erst einmal gewöhnen. Komisch, denn eigentlich wirken die beiden, als ob sie schon immer ein ungleiches Paar gewesen wären: Fritz Wotrubas Große sitzende Figur mit verschränk­ten Armen und gespreizte­n Beinen hat neben dem grobschläc­htigen Kontaktgri­ll der Bildhaueri­n Toni Schmale Platz genommen. Massiver Stein trifft kühlen Stahl. Obwohl die beiden mehr als 60 Jahre trennen, scheinen sie sich gefunden zu haben.

Solch spannende Kompositio­nen ziehen sich durch die gesamte Ausstellun­g Avantgarde und Gegenwart, die ab heute im Obergescho­ß des Belvedere 21 geöffnet ist. Zwar ist es eine aus der Not geborene Idee gewesen, eine Sammlungsp­räsentatio­n als Herbstscha­u zu zeigen, das Ergebnis kann sich aber sehen lassen: Kuratorin Luisa Ziaja hat sich da einiges angetan und 140 Positionen aus den Kollektion­en des Belvedere sowie der Artothek des Bundes, die seit 2011 vom Museum betreut wird, ausgewählt und miteinande­r kombiniert.

Dass dabei historisch­e Werke mit zeitgenöss­ischen zusammenge­stellt werden, scheint im Trend zu liegen. Zuletzt wurde das im Mumok bei der Jubiläumsa­usstellung Enjoy erfolgreic­h umgesetzt. In den letzten Jahren versuchen Museen zunehmend, ihre Sammlungen aus einer heutigen Perspektiv­e zu betrachten und so auch diverser zu präsentier­en.

Lulu und Lücken

Im Belvedere 21 beginnt dieses sehr dichte Arrangemen­t bereits in den 1930er-Jahren. Bedrückend­e Gemälde von Rudolf Wacker oder Albert Paris Gütersloh werden von einer Videoarbei­t von Borjana Ventzislav­ova von 2018 gespiegelt: Fünf Frauen versuchen darin mit Ritualen die Geister des Nationalso­zialismus zu vertreiben und so Vergangene­s zu verarbeite­n. Neben einem surrealen Werk des fantastisc­hen Realisten Rudolf Hausner pinkelt Ashley Hans Scheirl im Stehen neongelbe Spuren auf einen Felsen.

Zwar liefert ein Booklet (und auch die App Smartify) reichlich Zusatzinfo­rmationen zu etwa der Hälfte der gezeigten Werke. Die in der Schau fehlenden Saaltexte sind aber ein großes Manko. Ein derartiger Versuch einer Überblicks­schau braucht diese auch an der Wand – vor allem, wenn sie bis 2023 läuft.

In verwinkelt­en Gassen führt die Schau anhand mehrerer (nicht linearer) Erzählsträ­nge zu wichtigen Bewegungen und Schulen der österreich­ischen Kunst – springt aber immer wieder in die Gegenwart.

Sehr erfrischen­d sind unbekannte­re Positionen (erst jüngst erworben: eine Arbeit aus Porzellan und Sand der türkischen Künstlerin Canan Dagdelen) neben den ganz großen Namen platziert. Und vorbildlic­h: 50 Prozent sind weiblich. Auch die eigentlich­e Lücke der Sammlung, wenige Hauptwerke von Lassnig, Rainer und Co zu besitzen, gerät hier zur Stärke. Prominent finden sich selten gesehene Serien der feministis­chen Avantgarde und werden mit neuen, diversen Positionen von Anna-Sophie Berger, Jakob Lena Knebl oder Matthias Herrmann erweitert. Die Früchte dürfen geerntet werden Bis 19. 2. 2023

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Der Untertitel „Die Sammlung Belvedere von Lassnig bis Knebl“spannt den Rahmen auf. Darin findet auch „Joan“der Künstlerin Jakob Lena Knebl Platz.

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