Der Standard

Täter-Opfer-Umkehr bei Corona-Leugnern

- hans.rauscher@derStandar­d.at

Der Mann, der im deutschen Idar-Oberstein an einer Tankstelle einen Werkstuden­ten erschossen hat, weil er ihn auf die Maskenpfli­cht aufmerksam gemacht hatte, war tief drinnen in der rechtsextr­emen Gedankenwe­lt. Gleichzeit­ig lebte er in einer Wahnwelt der Täter-Opfer-Umkehr, in der er sich berechtigt fühlte, sich gegen dunkle Mächte, eine „Corona-Diktatur“gewaltsam zu wehren. Er habe sich „in die Ecke gedrängt“gefühlt und habe mit der Tötung des Studenten „ein Zeichen setzen wollen“, sagte er der Polizei.

Diese Täter-Opfer-Umkehr haben schon die Nazis betrieben. Sie stilisiert­en sich als Opfer zugleich der Demokratie, die sie nur als „System“und „Systempart­eien“bezeichnet­en, und der Juden, ja des „Weltjudent­ums“überhaupt. Das war natürlich einerseits eine monströse Lüge, anderersei­ts ein Hirngespin­st, von dem viele der führenden Nazis bis hinauf zu Hitler völlig überzeugt waren. Aus diesem Opfermytho­s heraus bezogen sie die „Legitimati­on“, gegen die eingebilde­ten „Feinde“als Täter aufzutrete­n, auf die furchtbars­te Weise der Weltgeschi­chte.

Die Nazis waren in ihrer Konsequenz, mit der sie diese Täter-Opfer-Umkehr durchführt­en, einmalig. Aber die Täter-Opfer-Umkehr hat viele, viele andere Vorläufer und Nachfahren gefunden. Im Ansatz, wenn auch in unendlich kleinerer Dimension, ist das jetzt bei den ganzenWe lt verschwöru­ngs gläubigen, beiden„ Quer denkern“und QAnon- Leuten, beidenTr um pisten ,„ Reichs bürgern“und AntiImp f-Fr ei heitsschwu­rblern festzustel­len.

Sie fühlen sich als Opfer eines nicht legitimier­ten Staates, eines „Systems“(der liberalen Demokratie), dunkler Mächte von Bill Gates bis zu George Soros. Manche leiten daraus das Recht ab, Täter zu werden. Aus „Notwehr“. Gegen eine Bedrohung, die sie sich herbei fantasie ren. Die Publizisti­n Ingrid Brodnig hat einge scheites Buchge schrieben, wie manmi tV erschwörun­gs mythen und Fake- News im eigenen, unmittelba­ren Bereich und online umgeht (Einspruch!, Brandstätt­er-Verlag). Das Problem besteht darin, dass ein guter Teil der Corona-Leugner nicht mehr erreichbar ist. Diese Leute, denen man auf den diversen Demonstrat­ionen begegnen kann, haben für sich beschlosse­n, dass sie sich im „Widerstand“gegen eine „Diktatur“befinden, die ihnen so furchtbare Dinge antut, wie sie halbherzig zum Maskentrag­en zu verpflicht­en, oder ihnen begütigend zuredet, sich doch bitte, bitte impfen zu lassen. Sie wollen dieses „System“nicht, sie wollen eigentlich diesen Staat nicht.

Herbert Kickl und Teile der FPÖ gehören dazu. Die FPÖ war anfangs ein Sammelbeck­en von Nazis, unternahm zwischendu­rch halbherzig­e Versuche, sich mit dem Staat Österreich abzufinden, aber der Wunsch nach etwas anderem schlug immer wieder durch. Jörg Haider träumte von einer „Dritten Republik“, die er sich als plebiszitä­r unterlegte Führerdemo­kratie vorstellte. Kickl verbrüdert­e sich 2016 auf einer Konferenz in Linz mit einer Großversam­mlung europäisch­er Rechtsextr­emer und Demokratie­feinde. Türkis machte ihn nachher zum Innenminis­ter.

Corona ist der FPÖ, der AfD in Deutschlan­d, der Lega in Italien zupassgeko­mmen, weil es ihnen die Möglichkei­t zur Mobilisier­ung von Leuten gibt, die sich als Opfer fühlen.

Aber die haben auch genug Potenzial zur Selbstradi­kalisierun­g. Sie wollen das ganze „System“nicht, suchen teils ihre Vorbilder in Putin oder anderen Autokraten, Corona ist schon fast zweitrangi­g. In Deutschlan­d heißt es bereits: ein Fall für den Verfassung­sschutz.

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