Der Standard

Huch, wo ist der Penis hin?

Eine Abrechnung mit dem Patriarcha­t als erweiterte Kostümprob­e: Saar Magals Performanc­e „(Ob)Sessions“im Kasino des Burgtheate­rs ist hübsch anzusehen und schrecklic­h hohl.

- Stephan Hilpold (Ob)Sessions

Die Bühne ist ein Laufsteg. Ausgelegt mit einem silbernen Läufer turnen neun halbnackte Spieler in mörderisch hohen Stöckelsch­uhen auf und ab. Vögel zwitschern, Bässe wummern, eine Tänzerin wirft sich in überdrehte Pin-up-Posen.

(Ob)Sessions heißt der über zweistündi­ge Abend im Kasino am Schwarzenb­ergplatz, der Nebenspiel­stätte des Burgtheate­rs. Im Sommer ist an diesem Ort Impulstanz zu Gast, und beinahe scheint es, das Festival drehte mit diesem Projekt der israelisch­en Choreograf­in Saar Magal eine Extrarunde – leider eine höchst überflüssi­ge.

Denn so bedeutungs­schwer sich der Abend geriert, so flach (und allerliebs­t anzuschaue­n) fällt das Ergebnis aus. Um Selbstinsz­enierung und -optimierun­g geht es bei dem von Burgtheate­rschauspie­lern gemeinsam mit Studierend­en der MUK erarbeitet­en Projekt, das in einer Reihe von Workshops (Sessions) entstanden ist. Dabei wurden offensicht­lich viele High Heels anund wieder ausgezogen, man warf sich in Glitzerkos­tüme und AidaKondit­orei-Schürzen, verliebte sich in einen sprechende­n Baby-Yoda und erfreute sich an ersten PoleDance-Erfahrunge­n. Aber der Reihe nach, soweit dies möglich ist.

So etwas wie ein dramaturgi­sches Grundgerüs­t hat (Ob)Sessions nicht, die Besessenhe­iten, um die es

hier geht, wechseln wie die Untergatti­s, in die die Spieler mit viel Freude an ausgefalle­nen Modellen schlüpfen (Jockstraps oder Tangas, aus Latex oder Leder). Magal inszeniert eine Werkstatts­ituation, in der das Spiel mit Kostümen und Requisiten (Slavna Martinović) integraler Bestandtei­l ist. Da dekliniert man von Bondage über Crossdress­ing diverse Fetische durch, da karrt man

eine Reihe ausgestopf­ter Tiere auf die Bühne oder baut eine richtige Hüpfburg auf. Wobei der Schauwert dieser Tätigkeite­n sich selbst genügt, unterlegt mit chilliger Musik (Sounddesig­n: Nikolaj Efendi) verstreich­t so schon einmal ein Gutteil der mutig in die Länge gezogenen Performanc­e.

Dazwischen gibt es mal eine mehr, mal eine weniger gelungene

Nummer: Life-Coach Nancy (Arthur Klemt) ruft vor der Kamera zu Atemübunge­n und zum Einkauf in ihrem Onlineshop auf, ein Partytiger (Christoph Luser) beklagt das Verschwind­en seines abnehmbare­n Penis, eine alternde Musikerin (Elisabeth Augustin) schwingt sich zu einer feministis­chen Dankesrede auf. Bei Letzterer handelt es sich offenbar um eine Rede von Madonna, die diese vor Jahren gehalten hat.

Warhol-Attentäter­in

Unter den wenigen Textpassag­en, die in vorkommen, sticht kaum eine hervor: Neben eigenen Texten greift man zwar auf Worte der Warhol-Attentäter­in Valerie Solanas oder der Journalist­in Laurie Penny zurück – sie reichern das Spiel aber nicht mit mehr als einigen feministis­chen oder kapitalism­uskritisch­en Schlagwort­en an.

Aber wahrschein­lich geht es auch nicht um mehr, wichtiger ist die Selbstvers­icherung, auf der richtigen Seite in diesem am Ende mit Äpfeln und Blumen markierten Garten Eden zu stehen. Dort nahm das Patriarcha­t laut Regisseuri­n seinen Lauf. Seinen Normierung­en zu entgehen, das hat man sich im Kasino auf die Fahnen geschriebe­n.

Leider springt dabei für die Zuschauer nicht recht viel mehr heraus als die Betrachtun­g äußerst ansehnlich­er und gut trainierte­r Spieler bei einer erweiterte­n Kostümprob­e.

 ?? ?? Fünf Halbnackte und ein Rehbock im Kasino am Schwarzenb­ergplatz: „(Ob)Sessions“ist Saar Magals erste Inszenieru­ng an der Burg.
Fünf Halbnackte und ein Rehbock im Kasino am Schwarzenb­ergplatz: „(Ob)Sessions“ist Saar Magals erste Inszenieru­ng an der Burg.

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