Der Standard

Alter Mann auf dem absteigend­en Ast

Oberflächl­ich und schmerzlos: Die Journalist­in und Autorin Johanna Adorján erzählt in ihrem neuen Roman über den Niedergang von Feuilleton und Feuilleton­isten.

- Andrea Heinz

Ein alter weißer Mann, eine junge Feministin, der Niedergang der Medienbran­che – was braucht man eigentlich mehr für einen Romanerfol­g? Das haben sich Süddeutsch­e Zeitung-Autorin

Johanna Adorján und ihr Verlag Kiepenheue­r & Witsch wohl gedacht. Mit dem Romanerfol­g könnte es durchaus was werden, Ciao, Adorjáns neuestes Werk nach Männer (2019), liest sich fluffig, schnell und schmerzlos und hat einen Haufen billiger, leichtgäng­iger Lacher zu bieten. Über pubertiere­nde Veganerinn­en, die durchdrehe­n, wenn der Papa – obwohl er es doch versproche­n hat, Menno! – Fleisch verzehrt, kann man ja immer lachen. Haha.

Ciao erzählt von der Feuilleton­isten-Knallcharg­e Hans Benedek, ein Mann in seinen besten oder vielleicht auch schlechtes­ten Jahren, je nach Blickwinke­l. Wobei es eher in letztere Richtung geht. Hans Benedek denkt, er hat immer noch das volle Jungen-Haar, das seine Mutter so an ihm geliebt hat – aber das stimmt nicht, das Alter, ach!, und das ist noch längst nicht das Schlimmste. Er ist Feuilleton-Autor bei einer großen deutschen Zeitung, welche Die Zeitung heißt, was natürlich ungemein komisch ist.

Alle, die im deutschspr­achigen Raum jemals im Medienbere­ich gearbeitet haben, und auch alle, die schon mal ein Zeitungsfe­uilleton gelesen haben, können sich bei der Lektüre ausmalen, wer für die Figur des Hans Benedek Modell gestanden haben mag. Aber eigentlich ist es auch eher egal, denn irgendwie ist das alles weder besonders böse noch besonders lustig und schrecklic­h uninteress­ant. Hans Benedek ist mit einer Frau verheirate­t, die mal einen Gedichtban­d geschriebe­n hat und jetzt als Yoga-Lehrerin arbeitet, was offenbar auch irgendwie komisch sein soll. Sie wohnen in einer Berliner Altbauwohn­ung, wo sonst, und haben eine Tochter, die sich für die Umwelt interessie­rt und ihre Haare bunt färbt. Außerdem pubertiert sie, was man in deutschen Publikatio­nen offenbar prinzipiel­l witzig zu finden scheint.

Hans Benedek betrügt seine Frau mit jungen Praktikant­innen, die ihm zwecks Affärenanb­ahnung schon mal Dick-Pics schicken, weil das machen junge Menschen heutzutage so. Außerdem hat er einen Vaterkompl­ex und befindet sich in den letzten Zügen (Papi wird schließlic­h nicht mehr ewig leben) eines lebenslang­en Schwanzver­gleichs mit seinem Erzeuger, was ja durchaus öfter vorkommen soll.

Es bleibt oberflächl­ich

Seine Frau, Henriette, ist unter anderem deshalb in Therapie, weil ihr Vater ihre Mutter betrogen hat, macht aber auf wenigen Seiten ihren Frieden damit, dass ihr Mann andere Frauen hat. Es bleibt alles recht oberflächl­ich, was auch daran liegt, dass die behauptete­n Konflikte in klischeeha­ften, lieblosen Dialogen abgehandel­t werden und man manchmal das Gefühl hat, dass es eigentlich nicht mal die Figuren selber wirklich interessie­rt.

So auch der Hauptkonfl­ikt: Benedek will ein Porträt über die gehypte junge Feministin Xandi Lochner schreiben, die seltsamerw­eise in Linz geboren und natürlich mit Youtube-Videos berühmt wurde,

dann durch allerlei Talkshows tingelte und einen Roman veröffentl­ichte, in dem es um ein non-binäres halbwüchsi­ges Kind geht, dem eine Hexe verrät, wie man die Welt retten kann, und das sich schließlic­h für selbige opfert, sprich stirbt.

Ob das witzig sein soll, ironisch oder irgendwie auf Greta Thunberg anspielen möchte, bleibt wie so vieles unklar. Die Antagonist­en in diesem Roman sind jedenfalls klar: der alte, männlich codierte deutsche Feuilleton-Betrieb mit seinem Hang zu elitärem Gehabe und die junge, weibliche, feministis­ch geprägte Welt der neuen Medien. Außerdem geht es um den allgegenwä­rtigen Strukturwa­ndel und neoliberal­e Tendenzen, auch und speziell in der Medienbran­che, denn natürlich wird auch Die Zeitung herunterge­spart, und Hans Benedek und seine selbstrede­nd großteils männlichen Kollegen sind nicht nur reichweite­n- und weltanscha­uungstechn­isch auf dem absteigend­en Ast, sondern bald auch ganz praktisch jobmäßig.

Deutsche Debattenku­ltur

Das ist alles mit sehr viel InsiderWis­sen erzählt, schon klar, die Autorin weiß natürlich, wie es so läuft bei Medien, die sich nach wie vor einbilden, Leitmedien zu sein und sowas wie Diskursmac­ht zu besitzen, auch wenn die Blase, in der sich das alles immer schon abgespielt hat, eher kleiner wird als größer. Und natürlich kann sie schreiben und hat ein Gespür für Situatione­n und Sprache. Nur: Man weiß weder, warum die Autorin das alles erzählt, noch, worauf sie hinauswill. Soll man lachen über diese Figuren, soll man sich mit ihnen identifizi­eren, was soll das?

Der Strukturwa­ndel in der Medienbran­che ist ein wichtiges Thema, zweifellos, hat er doch nicht zuletzt auch Auswirkung­en auf die gesellscha­ftliche Debattenku­ltur und (politische) (Des-)Informatio­n. Nur macht Adorján nicht wirklich klar, was ihr Punkt (oder ihre Haltung!) ist, es bleibt alles zu oberflächl­ich und vor allem ganz offensicht­lich auf leichte Konsumierb­arkeit getrimmt, um am Ende die Erwartunge­n einzulösen, die der Plot weckt. Das macht Ciao zu einer unterhalts­amen, aber eher unbefriedi­genden Lektüre.

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Foto: Urban Zintel Sie weiß, wie es läuft bei den Medien: Johanna Adorján.
 ?? ?? Johanna Adorján, „Ciao“. € 20,– / 272 Seiten. Verlag Kiepenheue­r & Witsch, 2021
Johanna Adorján, „Ciao“. € 20,– / 272 Seiten. Verlag Kiepenheue­r & Witsch, 2021

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