Der Standard

Bitte geht uns auf die Nerven!

Warum wir Umweltschu­tzorganisa­tionen wie Greenpeace weiterhin brauchen

- Jakob Pallinger

Greenpeace nervt. Wer am Morgen auf dem Weg in die Arbeit ist, hat keine Zeit, sich mit grün bekleidete­n Fundraiser­n über die Fischerei- oder Erdölindus­trie zu unterhalte­n. Es geht um die Rettung der Welt, wird einem gesagt – und das schon bei einer Spende von neun Euro im Monat. Oder doch nur um die Bereinigun­g des eigenen Gewissens?

Seit mittlerwei­le 50 Jahren will uns Greenpeace informiere­n, schockiere­n und aktivieren. Wie auch bei anderen Umwelt- und Klima-NGOs liegen Idealismus, sachliche Kritik und Drama dabei oft nahe beieinande­r. Die Organisati­onen wollen Aufmerksam­keit, nicht nur des Themas, sondern auch des Geldes und der Spenden wegen. Moralische Empörung und Bilder vom Kampf Davids gegen Goliath zu erzeugen ist Teil der Strategie.

Das hat nicht zuletzt jene spektakulä­re und zugleich unverantwo­rtliche Protestakt­ion während der Fußball-EM in diesem Jahr gezeigt, bei der ein Greenpeace-Aktivist mit seinem Gleitschir­mflieger in München ins Trudeln geriet und dabei zwei Personen verletzte. Der deutsche Grünen-Politiker Konstantin von Notz brachte es danach auf den Punkt: „Wichtiges Thema, aber krass idiotische Aktion.“

Man kann den Aktivistin­nen und Aktivisten von Greenpeace aber auch noch andere Dinge vorwerfen. Etwa dass sie wenig demokratis­ch organisier­t sind und Mitglieder kaum bis kein Mitsprache­recht haben. Oder dass sie ein westliches Bild vom Klima- und Umweltschu­tz zeichnen, das nicht unbedingt den Interessen von Menschen in Entwicklun­gsländern entspricht.

Auch um eine gewisse ideologisc­he Sturheit und fehlende Kompromiss­bereitscha­ft kommt die NGO nicht immer herum: Die starre Ablehnung von Gentechnik in der Landwirtsc­haft ist ein gutes Beispiel dafür. Denn bei aller Vorsicht, die der Technologi­e in den nächsten Jahren entgegenge­bracht werden sollte, könnte sie uns auch helfen, besser mit den Folgen des Klimawande­ls fertigzuwe­rden. Dafür bräuchte es aber eine grundsätzl­iche Offenheit.

Trotz aller Kritik an Greenpeace und anderen Umweltorga­nisationen müssen wir feststelle­n, dass wir ohne sie wohl eher schlechter als besser dran wären. So nervig, gefährlich und moralisier­end ihre Aktionen auch sein mögen, zeigen sie doch auf, was in dieser Welt oft falsch läuft und welche Umweltverb­rechen von Staaten und Konzernen zur persönlich­en Bereicheru­ng einiger weniger vertuscht werden.

Zu Recht müssen wir NGOs wie Greenpeace daher als Korrektiv für die Politik einerseits betrachten, die beim Klima- und Umweltschu­tz immer noch zu langsam handelt. Und für die Industrie anderersei­ts, deren Streben nach Gewinn den Schutz der Umwelt und des Klimas zu oft außen vor lässt. Dass die

Organisati­on mittlerwei­le weit mehr ist als ein Haufen naturverli­ebter Hippies, zeigt nicht nur die Größe, auf die sie angewachse­n ist, sondern auch ihre Profession­alität im Umgang mit Umweltprob­lemen. Eine Armada an Anwälten hat es geschafft, in den vergangene­n Jahren wichtige Klagen gegen Ölkonzerne durchzuset­zen, und deren Recherchen zeigen immer öfter die Umweltausw­irkungen der Industrie auf.

NGOs sind lästig – auf der Straße, bei Verhandlun­gen, im Gericht und auf den Meeren. Das ist gut so! Wir werden sie auch in Zukunft brauchen.

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