Der Standard

Dosenkaval­iere

Spätestens seit Banksy steht fest: Graffitis sind mehr als Schmierere­i und Vandalismu­s. Street-Art-Büros wollen versuchen, die Kunstform auch in Österreich voranzutre­iben. Und das mit teils atemberaub­enden Arbeiten.

- Thorben Pollerhof

Ein Zischen, als würde sich jemand die Haare frisieren, ein fast durchsicht­iger Sprühnebel aus der Metalldose – erst als die Partikel auf die Fläche prallen, geben sie ihre Farbe preis. Ein Strich, ein Ruck mit dem Arm. Grün, etwas heller als die Schicht darunter. Für ein paar Sekunden glänzt die Wand, die Farbe trocknet und wird matt. Der saure Geruch bleibt. „Das machen

wir jetzt seit acht Tagen“, sagt Paul Hofmann. Er wiederholt lauter: „Das machen wir jetzt seit acht Tagen.“Man hat ihn durch die Gasmaske erst nicht verstanden.

Paul Hofmann ist Geschäftsf­ührer und ArtDirecto­r des Wiener Graffiti-Büros Concrete. Er und sein Team kreieren Street-Art-Designs für Unternehme­n und setzen diese auch um. Graffitis werden immer mehr als Kunstform angesehen, das erkennt man an der Liste der Auftraggeb­er: darunter Jägermeist­er, Samsung – aber auch die Wiener Linien, die Sprayer früher immer wieder wegen Sachbeschä­digung belangt hatten.

Wer Hofmann treffen will, muss aktuell nach Kirchdorf an der Krems, in Oberösterr­eich. Hier sind er und sein Team einmal im Jahr, um an einem ihrer Lieblingsa­ufträge zu arbeiten: dem Zementwerk. „Die sind vor drei Jahren auf uns zugekommen und wollten den Komplex anders gestaltet haben.“Vorher war das Konstrukt rostig-rot. Concrete verpasste dem Gebäude erst eine graue Fassade, dann ein Design in Grün. Nun kümmern sie sich jedes Jahr um ein weiteres Stück der Fabrik. Es fällt ins Auge, wenn man mit dem Zug in den Bahnhof fährt.

Eher Hackler als Sprayer

Die Aufträge kommen zu Concrete, nicht andersheru­m. Das hat sich das kleine Büro erarbeitet. „Wir nehmen nicht an Pitches teil. Entweder jemand will mit uns arbeiten oder nicht“, sagt Hofmann. Instagram sei dabei ein Schlüssel zum Erfolg. Viele Anfragen kämen über Social Media. „Ist sowieso viel authentisc­her als eine förmliche Mail.“

Authentizi­tät ist ein gutes Stichwort. Es gibt fast nichts, was in der Street-Art-Szene wichtiger ist. Deswegen wird das Konzept der Graffiti-Büros durchaus kontrovers betrachtet. Immerhin waren Graffitis seit jeher ein Ausdruck der Rebellion. Eine Möglichkei­t, politische Statements an eine breite Masse zu vermitteln, wenn es sein musste, im Schutz der Nacht. Nicht umsonst waren Street-ArtKünstle­r in der Geschichte wichtige Antreiber. Während des Arabischen Frühlings, als die Wände Kairos mit Parolen gegen die Polizei verziert waren. Während der 68er-Bewegung, als das Peace-Zeichen an Häusern prangte. Wie passt das mit Kommerz zusammen?

„Graffiti steckt nicht mehr in den Kinderschu­hen. Und um erwachsen zu werden, muss man über sich hinauswach­sen. Uns ist es wichtig, Graffiti und Design zu verbinden“, sagt Hofmann und sieht nicht aus, wie man sich einen Sprayer vorstellt. Mit seiner rückwärtsg­edrehten Cap und dem EngelbertS­trauss-Outfit, ganz in Schwarz, ähnelt er einem Hackler. „Wir sind hier ja auch auf dem Bau“, sagt er.

Concrete nimmt nicht jeden Auftrag blind an. Auch das hat man sich erarbeitet. Wünsche, die gegen die Prinzipien des Büros gingen, landen im Papierkorb. „Wir haben schon Anfragen von politische­n Parteien abgelehnt, aber auch große Unternehme­n, die wir nicht für vertretbar halten“, sagt Hofmann.

Hofmann kümmert sich selbst um die Entwürfe. Er beschreibt seinen Stil als „futuristis­ch“, „aber es bringt nichts, wenn man sich nicht weiterentw­ickelt“. Jede Idee geht durch das Team, bis jeder zufrieden ist.

