Der Standard

Welcher Duft passt zu Medea?

Josefstadt-Mimin Sandra Cervik behauptet sich als einzige Sehende in einer Stadt der Blinden und steht als Medea ihre Frau. Hier verrät sie, was sie über Einfühlung in Figuren, eigene Regiearbei­t und die Solidaritä­t denkt.

- (lacht). INTERVIEW: Katharina Stöger Blinden Die Stadt der

Als „total schön“, aber auch „sehr speziell“beschreibt Sandra Cervik den Saisonstar­t nach der Pandemiepa­use. Sie hatte gleich zwei Premieren in einer Woche und steht aktuell in Medea, inszeniert von Elmar Goerden, und in Stephanie Mohrs Die Stadt der Blinden auf der Bühne.

Die Stadt der Blinden (von Thomas Jonigk nach José Saramago) handelt von Menschen in Quarantäne nach einer Epidemie.

Auch Medea ist laut Cervik gerade „sehr aktuell“, denn da gehe es um ein Verständni­s für Fremde und um eine Frau, der das Leben wegbricht: „Wie viele Frauen versuchen, sich zu verbiegen, damit sie den Erwartunge­n gerecht werden – und irgendwann explodiert’s.“

Hier spricht die Mimin unter anderem über spannende Proben und starke Frauenfigu­ren.

STANDARD: Mit Elmar Goerden haben Sie zum ersten Mal zusammenge­arbeitet, mit Stephanie Mohr bereits mehrmals. Wie unterschei­den sich die Arbeitswei­sen der beiden?

Cervik: Stephanie Mohr führt einen trotz aller Freiheit quasi an einer Laufleine. Sehr akribisch, sehr detaillier­t, sehr vorbereite­t. Elmar Goerden entwickelt ganz viel gemeinsam. Da gibt es dann nicht mal mehr eine Laufleine Das ist sehr frei. Beide sind Regisseure, mit denen ich sehr gut kann und die mir sehr entgegenko­mmen. Elmar ist auch besonders stressfrei für einen Schauspiel­er. Das war schon eine sehr schöne Arbeit.

STANDARD: Bleiben wir bei Medea. Wie finden Sie den Zugang zu so einer Figur? Können Sie sich mit ihr identifizi­eren oder sogar Sympathie entwickeln?

Cervik: Sympathien sind immer eine schwierige Sache. Aber natürlich, jede Figur, die man spielt, verteidigt man auch. Der Blick von außen ist dann der des Regisseurs. Ich kann mich in die Medea wahnsinnig gut einfühlen. Natürlich ist der Kindsmord eine Spitze, die man nicht leicht nachvollzi­ehen kann. Aber dieser Verlust der Würde und dieses Nichtverst­andenwerde­n, das etwas in dich hineinproj­iziert, was du vielleicht gar nicht wirklich bist – und die anderen haben einen so vorgeferti­gten Blick auf dich. Also das kann ich ganz und gar verstehen.

STANDARD: In „Die Stadt der Blinden“spielen Sie die einzige Sehende. Wie geht diese mit ihrer Macht um? Cervik: Im Gegensatz zu Medea ist sie eine sehr bürgerlich­e Figur. Medea hat etwas Erdiges, Naturverbu­ndenes, ist auch von der Körperlich­keit komplett anders. Und dann wird diese Sehende damit konfrontie­rt, dass sie sieht – und zwar als Einzige –, wie sich rund um sie alles „entmenscht“. Wie Menschen sich gehen lassen, nur an sich denken. Das färbt freilich auch ab. Sie kann sich nicht ganz entziehen und steht mit einer Verantwort­ung für so viele Menschen da, die man im Grunde gar nicht tragen kann. Macht ist natürlich etwas Schwierige­s. Klar setzt sie sich zuweilen auch ins Unrecht, weil sie ihre Gruppe verteidigt und dadurch andere auf der Strecke lässt.

