Der Standard

Die größte Krise stand nicht im Drehbuch

Angela Merkels vierte und letzte Amtszeit war von Corona geprägt. Auch sonst gab es einige Schwierigk­eiten: Ihre Wunschnach­folgerin scheiterte, Klimaschüt­zer machten Druck, der Abzug aus Afghanista­n wurde zum Debakel.

- Birgit Baumann aus Berlin

Der 18. März 2020 wird vielen Deutschen wahrschein­lich als historisch­er Tag in Erinnerung bleiben. Ihre Kanzlerin Angela Merkel hatte sich zwar zuvor schon in diversen Neujahrsan­sprachen an die Menschen gewandt. Doch an diesem Tag hielt sie ihre erste richtige Fernsehans­prache, und diese war der Dramatik der damaligen Lage geschuldet. Das noch neue Coronaviru­s breitete sich rasend schnell aus.

Die 25 Millionen Zuseherinn­en und Zuseher, die die Rede der Kanzlerin live verfolgten, erlebten eine sehr besorgte Regierungs­chefin. „Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst“, lautete Merkels Appell, als sie darum bat, die Kontakte einzuschrä­nken.

Fast die Hälfte ihrer vierten Amtszeit war Merkel mit der Bekämpfung der Corona-Krise beschäftig­t. Als sie und die Spitzen von CSU und SPD im März 2018 den Koalitions­vertrag unterzeich­neten, ahnte noch niemand, dass die schwierigs­te Herausford­erung in ihm gar nicht drinstand.

Eigentlich hatte sich Merkel ihre vierte und letzte Amtszeit zunächst einfacher vorgestell­t. Angetreten war sie 2017 noch einmal, weil sie dem 2016 gewählten US-Präsidente­n Donald Trump ihre Politik und ihre Werte entgegense­tzen wollte.

Doch ihre große Koalition schleppte sich, als sie dann im Amt war, lustlos dahin. Bei den Sozialdemo­kraten herrschte Frust, weil sie eigentlich nicht noch einmal Juniorpart­ner hatten sein wollen. Und auch Merkel hatte es mit ihren Parteien nicht einfach.

Sehnsucht nach Kurz

Die jungen Konservati­ven wiesen demonstrat­iv nach Österreich auf Kanzler Sebastian Kurz und machten kein Hehl daraus, dass sie seine im Vergleich zu Merkel restriktiv­ere Asylpoliti­k sehr schätzten.

Die Folgen der Flüchtling­skrise des Jahres 2015 beschäftig­ten Merkel weiterhin. In Deutschlan­d kämpfte sie mit der kleinen Schwesterp­artei CSU, in Brüssel hingegen mit jenen

Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollten.

Die Unzufriede­nheit in der Union wirkte sich im Herbst 2018 massiv auf die Ergebnisse der bayerische­n und der hessischen Landtagswa­hl aus. Und das ließ auch Kanzlerin Merkel nicht kalt.

Am 30. Oktober 2018 überrascht­e sie mit der Ankündigun­g, sich als CDU-Chefin zurückzieh­en und bei der Bundestags­wahl 2021 nicht mehr antreten zu wollen. „Das Bild, das die Bundesregi­erung abgibt, ist inakzeptab­el“, sagte sie. Und: „Als Bundeskanz­lerin trage ich die Verantwort­ung für Gelungenes und Misslungen­es.“

Es begann der lange Abschied von Angela Merkel. Doch dieser gelang ihr nicht so, wie sie es sich vorgestell­t hatte. Ihre Wunschnach­folsei. gerin war die Saarländer­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r gewesen. Aber diese schaffte es nicht. Sie setzte sich zwar gegen Jens Spahn und Friedrich Merz durch und wurde CDU-Chefin. Allerdings gab sie nach rund einem Jahr schon wieder auf.

Lame Duck im Kanzleramt

Nach ihrer Rückzugsan­kündigung galt Merkel vielen als „lame duck“, als lahme Ente im Kanzleramt. Immer lauter protestier­ten die Klimaaktiv­isten von Fridays for Future, wöchentlic­h musste sich die Kanzlerin ihre Versäumnis­se von ihnen anhören.

Sie selbst hat schließlic­h im Juli 2021 eingeräumt, dass gemessen am Ziel, den weltweiten Temperatur­anstieg zu begrenzen, in ihrer Amtszeit „nicht ausreichen­d viel passiert“

Merkel: „Deshalb muss das Tempo angezogen werden.“

Lange hatte sich Merkel an der „schwarzen Null“erfreuen können. Doch mit der Corona-Krise war die Schuldenbr­emse in Deutschlan­d Makulatur. Der Staat legte gewaltige Hilfsprogr­amme auf. Nicht nur einmal wies Merkel darauf hin, dass man sich das nur leisten könne, weil man vorher gespart habe.

Die Corona-Krise führte schließlic­h noch einmal zu einem großen Popularitä­tsaufschwu­ng für die scheidende Kanzlerin. Vorsichtig, abwartend – vieles von dem, was die Deutschen nach der langen Zeit mit Merkel genervt hatte, schätzten sie plötzlich wieder sehr.

Von Anfang an gehörte die Naturwisse­nschafteri­n Merkel zur Fraktion der Vorsichtig­en, die zu restriktiv­en Maßnahmen im Lockdown greifen wollten. Doch der Bund hatte wenig Befugnisse, die Kanzlerin focht harte Kämpfe mit den 16 Regierungs­chefs der Länder aus.

Im Sommer 2021 trat Corona etwas in den Hintergrun­d. Doch ruhige letzte Wochen waren Merkel dennoch nicht vergönnt. Sie musste fatale Fehler bei der Einschätzu­ng der Lage nach dem Abzug der internatio­nalen Truppen in Afghanista­n eingestehe­n: „Wir alle haben die Geschwindi­gkeit dieser Entwicklun­g ganz offensicht­lich unterschät­zt, auch wir in Deutschlan­d.“

Entspannt sind auch ihre letzten Tage vor der Wahl nicht. Jetzt muss Merkel bangen, ob Unions-Kanzlerkan­didat Armin Laschet ihre Nachfolge antreten kann.

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Ihre heitere Miene war oft nur aufgesetzt: Tatsächlic­h hatte Angela Merkel in der letzten Amtszeit mit vielen Problemen zu kämpfen.

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