Avantgarde-Punk: Richard H. Kirk 1956–2021
Sheffield – Die früheste Musik von Cabaret Voltaire bestand aus Störgeräuschen: als würden vorsintflutliche Maschinen ein letztes Mal tief durchatmen. Bereits um 1973 bastelten Richard H. Kirk in der staubgrauen Stahlstadt Sheffield gemeinsam mit Chris Watson und Stephen Mallinder am Soundtrack des Widerstands. Sie schufen Klangtüfteleien mit strengem Do-it-yourselfCharme, industriell in der Anmutung, harsch im Abgang. Ihre proletarische „musique concrète“hatte gewiss nichts mit Pierre Henry zu tun. Eher glichen ihre Magnetspulengeräusche Laboraufnahmen – und blieben doch rätselhafte Hörspiele, in denen Fabriklärm widerhallte, Nachrichten, das Gebell der Vorarbeiter: ein Schichtarbeiterprogramm mit Punk-Appeal, lange bevor es Punk gab.
Kirk und seine Kumpel waren „Wreckers of Civilization“, lange bevor Soundterroristen wie Throbbing Gristle neben ihnen koaktiv wurden. Richard H. Kirk blieb bis zuletzt der Spiritus Rector von Cabaret Voltaire: In Sieben-Meilen-Stiefelschritten erfand er den Dancefloor mit wackeligem Konservenbeat („Do the Mussolini (Head Kick)“), legte anschließend markerschütternde Electro-Alben vor
(The Voice of America, 1980) und mixte Synthiepop mit weißem Funk. Er selbst „verschwand“alsbald unter einer Vielzahl von Synonymen; die Geräusche, die seinem Mischpult entquollen, blieben unwirsch und unnahbar.
Kirk betonte später, ursprünglich von Roxy Music und Glamrock fasziniert gewesen zu sein. Doch wann immer Cabaret Voltaire der große Erfolg einzuholen drohte, nahm dieser freundliche Extremist Reißaus. Er lebte bis zuletzt in Sheffield, wo er noch heuer unter dem Firmennamen Cabaret Voltaire Drones veröffentlichte. Jetzt ist Richard H. Kirk 65-jährig gestorben. (poh)