Der Standard

Wenn Ergebnisse nicht das halten, was Umfragen verspreche­n

Nicht immer lagen die deutschen Demoskopen mit ihren Prognosen richtig – und manchmal auch ordentlich daneben

- Gianluca Wallisch

Was, wenn alles ganz anders kommt und die Umfragen gar nicht stimmen? Diese Frage ist in jedem Wahlkampf des einen Albtraum und des anderen Wunschtrau­m. Das ist nachvollzi­ehbar: Denn nur sehr selten liegen die Demoskopen genau am Punkt mit ihrer Prognose.

Besonders heikel stellt sich wenige Tage vor dem Urnengang die Lage in Deutschlan­d dar. Im Laufe des Sommers konnte sich der sozialdemo­kratische Kandidat Olaf Scholz überrasche­nd an die Spitze der Umfragen setzen – doch die bange Frage bei den Roten lautet stets: Werden die Wählerinne­n und Wähler tatsächlic­h ihr Kreuz bei der SPD machen? Oder liegt der Fehler bei den Umfrageins­tituten und deren Methoden?

Schon öfter mussten Politiker und Parteien einen niederschm­etternden Wahlabend erleben, weil sich die Verheißung­en nicht bewahrheit­et hatten. Ein drastische­s Beispiel lieferte dafür 2005 ausgerechn­et die spätere Langzeitka­nzlerin

Angela Merkel: In Umfragen lag sie bei ihrem ersten Antreten als Kanzlerkan­didatin bei durchschni­ttlich 41,6 Prozent. Doch es waren eben nur Umfragewer­te: Das tatsächlic­he Wahlergebn­is von „nur“35,2 Prozent sorgte für Ernüchteru­ng nicht nur bei CDU/CSU, sondern auch bei den Demoskopen, deren Glaubwürdi­gkeit litt.

Nur nicht vorpresche­n!

2009 und 2013 übten sie sich dann in allergrößt­er Vorsicht: Kein Institut scherte aus, alle lagen knapp beieinande­r – fast so, als ob man sich gegenseiti­g beobachten und nicht nach vorn preschen wollte. Tatsächlic­h lagen Umfragen und Ergebnisse dann kaum mehr als zwei Prozentpun­kte auseinande­r. Das schaffte neues Vertrauen.

2017 lagen Traum und Wirklichke­it für Merkels Union schon wieder weiter auseinande­r (Differenz: drei Prozentpun­kte). Dafür performte die rechte AfD um einiges besser, als die Institute berechnet hatten – ein Effekt, den man hierzuland­e jahrelang von der FPÖ kannte: In Umfragen bekennt man sich nicht so gern zu einer Rechtspart­ei – in der anonymen Wahlzelle dann schon eher.

Und heuer, 2021? Das Rennen bleibt knapp – nachdem die Union im Vergleich zu Umfragewer­ten zu Jahresbegi­nn regelrecht abgestürzt ist, die Grünen nur zwischenze­itlich Höhenluft genießen konnten und die SPD ein gar wundersame­s Comeback geschafft hat.

Aber auch hier gilt: Das sind nur Umfragedat­en aus der „Sonntagsfr­age“. Wahlforsch­er wie der Berliner Reiner Faus twittern sich seit Tagen die Finger wund und warnen vor möglichen Verzerrung­en bei den Umfragen. Beachtlich erscheint Faus vor allem die geringe Bandbreite zwischen den Umfrageins­tituten bei der Bewertung der SPD-Werte (zwei Prozentpun­kte) im Vergleich zu jenen von CDU/CSU (sechs Prozentpun­kte).

Liegen sie alle richtig und haben sie daher sehr ähnliche Daten? Oder trimmen alle Demoskopen ihre Ergebnisse so hin, dass man nicht aus der Reihe tanzt? Dieses „Herding“– also die „Tendenz, eigene Umfrageerg­ebnisse an veröffentl­ichte Ergebnisse anzupassen“, birgt für Faus eine große Gefahr: „Liegt der ‚Leitwolf‘ falsch, liegen alle falsch.“

Tatsächlic­h stehen Allensbach, Emnid, Forsa, Infratest und Co vor gleich mehreren Problemen: Weder Olaf Scholz noch Armin Laschet noch Annalena Baerbock gehen als Titelverte­idiger ins Rennen; das heißt, dass nach 16 Jahren Merkel auf personelle­r Ebene absolut alle Karten neu gemischt werden. Und erstmals gibt es nicht zwei, sondern drei Anwärter auf den Posten im Kanzleramt. Auch die Situation, inmitten der Pandemie an die Urne zu schreiten, ist neu – und niemand kann schon jetzt seriös bewerten, wie sich das auf die Wahlentsch­eidung auswirken wird.

 ?? ?? Eine Sache ist es, darüber Auskunft zu geben, wen man wählen wird – eine andere ist es, dort dann tatsächlic­h das Kreuzerl zu machen.
Eine Sache ist es, darüber Auskunft zu geben, wen man wählen wird – eine andere ist es, dort dann tatsächlic­h das Kreuzerl zu machen.

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