Der Standard

Die Gefährder der Energiewen­de sind andere

Ist das öffentlich­e Interesse am Koralmkraf­twerk wirklich so groß? Das Projekt zu hinterfrag­en ist wichtig – und es zeigt einmal mehr: Der Schutz der Biodiversi­tät und Klimaschut­z müssen gemeinsam gedacht werden.

- Ute Pöllinger UTE PÖLLINGER ist Umweltanwä­ltin des Landes Steiermark.

In seinem Gastkommen­tar vom 14. September 2021 zeigt der Anwalt und Rechtsprof­essor Georg Eisenberge­r („Wie ‚Umweltschü­tzer‘ die Energiewen­de gefährden“) bei oberflächl­icher Betrachtun­g auf, woran Projekte zum Ausbau der erneuerbar­en Energie in den Verfahren leiden: lange Verfahrens­dauer, Widerständ­e selbsterna­nnter Umweltschü­tzer und mangelndes Verständni­s für Technologi­e überhaupt. Liest man den Kommentar ein zweites oder gar drittes Mal, so fällt jedoch auf, dass er echte Argumente schuldig bleibt und sich darin gefällt, polemisch jene Menschen vorzuführe­n, die sich in den Verfahren engagieren. Zeit, einige Punkte geradezurü­cken.

Es ist richtig, dass Verfahren für Projekte zur Erzeugung erneuerbar­er Energie manchmal längere Zeit beanspruch­en. Vonseiten der Projektwer­ber und deren Vertreter wird die „Schuld“dafür gern jenen Personen und Organisati­onen angelastet, die im Verfahren gegen das Projekt und für den Umweltschu­tz auftreten. Sieht man sich die Statistike­n an, die vom Umweltbund­esamt geführt werden, so erkennt man schnell, dass die längsten Zeiträume jene zwischen der Antragstel­lung und der öffentlich­en Auflage der Projekte sind – eine Zeitspanne, in der sich das Verfahren ausschließ­lich zwischen der Behörde und dem Antragstel­ler abspielt und keine NGO, keine Umweltanwä­ltin, keine Betroffene­n mitreden können.

Unvollstän­dige Unterlagen

Wenn das Projekt von der Behörde als vollständi­g erachtet wird, hat die Öffentlich­keit lediglich sechs Wochen Zeit, sich damit auseinande­rzusetzen und Stellungna­hmen abzugeben. Die Behörde und deren Sachverstä­ndige entscheide­n dann, ob die geübte Kritik so fundiert ist, dass der Antragstel­ler sein Projekt nachbesser­n muss. Dies wiederholt sich nach der mündlichen Verhandlun­g, zu deren Vorbereitu­ng der Öffentlich­keit ebenfalls nur wenige Wochen zur Verfügung stehen.

In den vielen Verfahren, die ich seit 2005 als Umweltanwä­ltin in der

Steiermark begleiten durfte, habe ich die äußerst positive Erfahrung gemacht, dass die Einwendung­en der Öffentlich­keit immer zur Verbesseru­ng der Projekte geführt haben. Der Grund für Verfahrens­verzögerun­gen und insgesamt lange Verfahrens­dauern liegt aus meiner Erfahrung hingegen primär bei den Antragstel­lern, die durch die Abgabe unvollstän­diger Unterlagen überlange Vorverfahr­en provoziere­n, in denen noch keinerlei Öffentlich­keitsbetei­ligung stattfinde­t.

Eisenberge­r vermischt in weiterer Folge die Technologi­e „Pumpspeich­er“mit jener der Erzeugung erneuerbar­er Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraf­t. Während „echte“Erneuerbar­e der ständigen

Produktion von Energie dienen, haben Speicherkr­aftwerke die Aufgabe, Verbrauchs­schwankung­en und Spitzenlas­ten auszugleic­hen und „überschüss­igen“Strom aufzunehme­n. Die installier­te Leistung von 1000 MW des Pumpspeich­ers Koralm klingt zwar beeindruck­end, es handelt sich hier aber um kein Regelarbei­tsvermögen. Tatsächlic­h kann der Speicher lediglich maximal neun Stunden im Vollbetrie­b gehalten werden und trägt danach nichts mehr zur Stromprodu­ktion bei, sondern benötigt Strom, um das Wasser wieder hochzupump­en.

Es ist daher eine unzulässig­e Vereinfach­ung, ein Pumpspeich­erwerk in eine Reihe mit Wasserkraf­t, Windkraft und Photovolta­ik zu stellen, zumal es sich dabei um grundsätzl­ich andere Technologi­en handelt, denen völlig andere Funktionen im Energiesys­tem zukommen.

Das öffentlich­e Interesse am Pumpspeich­erkraftwer­k Koralm wird im Gastkommen­tar als gottgegebe­n dargestell­t, das Hinterfrag­en als Spinnerei technologi­efeindlich­er „Micro-Manager des Umweltschu­tzes“ohne Weitblick abgetan. In diesem Zusammenha­ng muss darauf hingewiese­n werden, dass in Österreich laut E-Control derzeit die Leistung der in Betrieb beziehungs­weise in Bau befindlich­en Pumpspeich­er bezogen auf die installier­te Windkraft- und Photovolta­ik-Leistung bei knapp unter 100 Prozent liegt.

Angesichts des geplanten Ausbaus dieser volatilen Energien werden aus volkswirts­chaftliche­r Sicht zweifelsfr­ei Speicherka­pazitäten benötigt. Es ist aber keinesfall­s klar, dass dafür die Errichtung eines Speichers am geplanten Standort mit der geplanten Technologi­e unumgängli­ch ist. Technologi­ealternati­ven und Standortal­ternativen wurden nicht aus volkswirts­chaftliche­r Sicht geprüft, sondern nur aus der Sicht der Projektwer­ber, die auf Eigengrund ein Pumpspeich­erkraftwer­k errichten wollen. Es ist wenig überrasche­nd, dass das Ergebnis dieser Prüfung die Alternativ­losigkeit des eingereich­ten Projektes ist.

Schließlic­h bemüht Eisenberge­r das sattsam bekannte Argument, dass immer eine geschützte Art auftaucht, wenn man lange genug danach sucht. Ein Projekt wie das vorliegend­e, das viele Dutzend Hektar unverbrauc­hter Natur in der sensiblen Alpinregio­n für die Herstellun­g von zwei Speicherse­en, die Lagerung des Humusabtra­ges, den Betrieb einer Bodenaushu­bdeponie und die Errichtung der erforderli­chen Infrastruk­tur für die Bau- und Betriebsph­ase beanspruch­t, führt zwangsläuf­ig dazu, dass in diesem großen Gebiet empfindlic­he Arten angetroffe­n werden. Diese Arten dürfen nun laut Bescheid getötet werden und ihre Lebens- und Fortpflanz­ungsstätte­n dürfen zerstört werden, weil das öffentlich­e Interesse an dem Projekt so groß ist. Wir maßen uns an, entscheide­n zu dürfen, dass Alpensalam­ander, Grasfrosch, Libellen und andere Tierarten getötet werden dürfen, dutzende Vorkommen geschützte­r Pflanzen zerstört werden dürfen, ohne auch nur ansatzweis­e zu verstehen, was deren Verlust für das Ökosystem auf der Koralm bedeutet.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass eine intakte Natur unser größter Verbündete­r gegen die Klimakrise ist. Daher müssen Naturschut­z und Klimaschut­z auf allen Ebenen gemeinsam gedacht und umgesetzt werden. Wer hingegen diese zentralen Anliegen gegeneinan­der ausspielt, hat nicht verstanden, worum es geht.

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Foto: Getty Images Die Sichtung schützensw­erter Tierarten kann Bauprojekt­e verzögern oder gar verhindern. Zu Recht?

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