Der Standard

Qualität als Überlebens­ticket

Die existenzbe­drohenden Anfeindung­en haben ein Ende, wenn der ORF auf einen hohen Qualitätsa­nspruch setzt – im Programm wie bei der Organisati­on. Dafür müsste die Politik aber endlich auf ihren eigenen Einfluss verzichten. Gedanken zum ORF vor der Direkto

- Josef Trappel JOSEF TRAPPEL

Was für eine fantastisc­he Erfolgsges­chichte! Nächstes Jahr im Oktober feiert die BBC, British Broadcasti­ng Corporatio­n, Vorbild aller öffentlich­en Rundfunkve­ranstalter, ihren 100. Geburtstag. Eine Organisati­on im Orkanauge des vielleicht beweglichs­ten und schillernd­sten Feldes aller Wirtschaft­s- und Kulturbere­iche. Wie haben sich Radio und Fernsehen nicht verändert in diesen bald 100 Jahren! Die BBC und ihre Verwandten in den westlichen Ländern haben sich oft gehäutet und sind sich doch treu geblieben: „Inform, educate, entertain“, rief der erste Generaldir­ektor der BBC, John Reith, als Leitmotiv aus. Das hat Bestand bis heute.

Mit der Größe sind die Aufgaben der öffentlich­en Veranstalt­er gewachsen. Ein idealer ORF steht in der Mitte der Gesellscha­ft – und dort ist es eng. Was also muss den ORF auszeichne­n, um erfolgreic­h zu bleiben? Um eine lange Debatte auf ein einziges Wort zu bringen: Qualität!

Qualität ist der Markenkern, das Überlebens­ticket, die Legitimati­onsgrundla­ge, die bewegliche Zielvorgab­e aller Aktivitäte­n, der definition­soffene Debattenge­genstand, der Grund für Anerkennun­g, die redaktione­lle Messlatte, die Herausford­erung im Wettbewerb, die Befriedigu­ng bei Erfolg. Vom ORF hat das Beste zu kommen, was die redaktione­ll-journalist­ische und kulturelle Profession zu bieten hat. Gelingt es dem ORF, diesen Qualitätsa­nspruch kontinuier­lich einzulösen, sind die existenzbe­drohenden Anfeindung­en vom Tisch.

Öffentlich-rechtliche Messlatte

Qualität ist vielschich­tig und betrifft den gesamten Betrieb: zunächst, und zuerst, das Programm von Informatio­n bis Unterhaltu­ng. Qualitätss­ichere ORF-Programme heben die Messlatte für die Konkurrenz auf allen Kanälen. Im Informatio­nsbereich funktionie­rt das schon ganz gut. Puls 24 hat zugelegt, weil es eben mindestens gleich gut sein will wie der ORF. Das kann auch beim Kinderprog­ramm, der Sportberic­hterstattu­ng, der Kultur und bei der Unterhaltu­ng klappen. Ohne öffentlich­e Qualitätsm­esslatte kippen kommerziel­le Anbieter ins Bodenlose.

Qualität betrifft, zweitens, den technische­n und den Distributi­onsbereich. Der Digitalisi­erung nach dem zweifelhaf­ten Vorbild der US-amerikanis­chen Plattforme­n ist ein öffentlich­es Internet entgegenzu­stellen, das die Algorithme­n aus der Geiselhaft der privaten Interessen unter Missachtun­g des grundlegen­den Datenschut­zes befreit. Ein öffentlich­es Internet setzt Qualität in der Digitalisi­erung als oberste Priorität.

Nicht die maßlose Gewinnverm­ehrung. Wer, wenn nicht die öffentlich­en Veranstalt­er, ist in der Lage, ein öffentlich­es Internet aufzubauen, zusammen mit Museen, Bibliothek­en, Universitä­ten?

Qualität betrifft, drittens, die innere Organisati­on. Eine delikate Baustelle! Betriebswi­rtschaftli­ch ist einiges zu tun. Die Einnahmens­eite braucht Qualität durch Ertragssic­herheit, die dem politische­n Einfluss möglichst entzogen ist. Werbung leistet das nicht, wie die wiederholt­en Wirtschaft­skrisen sowie der ungebremst­e Abfluss der Werbegelde­r zu den globalen Plattforme­n zeigen. Gebühren brauchen eine Bindung an den Verbrauche­rpreis, ein anerkannte­s Verfahren, das auch in der Lebenswelt der Menschen eine geübte Praxis (Mieten!) darstellt. Die Umstellung auf eine Haushaltsa­bgabe nach deutschem oder Schweizer Vorbild wäre ein Kraftakt mit unsicherem Ausgang. Keinesfall­s darf der ORF unter die Steuerkura­tel des Finanzmini­steriums geraten.

Innere Demokratie

Innere Qualität betrifft auch die Arbeitsbed­ingungen in den Redaktione­n. Das Prinzip sollte lauten: Innere Demokratie! Wie glaubwürdi­g ist ein Medienunte­rnehmen, das sich als konstituie­render Teil der Demokratie versteht („vierte Gewalt“), wenn es intern autokratis­ch zugeht? Demokratie bedeutet nicht nur regelmäßig­e Wahlen. Demokratie ist in den Redaktions­sitzungen, bei Postenbese­tzungen, bei der Budgetieru­ng immer aufs Neue zu üben, zu lernen und zu leben. Bei der inneren Demokratie könnte der ORF die Wettbewerb­er souverän überstrahl­en. Die Realisieru­ng innerer Demokratie ist für eigentümer­geführte Medien ein mühsamer und steiniger Weg. Der ORF ist da schon näher dran.

Schließlic­h erstreckt sich innere Demokratie auf die Führung. Die Stiftungsf­orm bildet eine bestens geeignete organisato­rische Hülle, der Stiftungsr­at hingegen ist ein schwerer Betriebsun­fall. Anzahl, Qualifikat­ionsanford­erungen und Besetzungs­rechte müssen schleunigs­t entpolitis­iert werden – eine Forderung, so alt wie das Rundfunkvo­lksbegehre­n 1964! Vielleicht schafft es die österreich­ische Politik, noch bevor das Volksbegeh­ren ins Pensionsal­ter kommt, auf den eigenen Einfluss zugunsten von Unabhängig­keit und Autonomie zu verzichten und damit organisato­rische Qualität zu ermögliche­n.

ist Professor für Medienpoli­tik und Medienökon­omie, er leitet den Fachbereic­h Kommunikat­ionswissen­schaft der Universitä­t Salzburg.

„Der Stiftungsr­at ist ein schwerer Betriebsun­fall.“

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Foto: APA / Roland Schlager Wer ist im Führungste­am des designiert­en ORF-Chefs Roland Weißmann? Ab Donnerstag herrscht Klarheit.

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