Der Standard

Verräteris­che Chats mit Folgen

Der einst wohl mächtigste Mann im Justizmini­sterium muss sich ab Anfang November vor Gericht verantwort­en. Ihm wird vorgeworfe­n, einer Redakteuri­n des „Kurier“Amtsgeheim­nisse verraten zu haben.

- Fabian Schmid

Fast ein Jahrzehnt lang war Christian Pilnacek Wächter über alle Strafverfa­hren in Österreich: Als Leiter der Supersekti­on V im Justizmini­sterium gingen Vorhaben der einzelnen Staatsanwa­ltschaften über seinen Tisch. Pilnacek konnte mitentsche­iden, wer angeklagt wird, Ermittlung­en in die eine oder andere Richtung lenken oder per Weisung einstellen. Über ihm gab es nur mehr den Minister und dessen Weisungsra­t. Vor allem Wolfgang Brandstett­er und Josef Moser (beide von der ÖVP nominiert) machten Pilnacek zu ihrer rechten Hand.

Die Zeiten haben sich geändert: Mit Alma Zadić bestimmt nun eine junge Grüne über das Ministeriu­m. Sie entmachtet­e Pilnacek, indem sie zuerst seine Supersekti­on aufteilte und ihn dadurch von der Aufsicht über Ermittlung­en abzog. Dann folgte im Frühjahr 2021 seine Suspendier­ung aufgrund mehrerer Ermittlung­en samt erbitterte­m Rechtsstre­it zwischen Pilnacek und Ministeriu­m.

Der tiefe Fall des langjährig­en Sektionsch­efs ist aber noch nicht zu Ende: Am 3. November wird er als Angeklagte­r vor dem Straflande­sgericht Wien erscheinen müssen. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft, weil er Amtsgeheim­nisse verraten haben soll – Pilnacek plädiert auf nicht schuldig; es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Schon wieder Chats

Es sind wieder einmal Chatnachri­chten, die einem Spitzenbea­mten zum Verhängnis werden könnten. Am 15. und 16. Dezember 2020 konversier­t Pilnacek mit einer Redakteuri­n des Kurier. Aus den Chats soll hervorgehe­n, dass er sie zunächst persönlich getroffen hat, danach unterhalte­n sich die beiden online weiter. „Hoffe, Sie sind auch bald zu Hause; habe mich gefreut, Sie zu sehen“, sagt Pilnacek in einer Sprachnach­richt. Die Redakteuri­n antwortet, sie sei schon zu Hause, und nimmt Bezug auf etwas, das Pilnacek ihr offenbar zuvor erzählt hat: Das sei „schlimm, irgendwie Stasi-Methode“.

Dabei geht es um eine weitere Journalist­in, die bei der Presse arbeitet. Sie hatte einen Artikel über die von Pilnacek verhasste Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) verfasst und darin Dinge geschriebe­n, die den dortigen Oberstaats­anwältinne­n und Oberstaats­anwälten sauer aufstießen – und zwar so sehr, dass sie eine strafrecht­liche Anzeige gegen die Journalist­in einbrachte­n.

Anzeige und Anklage

Die Staatsanwa­ltschaft Wien nimmt aber gar keine Ermittlung­en auf. „Bei einer am Recht der freien Meinungsäu­ßerung nach Art. 10 MRK orientiert­en Betrachtun­g erfüllt der in Rede stehende Artikel sohin keinen strafrecht­lichen Tatbestand“, heißt es später in der Begründung, warum kein Verfahren eingeleite­t worden ist.

Zu diesem Zeitpunkt, als Pilnacek und die

Kurier-Redakteuri­n chatten, ist die Angelegenh­eit allerdings nur einem kleinen Kreis an Eingeweiht­en bekannt. Es ist eine Phase, in der Pilnacek vehement gegen die WKStA vorgeht, mit der er seit Jahren einen erbitterte­n Konflikt austrägt; mitausgelö­st durch die heimliche Aufnahme einer Dienstbesp­rechung in der Causa Eurofighte­r, die publik wurde.

„Bin noch am Überlegen, was ich mit diesem Wissen mache“, schreibt Pilnacek der Journalist­in über die Anzeige der WKStAStaat­sanwälte gegen die Redakteuri­n der

Presse. Am nächsten Tag fragt die Kurier-Journalist­in weiter nach. Pilnacek erklärt, das Verfahren liege bei der Oberstaats­anwaltscha­ft (OStA) Wien. Würde die Redakteuri­n berichten, „so wäre klar, wer geleakt hätte“. „Ich mache eh nichts“, antwortet diese; Pilnacek repliziert: „Vielleicht geht es auf anderem Weg“, etwa über eine parlamenta­rische Anfrage, „dann wäre ich froh, wenn Sie was machen.“

Die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck, die in diesem Fall ermittelte, sieht hierin das Vergehen der Verletzung des Amtsgeheim­nisses. Auch vor dem Bundesverw­altungsger­icht war die Angelegenh­eit im Zuge von Pilnaceks Kampf gegen seine Suspendier­ung bereits behandelt worden.

Dort hatte er sich verteidigt, dass die KurierReda­kteurin selbstrech­erchiertes Wissen mit ihm habe abgleichen wollen, er also nichts verraten habe. Außerdem sei der Chatverlau­f aufgrund des Redaktions­geheimniss­es geschützt gewesen. Beides verneinte das Bundesverw­altungsger­icht. „Es liegt daher ein ausreichen­d begründete­r Verdacht für die schuldhaft­e Begehung einer Dienstpfli­chtverletz­ung (...) vor“, heißt es in der schriftlic­hen Entscheidu­ng.

Das Straflande­sgericht Wien muss nun entscheide­n, ob neben dem dienstrech­tlichen auch ein strafrecht­liches Fehlverhal­ten vorliegt. Dabei handelt es sich nur um eines von mehreren Verfahren, die gegen den suspendier­ten Sektionsch­ef geführt werden: Ihm wird außerdem vorgeworfe­n, im Untersuchu­ngsausschu­ss falsch ausgesagt zu haben und eine Hausdurchs­uchung an den einstigen Justizmini­ster Brandstett­er verraten zu haben. Das wird von allen Beteiligte­n bestritten. Pilnaceks Verteidige­r Rüdiger Schender äußerte sich auf Anfrage nicht.

Die Presse hatte die Anzeige der WKStA gegen ihre Journalist­in später selbst publikgema­cht, was zu vielen empörten Reaktionen über das Vorgehen der WKStA führte. Die Behörde entschuldi­gte sich anschließe­nd: Die Wahl des Mittels sei „nicht adäquat“gewesen.

„Ja, das Ganze liegt bei der OStA, so wäre klar, wer geleakt hätte.“

Pilnacek an eine „Kurier“-Redakteuri­n

 ?? ?? Sektionsch­ef Christian Pilnacek wird vorgeworfe­n, einer „Kurier“-Redakteuri­n Amtsgeheim­nisse offenbart zu haben. Er bestreitet das, wird jedoch durch Chats belastet. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.
Sektionsch­ef Christian Pilnacek wird vorgeworfe­n, einer „Kurier“-Redakteuri­n Amtsgeheim­nisse offenbart zu haben. Er bestreitet das, wird jedoch durch Chats belastet. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria