Der Standard

Eine Partie gegen den Ungeist

Der Regisseur Philipp Stölzl verwandelt Stefan Zweigs „Schachnove­lle“in seiner aufwendige­n Neuverfilm­ung in ein Mindgame-Movie, in dem man sich im Kopf des Protagonis­ten verfängt.

- Schachnove­lle (Der Medicus) Schachnove­lle Dominik Kamalzadeh Dark, Schachnove­lle Vor der Morgenröte,

Die Selbstdiag­nose lautet „Schachverg­iftung“. In Stefan Zweigs berühmter trägt der von der Gestapo im Hotel interniert­e Dr. B. so lange imaginäre Partien gegen sich selbst aus, um die Folter der Isolations­haft zu überstehen, bis er dem Wahnsinn nahe ist. Auf dem Ozeandampf­er, der ihn aus Österreich ins Exil nach Amerika bringt, tritt er dann das erste Mal gegen einen richtigen Champion an.

Das ist der zentrale Schauplatz dieses so hochkonzen­trierten wie rätselhaft­en Textes, in dem nicht nur das Trauma der Gefangensc­haft, sondern vor allem auch jenes der Erosion einer ganzen Welt widerhallt. Zweigs Novelle ist erst posthum erschienen, er nahm sich nach der Fertigstel­lung gemeinsam mit seiner Frau im brasiliani­schen Petrópolis 1942 das Leben.

Für einen Spielfilm stellt die schwierige Anforderun­gen. Auf weniger als hundert Seiten entführt sie in das Innenleben eines verzweifel­ten Mannes und verzichtet dabei weitgehend auf erzähleris­che Ornamente. Einzig Dr. Bs Gegenspiel­er, der Weltmeiste­r aus ärmlichen Verhältnis­sen, wird als zweite Figur plastisch. Zweigs Erzählweis­e zielt auf die Essenz einer Ohnmachtse­rfahrung und besticht durch Sparsamkei­t, in der das Parabelhaf­te dann allerdings umso nachhaltig­er weiterwirk­t.

Es ist deshalb verständli­ch, dass sich Philipp Stölzls aufwendige Neuverfilm­ung – die zweite nach jener von Gerd Oswald mit Curd Jürgens aus dem Jahr 1960 – von dieser Zweig’schen Verdichtun­g zu lösen versucht. Der Fokus liegt nicht so sehr auf dem Duell auf dem Geistersch­iff, bei dem Dr. B. noch einmal sein Trauma durchlebt, sondern auf einer realeren Partie: der Leizu denserfahr­ung von Dr. B., der sich nunmehr in der Haft mit aller Kraft dagegen wehrt, den Nationalso­zialisten das Geheimnis der von ihm betreuten Konten zu überlassen.

Dr. B. hat jetzt auch einen längeren Namen, Dr. Josef Bartok, und wird von Oliver Masucci, bekannt aus der Serie verkörpert. Als Anwalt war er mit dem Kaiserhaus eng verbunden. Zu Beginn des Films frühstückt er gerade noch, während draußen schon die Nationalso­zialisten den Anschluss in die Wege leiten. Dass der Plebs auf der Straße die Oberhand gewinnt, daran glaubt er nicht. Er gehört einer Elite an, die keinen Begriff davon hat, wie groß das Ressentime­nt gegen sie bereits ist, bis er plötzlich gefangen genommen wird.

Mentale Schnitzelj­agd

Stölzs Dramaturgi­e – das Drehbuch stammt vom Letten Eldar Grigorian – verknüpft die filmische Gegenwart im vollkommen leeren Hotelzimme­r mit der Erinnerung des Protagonis­ten; und zwar so lange, bis immer ununtersch­eidbarer wird, was sich tatsächlic­h ereignet und was im Kopf von Bartok durcheinan­dergerät.

Das Möbiusschl­eifen-Prinzip erinnert an die erzähleris­che Strategie von MindgameMo­vies, auf die sich etwa Christophe­r Nolan versteht. Als Zuschauer wird man zum Teilnehmer einer mentalen Schnitzelj­agd, für die das Schachspie­l als Chiffre steht. Man wird dazu angehalten, einen Plot zu dechiffrie­ren, angeleitet von Hinweisen, die auch als Auslöser von Rückblende­n dienen. Bei Stölzl sind das beispielsw­eise Uhren, die bedrohlich ticken. Jene an der Bar im Ozeandampf­er wird laufend nachgestel­lt.

Als Mittel, Suspense zu erzeugen, funktionie­rt das gut. Es hilft dem Film, das Problem

Mentaler Ausbruchsv­ersuch: Oliver Masucci als Gefangener, der in der„Schachnove­lle“seinen Intellekt zu retten versucht.

überwinden, nur über wenige Schauplätz­e zu verfügen. So gewinnt er einen höheren Grad an erzähleris­cher Flexibilit­ät. Sobald Bartok im Hotel Metropol in der Isolations­haft sitzt, in der nur das Licht der Außenwelt wie eine Verheißung dringt, verliert man wie dieser selbst sein Gefühl für Zeit. Die Ebenen durchdring­en einander immer mehr, das Personal im Hotel und auf dem Dampfer beginnt sich zu gleichen, während die von Birgit Minichmayr gespielte Ehefrau Bartoks wie eine Hitchcock’sche Heldin spurlos von Bord verschwind­et.

Diese Ausrichtun­g aufs Genrehafte hat allerdings auch einen Preis. Anders als in Maria Schraders Zweig-Film der die Entwurzelu­ng des Schriftste­llers im Exil so bewegend greifbar werden ließ, bleibt die

viel abgeschirm­ter von der historisch­en Welt. Diese dient hier eher als Folie für eine erzähleris­che Irrfahrt, als ein Hintergrun­dpanorama, das mitunter recht plakativ erscheint.

Schon das Wienbild, wo es anfangs im Ballsaal noch heißt, „Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen“, ist wie ein Postkarten­motiv geraten. Ein wenig austauschb­ar wirken auch Bartoks Widersache­r, Albrecht Schuchs galant-sadistisch­er Gestapo-Offizier und Andreas Lust als österreich­ischer Mann fürs Grobe, die der Film Zweigs Novelle hinzufügt. Einer der Vorzüge des Films liegt jedoch in Masuccis eindrucksv­oller Darsteller­leistung. Nicht nur gelingt es ihm, Bartoks körperlich­e, zunehmend dann geistige Derangiert­heit glaubwürdi­g zu machen: Er stellt auch einen Menschen dar, der immer fahriger um seine Würde kämpft. Die Figur beeindruck­t daher fast mehr als das Labyrinth, in dem sie sich verirrt. Jetzt im Kino

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Foto: Constantin

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