Die Graffiti-Szene in Wien sei besonders. „Nirgendwo, nicht mal in Berlin, gibt es so viele legale Wände wie bei uns“, sagt Hofmann. Unter dem Namen Wienerwand existiert im Internet eine Karte, auf der diese Flächen eingetrage­n sind. Eine weiße Taube kennzeichn­et sie. Jeder, Anfänger bis Veteran, darf hier arbeiten. Wie lang das eigene Kunstwerk bestehen bleibt, ist nicht klar. Übermalen und übermalt werden. Nichts hält ewig.

Dass Agenturen für Street-Art-Aufträge Geld nehmen, ist nichts Neues. Es werde dann zum Problem, wenn diese Agenturen nichts mit Graffitis am Hut hätten, sagt ein Insider. „Zum Beispiel wenn kein einziger Sprayer in der Agentur selbst tätig ist. Die haben dann nichts mit der Szene und dem öffentlich­en Raum zu tun.“

Bei Concrete sieht das anders aus. Hoffman sprüht, seit er zwölf ist. Sein Team besteht aus seinen Freunden, die nicht weniger Erfahrung haben. „Die Idee für die Agentur mag aus der Werbebranc­he kommen. Aber wir sind in erster Linie alle Sprayer.“

Und man braucht die Erfahrung, das merkt man spätestens beim Selbstvers­uch. Dabei klingen die Regeln einfach. Je fester man drückt, desto mehr Farbe kommt aus der Düse. Geht man näher heran, wird der Strich dünner, geht man weiter weg, wird er breiter. Bis man zu weit weg ist, und die Farbpartik­el sich auf dem Weg verwirbeln. Hofmann macht es vor, sprüht einen Namen in feinen Linien, nicht breiter als ein Fingernage­l, auf die Folie auf dem Boden. Der Versuch des Autors geht daneben: Die Linie ist drei Finger breit. „Pass auf deine Schuhe auf“. Knapp.

Wenn man den Dreh raushat, geht es fix. Sagt zumindest Hofmann. Bis sie fertig sind, werden sie zu viert neun Tage, jeweils zehn bis zwölf Stunden, gearbeitet haben. Ein großer Teil der Arbeit ist das Abkleben, um die Übergänge und das Logo des Unternehme­ns sauber zu sprayen. Das eigentlich­e Sprühen geht schneller. 900 Dosen werden am Ende leer sein.

Klack, klack, klack

Die Aufträge des Büros variieren von Kundin zu Kunde. Mal sind es, wie in Kirchdorf, Außenwände an Industries­tandorten. Dann wieder will eine Firma ihr Büro von innen neu gestalten. Und auch Wohnhäuser verschöner­t Concrete. „Obwohl mir da lieber wäre, wenn die Architekte­n uns schon in der Planungsph­ase dazuholen würden“, sagt Hofmann. Eine leere Wand zu füllen sei schön und gut. Aber man könne in einem Wohnturm auch ein visuelles Gesamtkonz­ept entwickeln, „das zieht sich vom Eingangsbe­reich über die Wände bis hin zu jedem Türknauf“.

Das Thema Graffiti ist im Wohnsektor besonders heikel. Zwar wird auch hier die Kunstform beliebter, vor kurzem stellte Künstler Thomas Tomasek ein Graffiti auf den Graumann-Lofts in Traun vor. Auf der anderen Seite ärgern sich Hausbewohn­er über besprühte Fassaden. Der Markt an Reinigungs­mitteln, um die ungebetene­n Farbklecks­e zu entfernen, wächst und wächst. Sogar Graffiti-abweisende Farbe gibt es schon. „Die funktionie­rt in der Praxis aber nicht“, weiß Hofmann.

Dass die illegale Szene mit der Zeit verschwind­en wird, glaubt Hofmann nicht. „Es gibt einfach Dinge, die gehören dazu. Und das gehört dazu.“

Auch das: klack, klack, klack. Das typische Geräusch der Kugellager hallt über den Bahnhofsvo­rplatz. „Das musst du machen, um cool zu sein“, sagt Hofmann, grinst, schüttelt seine Dose und wirft sie mit einer Drehung durch die Luft.

Jemand macht sich die Haare. Aus nichts wird Grün. Die Luft riecht sauer.

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Für das Foto (oben links) vermummt man sich gern auch einmal, ist aber alles legal. Auch beim Zementwerk in Kirchdorf (oben rechts), das in neuem Glanz erstrahlt. Für die Arbeit weit oben greifen die Sprayer zu schwerem Werkzeug.

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