Der Standard

Eine Wahl im Zeichen der Fake-News

Verschwöru­ngsmythen erschütter­n das Vertrauen in die Demokratie

- Mickey Manakas

Vermeintli­che Wahlmanipu­lation, geheime Deals zwischen Angela Merkel und den Grünen, Annalena Baerbock als Drahtziehe­rin der neuen Weltordnun­g: Das Internet strotzt im Vorfeld der deutschen Bundestags­wahl vor Falschinfo­rmationen und Verschwöru­ngsmythen. Spitzenkan­didatinnen und -kandidaten werden zur Zielscheib­e persönlich­er Angriffe, mit denen das Vertrauen der Bevölkerun­g in demokratis­che Prozesse ins Wanken gebracht werden soll.

Möchte man herausfind­en, wo die Erzählunge­n in der Pandemie ihren Ursprung haben, muss man eigentlich nur eins und eins zusammenzä­hlen. Immerhin strömten in Deutschlan­d und Österreich aus Protest zwischenze­itlich zehntausen­de Menschen auf die Straße; in fester Überzeugun­g, das Virus sei harmlos oder gar erfunden – und eine Ausrede der Elite, sie ihrer Freiheit zu berauben.

Einflussre­iche Gruppierun­gen

Es liegt nahe, dass sich Angriffe vor allem auf Vertreter der Altparteie­n, also auf Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD), konzentrie­ren. Zu hören war die Mär vom Wahlverbot für geimpfte Personen, die Behauptung, Baerbock wolle die Witwenrent­e abschaffen, und dass Spenden für Opfer der Flutkatast­rophe in den Wahlkampf Laschets geflossen seien.

Eine Untersuchu­ng des Institute for Strategic Dialogue (ISD Germany) zeigte jedoch: Am häufigsten zielen systematis­che Kampagnen, getüncht mit sexistisch­en Vorwürfen, auf die grüne Spitzenkan­didatin ab. „Genderspez­ifische Desinforma­tionskampa­gnen sind eine Bedrohung für unsere Demokratie“, sagt ISD-Forscherin Helena Schwerthei­m, da sich Kandidatin­nen infolgedes­sen aus digitalen Diskursen und letztlich aus demokratis­chen Prozessen zurückzieh­en könnten.

Die immer stärkere Emotionali­sierung dieses faktenfein­dlichen Diskurses mündete nicht zuletzt in der versuchten Stürmung des Reichstags im August 2020. Sie ließ außerdem die Onlinepräs­enz von Gruppierun­gen wie den „Querdenker­n“in kürzester Zeit stark ansteigen. Vor allem im Messengerd­ienst Telegram stachelt die Szenepromi­nenz bereits seit Monaten ihre Gefolgscha­ft gegen Regierung, Pharmabran­che und geimpfte Menschen auf.

Einflussve­rsuche stammen primär aus dem Inland, sagt Josef Holnburger, Experte für Verschwöru­ngsmythen bei der Denkfabrik Cemas. Doch auch ausländisc­he Organisati­onen sind involviert. Das von Russland finanziert­e Nachrichte­nportal RT Deutsch greift regelmäßig die erfolgreic­hsten Desinforma­tionen auf und vergrößert deren Reichweite.

Alternativ­e, mächtige Kanäle

Corona-Maßnahmeng­egner erkannten das Potenzial hinter Telegram sehr schnell und entschiede­n schon Ende April 2020, Facebook hinter sich zu lassen. Am Zielort schon länger vertretene Akteure konnten ihre Reichweite dadurch teils vervierfac­hen. Es verwundert also nicht, dass der Messenger essenziell wichtiger Inkubator für Verschwöru­ngsmythen rund um die Wahl ist; sind diese doch eng verwoben mit massentaug­lichen Erzählunge­n rund um die Covid-19-Pandemie.

Am gefährlich­sten ist jedoch das eingangs erwähnte Narrativ der vermeintli­ch gefälschte­n Wahl, sind sich die Forscher einig. Den Menschen soll das Vertrauen in den Wahlprozes­s, die Demokratie und Regierung genommen werden. Wohin das im Extremfall führen kann, zeigen die USA und der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner. Zwar ist es unwahrsche­inlich, dass es in Deutschlan­d in näherer Zukunft zu einem vergleichb­aren Gewaltausb­ruch kommen könnte. Allerdings müssen die Folgen von Desinforma­tion langfristi­ger betrachtet werden, erschütter­ten sie doch seit der Bundestags­wahl 2017 schon das Vertrauen zahlreiche­r Bürger.

Laut Schwerthei­m braucht es deshalb eine Förderung der Medienkomp­etenz, der politische­n Bildung und vor allem mehr systematis­che Regulierun­g von Social-Media-Plattforme­n. Nur so könne man Destabilis­ierungsver­suche im Keim ersticken.

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