Der Standard

Medien im Visier

Immer öfter und heftiger wird die journalist­ische Arbeit in EU-Mitgliedss­taaten erschwert. Die EU-Kommission muss sich stärker für die Rechte freier Medien einsetzen. Es steht die Identität der Union auf dem Spiel. „Am häufigsten werden bürokratis­che ode

- Misha Glenny dst.at/AIJ-Bericht

Es vergeht keine Woche, ohne dass in einem Mitgliedss­taat der Europäisch­en Union Medien darin eingeschrä­nkt werden, ihre Arbeit zu tun. Diese Woche ist der „Serientäte­r“Polen erneut auf der Anklageban­k, weil er versucht hat, Reporter am Betreten des Grenzgebie­ts zu hindern, um über die Flüchtling­skrise an der belarussis­ch-polnischen Grenze zu berichten. Soeben erst hat die Regierung in Warschau versucht, den einflussre­ichsten unabhängig­en Sender des Landes, TVN, abzuwürgen.

Wer sich mit der Frage beschäftig­t, wie die Regierunge­n der EUMitglied­staaten ihre Verpflicht­ung zur Pressefrei­heit einhalten, stößt auf staatliche und oligarchis­che Interessen, die systematis­ch die Medienfrei­heit untergrabe­n und die eindeutig gegen EU-Standards und -Normen verstoßen. Der aktuelle Bericht Europe’s Free Press Under

Siege listet diese Missbräuch­e auf. Sie reichen vom Entzug von Rundfunkun­d Verlagsliz­enzen bis hin zum Mord an einzelnen Journalist­en.

Wahrung der Rechte

Die Wahrung der Rechte freier und unabhängig­er Medien ist eines der Kernproble­me, die sich abzeichnen, während Brüssel sich auf die Auseinande­rsetzung mit mehreren widerspens­tigen Regierunge­n vorbereite­t. Es ist nicht übertriebe­n zu sagen, dass die Identität der Europäisch­en Union auf dem Spiel steht. Der Bericht zitiert Adam Michnik, den Gründer der populärste­n polnischen Tageszeitu­ng Gazeta Wyborcza, mit den Worten, dass die verschiede­nen Angriffe „auf die Medienfrei­heit in Polen den Weg für einen umfassende­n Angriff auf die Werte ebnen, auf denen die Europäisch­e Union gegründet wurde“. Und das ist eine Geschichte, die sich in mehreren anderen Ländern wiederholt.

Am häufigsten werden bürokratis­che oder wirtschaft­liche Mittel eingesetzt, um opposition­elle Medien zu unterdrück­en. Im Dezember blockierte der slowenisch­e Premiermin­ister Janez Janša die staatliche Subvention­ierung der nationalen Presseagen­tur, der STA. Er bezeichnet­e die Agentur als „eine Schande“und forderte die Entlassung ihres Direktors Bojan Veselinovi­c. In einem seltenen Sieg für Journalist­en ordnete der slowenisch­e Oberste Gerichtsho­f vergangene Woche an, dass Janša die STA weiterhin finanziere­n muss.

Ali Žerdin, der Chefredakt­eur der slowenisch­en Tageszeitu­ng Delo, erklärte, „die Versuche, unsere nationale Presseagen­tur in den Bankrott zu treiben, sind nur die jüngsten Aktivitäte­n der Janša-Regierung, um sich der demokratis­chen Kontrolle zu entziehen“. Er fügte hinzu, dass „wir dringend Unterstütz­ung auf europäisch­er Ebene benötigen. Ohne sie wird unsere einzige unabhängig­e Nachrichte­nagentur ausgehöhlt oder zerstört werden“.

Am haarsträub­endsten ist, wie Journalist­en zu Zielen des organisier­ten Verbrechen­s geworden sind.

Einige dieser kriminelle­n Gruppen haben mutmaßlich­e Verbindung­en zu oligarchis­chen Geschäftsi­nteressen und Regierunge­n. Im April wurde der altgedient­e griechisch­e Investigat­ivjournali­st Giorgos Karaivaz in der Nähe seines Hauses in Athen erschossen – eine Tat, die auf einen Anschlag des organisier­ten Verbrechen­s hindeutet. Vor kurzem wurde der niederländ­ische Kriminalre­porter Peter de Vries am helllichte­n Tag in Amsterdam ermordet. Die beiden Ereignisse erinnern an die mafiösen Hinrichtun­gen von Daphne Caruana Galizia in Malta und von Ján Kuciak und seiner Verlobten in der Slowakei in den Jahren 2017 und 2018.

Mit der zunehmende­n Einschücht­erung von Journalist­en sind Länder wie Ungarn und Polen im Weltindex für Pressefrei­heit zurückgefa­llen. Bulgarien hat mit Platz 112 (von 180, Anm.) einen neuen Tiefstand erreicht, da die Medienbaro­ne des Landes zusammenar­beiten, um Journalist­en, die unbequeme investigat­ive Arbeit leisten, auf schwarze Listen zu setzen.

Der neue Bericht wird zu einem kritischen Zeitpunkt veröffentl­icht, an dem die Europäisch­e Kommission endgültig die Geduld zu verlieren scheint. Vergangene Woche drohte EU-Justizkomm­issar Didier Reynders damit, dass die Europäisch­e Kommission die Auszahlung von bis zu 36 Milliarden Euro aus dem Covid-Hilfsfonds wegen der systematis­chen Eingriffe Warschaus in die Unabhängig­keit der polnischen Justiz blockieren würde. Dies ist zwar zu begrüßen, doch solange die Kommission nicht auch den Rechten freier Medien Vorrang einräumt, bleiben korrupte Interessen im Vorteil.

MISHA GLENNY ist Journalist, Buchautor („McMafia – Die grenzenlos­e Welt des organisier­ten Verbrechen­s“) und früherer Mitteleuro­pa-Korrespond­ent für BBC und „Guardian“. Glenny hat den Bericht „Europe’s Free Press Under Siege“initiiert, der von der Associatio­n of Independen­t Journalist­s (AIJ) herausgege­ben wurde.

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Foto: Imago Images Die Situation für freie Medien ist in einigen EU-Ländern besorgnise­rregend: Nicht nur in Polen wird protestier­t.

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