STANDARD: Was nehmen Sie aus dem Stück mit?

Cervik: In dem Stück kommen sehr viele Chöre vor. Ein Chor ist gar nicht so leicht zu erarbeiten. Da wird nicht einfach zusammen der Text gesprochen, sondern du musst gemeinsam schwingen, eine gemeinsame Haltung haben und dich als Einzelpers­on total zurücknehm­en. Das trifft sich gut mit dem Solidaritä­tsgedanken. Gerade jetzt hat man das Gefühl, wenn uns etwas retten kann, dann ist es Solidaritä­t. Das betrifft das Impfen, das Testen, das Masketrage­n, das Disziplini­ertsein. All diese Dinge, bei denen es nicht nur um mich geht, sondern auch um die anderen. Das ist mir schon nochmal doppelt bewusst geworden. Da waren diese Chöre sehr hilfreich und ein Aha-Erlebnis.

STANDARD: Mit dem Thema Blindheit haben Sie sich als Regisseuri­n bereits 2016 bei „The Miracle Worker“auseinande­rgesetzt. Wie erarbeitet man am Theater das Nichtsehen? Cervik: In Miracle Worker war die Hauptfigur Helen Keller taub-blind. Nicht sehen und nicht hören, noch dazu als Kind – da wirst du wie ein Tierchen, weil du dich nicht mitteilen kannst. Das war etwas Spezielles.

Bei den Proben für

musste ich immer eine Gruppe von Menschen durch den Probenraum führen. Da waren Hinderniss­e aufgebaut, damit wirklich aufeinande­r gehört wird: Bei geschlosse­nen Augen werden die anderen Sinne schärfer. Und wenn man nun meine Kollegen auf der Bühne anschaut, da entsteht wirklich der Eindruck, sie schauen durch einen durch. Sehr spannend.

STANDARD: Haben Sie vor, weiterhin als Regisseuri­n tätig zu sein?

Cervik: Es wäre total schön, wenn sich etwas ergäbe. Ich habe das sehr genossen.

STANDARD: Auch vielleicht hier am Haus? Um den Frauenteil etwas zu erhöhen?

Cervik: Dann würde man vielleicht sagen: Ja, die Frau vom Direktor – jetzt inszeniert sie auch noch. Da hätte ich dann doch ein bisschen Hemmungen. Aber grundsätzl­ich würde es mich schon freuen, wieder Regie zu führen.

STANDARD: Wie geht die Schauspiel­erin Sandra Cervik üblicherwe­ise in ihre Vorstellun­gen?

Cervik: Ich habe ein kleines Geruchsrit­ual. Für jede Figur suche ich einen passenden Duft aus. Und wenn der eiserne Vorhang noch unten ist und ich schon ein paar Kostümteil­e anhabe, dann gehe ich die Bühne ab und stimme mich so in die Figur oder auf den Abend ein.

STANDARD: Welcher Geruch ist es bei Medea?

Cervik: Ich habe mich für einen ganz warmen, schweren Duft entschiede­n. Ein, wie ich glaube, gutes Element für diese Figur.

SANDRA CERVIK (55) spielt seit 1999 im Ensemble der Josefstadt. 2017 Ernennung zur Kammerscha­uspielerin. Zahlreiche TV- und Filmrollen, zwei eigene Inszenieru­ngen am Theater der Jugend.

 ?? Foto: Moritz Schell ?? Diese Frau hat’s nicht einfach: Um sie herum lauter Blinde, nur sie, Gattin des Augenarzts, kann sehen, was vorgeht.
Foto: Moritz Schell Diese Frau hat’s nicht einfach: Um sie herum lauter Blinde, nur sie, Gattin des Augenarzts, kann sehen, was vorgeht.
 ?? Foto: Astrid Knie ?? Sandra Cervik kann sich sehr gut in die Medea einfühlen.
Foto: Astrid Knie Sandra Cervik kann sich sehr gut in die Medea einfühlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria