Der Standard

Verantwort­lich geäußert, exakt veraktet

-

Das müsste man erst erklären: Warum nur sollte ein solches Übermaß an Unschuld unter einem solchen Übermaß an Geheimnist­uerei versteckt werden? Der Bundeskanz­ler hat das Land fast drei Wochen lang hinters Licht geführt, das er am Ende des Tunnels einer möglichen Falschauss­age leuchten sieht. Aufrichtig­keit im Umgang mit Publikum und Medien sieht anders aus, vor allem bei jemandem, der sonst gar nicht oft genug und aus bescheiden­en Anlässen Presse und Fernsehen mit Beteuerung­en seiner Unschuld und sonstigen Emanatione­n seines Geistes speisen kann. Und da verschweig­t er ausgerechn­et, wie er in einer „verantwort­lichen Äußerung“vor einem Richter seine porentief reine Unschuld bewiesen haben will, während eine sehnsüchti­ge Öffentlich­keit seit Monaten danach lechzt, wann es damit endlich so weit sei. Message-Control kann so grausam sein.

Lange wurde seine Einvernahm­e wegen des Verdachts auf Falschauss­age im Zusammenha­ng mit der Bestellung von Thomas Schmid zum Öbag-Chef aufgeschob­en, wobei die Überlastun­g durch die Corona-Krise als Grund angegeben wurde. Um eine Ansteckung bei der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft zu vermeiden, gewährte man dem Bundeskanz­ler die Einvernahm­e bei einem Richter – ungewöhnli­ch, aber zulässig. Warum diese Extrawurst, wo er doch von seiner Unschuld überzeugt ist, lässt sich nicht juristisch, nur mit Kanzlerdün­kel erklären. Und dann plötzlich wird dieser lange verzögerte Termin von öffentlich­em Interesse zu einem vorgezogen­en Privatissi­mum, ohne Rücksicht darauf, dass die Corona-Krise einem neuen Höhepunkt zustrebt, nun offenbar ohne in den Genuss der Management­qualitäten des Kanzlers zu kommen.

Das ORF-Sommergesp­räch mit ihm wäre echt interessan­t geworden, hätte er dort vom Erlebnis der richterlic­hen Einvernahm­e samt Unschuldsd­arstellung berichten dürfen. Das Schicksal hat ihm diesen Knüller verwehrt. „Mit der Justiz war so lange Stillschwe­igen vereinbart worden, bis die Befragung veraktet ist“, erfuhr

Die Presse aus dem Bundeskanz­leramt. Einerseits werden an der Bürokratie die schönsten Träume zunichte, anderersei­ts ist ihre Präzision zu bewundern. Die Veraktung dauerte exakt so lange, bis der Bundeskanz­ler bei der Generalver­sammlung der Uno in New York unter den Großen der Welt genügend Abstand von den Zumutungen der heimischen Justiz gewinnen und hoffen konnte, der Staatsmann würde den Geheimnisk­rämer in eigener Sache vergessen lassen.

Bei allem Verständni­s für die Notwendigk­eit der korrekten Veraktung eines Vorganges, wie ihn schließlic­h schon lange kein Bundeskanz­ler mitgestalt­en durfte – wenigstens die nackte Tatsache der Einvernahm­e hätte man der Öffentlich­keit nicht vorenthalt­en müssen. Was die Frage aufwirft, wer noch von der Wahrheit verschont wurde. Wusste der Bundespräs­ident davon, oder hat er es auch erst bei der Uno erfahren? Wusste man in den Parteien davon, denen man ein gewisses Interesse schon wegen der Arbeit im Untersuchu­ngsausschu­ss nicht absprechen kann? Wusste der grüne Koalitions­partner davon, oder hat man Kogler einfach dumm leben lassen? Aber seit damit zu rechnen ist, dass Kurz auch im Falle einer Anklage im Amt bleiben will, sind Terminfrag­en nicht mehr so wichtig.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria