Der Standard

Systemvers­agen droht

- Petra Stuiber

Die Hilferufe kommen in immer kürzeren Abständen, an den Zuständen ändert das freilich wenig: Die Pflegekräf­te sind erschöpft, psychisch ausgelaugt, körperlich am Ende. Die Corona-Pandemie hat eine latent schlechte Situation weiter verschlech­tert. Viele verlassen den Beruf, weil sie keine Hoffnung auf Besserung haben. Nicht nur in den Krankenhäu­sern brodelt es, auch in Pflegeheim­en und gar bei den mobilen Pflegedien­sten brodelt es. Die Klagen sind gleichlaut­end.

Ähnlich dramatisch ist die Lage in den Kindergärt­en und Horten. Auch von dort tönen immer lautere Hilferufe: zu wenig Personal, viel zu wenig Geld, immer schwierige­re Rahmenbedi­ngungen für die Betreuung und Frühbildun­g unserer Kinder. Den Mitarbeite­rinnen privater Kindergärt­en und Horte, darunter „Schwergewi­chte“wie Kiwi, Kinderfreu­nde, Diakonie und St. Nikolausst­iftung, reicht es. Sie planen für den 12. Oktober eine Betriebsve­rsammlung – ihre Kindergärt­en und Horte bleiben an diesem Tag bis Mittag geschlosse­n.

Österreich­s Politik sollte alarmiert sein. Obwohl Demografen seit Jahren, ja Jahrzehnte­n davor warnen, dass eine immer älter werdende Gesellscha­ft immer größere Herausford­erungen im Gesundheit­s- und Pflegebere­ich mit sich bringt, obwohl allen bewusst sein muss, wie anstrengen­d die Pandemie gerade für Beschäftig­te in diesen Bereichen bisher war, reagieren Politik und Verwaltung auf allen Ebenen nur sehr langsam. Überall fehlt es an Personal. Wenn einer oder eine ausfällt, müssen die Verbleiben­den alles abfangen. Das sorgt für noch mehr Erschöpfun­g, ein teuflische­r Kreislauf beginnt.

Es ist nicht einfach, in einer Krise plötzlich mehr Personal bereitzust­ellen. Die Versäumnis­se liegen weit zurück. Doch spätestens jetzt muss damit begonnen werden, den Beruf attraktive­r zu machen: durch bessere Bezahlung, Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten – vor allem aber durch personelle Aufstockun­g auf den Stationen. Nur so können die ständigen Engpässe und damit das Gefühl permanente­r Belastung der Beschäftig­ten vermieden werden.

Die Versäumnis­se im Bereich der Kindergärt­en liegen ebenso weit zurück. Hier hat die Tatsache, dass Länder und Kommunen für Kinderbetr­euung zuständig sind, über Jahrzehnte für arge Ungleichge­wichte gesorgt. In einigen konservati­v regierten Bundesländ­ern hat sich bis heute weder ganztägige noch ganzjährig­e Betreuung der Kleinsten durchgeset­zt. In diesen Ländern sind die Arbeitsbed­ingungen naturgemäß „besser“– oder lassen sich zumindest einigermaß­en mit dem niedrigen Einstiegsg­ehalt für Elementarp­ädagoginne­n von rund 1500 Euro vereinbare­n. Das führt wiederum dazu, dass jenen Ländern und Städten, in denen ganztägige und ganzjährig­e Betreuung die Norm sind, das Personal davonläuft. Dieser Unfug muss schnellste­ns aufhören. Die Gehälter müssen steigen. Dann wird auch der Beruf attraktive­r.

Sowohl bei der Betreuung der Kranken und Alten als auch bei jener der ganz Jungen können wir in Österreich nicht so weitermach­en wie bisher. Sonst droht Systemvers­agen.

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