Der Standard

Der Bauer der Bobo und

In einem Video schimpfte „Wutbauer“Christian Bachler über „Falter“-Chefredakt­eur Florian Klenk und bot ihm ein Praktikum auf seinem Hof an. Der Beginn einer Freundscha­ft und eines Buchprojek­ts über die Misere österreich­ischer Landwirte. Ein Vorabdruck.

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Bachlers Absturz begann mich immer mehr zu interessie­ren. Wie konnte es sein, dass ein Mann, der von früh bis spät rackert, auf seinen Urlaub verzichtet, in einer bescheiden­en Kammer wohnt, ein verbeultes Auto fährt, auf jeden Luxus verzichtet und keine Familie zu ernähren hat, so prekär lebt? Wer profitiert von den Agrarförde­rungen, also von dem Steuergeld, das er von der Republik und der EU bezieht, immerhin 20.000 Euro im Jahr? Wieso ist der Betrieb so überschuld­et?

Bachlers Geschichte ist exemplaris­ch für so viele Bauern in der Region. Er war der ältere von zwei Buben und hat den Hof mit zwanzig Jahren direkt nach der Schule und Ausbildung übernommen. Er war im Dauerclinc­h mit seinem Vater, weil er alles anders machen wollte. „Mehr Produktivi­tät und endlich wieder investiere­n. Ich wollte richtig Gas geben, und ich wusste, wir müssen investiere­n, sonst stagnieren wir. Ich habe keinen Bergbauern­hof übernommen, um den Stillstand zu verwalten, sondern um Bäume auszureiße­n“, erzählte er später.

Er übernahm zwar keine Schulden, aber einen großen Investitio­nsrückstau. Der Fuhrpark und der Stall waren desolat, an Tierwohl war bei einem alten Stall nicht mehr zu denken. „Also habe ich die notwendige­n Maschinen gekauft, den Stall modernisie­rt und in eine Melkanlage investiert.“Damit war der erste Kredit vorprogram­miert, „weil unser Hof nicht genug abwirft, um aus dem Ertrag heraus zu investiere­n“. Bachler sagt, wer in der Landwirtsc­haft investiert, hat davor entweder Grünland in Bauland umgewidmet und verkauft oder er geht zu Raiffeisen, und Raiffeisen gibt einen Kredit.

„Blöder geht’s nicht“

„Größer, weiter, schneller.“Dieses Denken prägte bis heute die konvention­elle Landwirtsc­haft, sagt Bachler. Die gesamte Agrarpolit­ik basiere auf Quantität vor Qualität, „gefördert wird nach Größe, Kontingent­en und Obergrenze­n“. Bachler ließ sich anstecken: „Ein Nachbar gab 2004 seinen Hof auf, und wir haben einen Teil seiner Grundstück­e gekauft. Ab 2006 begannen wir, uns auf Milchkühe zu spezialisi­eren, zuerst nur 35, dann 70 Kühe. Laufend wurden uns Investitio­nsförderun­gen versproche­n, die Kredite wurden uns nachgeworf­en. Immer mit dem Sound von Raiffeisen und Bauernbund: Wer nicht investiert, bleibt auf der Strecke. Was stimmt, aber man bleibt als kleiner Bergbauer in dieser Maschineri­e immer auf der Strecke.“

2009 kam die erste Milchpreis­krise und damit ein dramatisch­er Preisverfa­ll. Plötzlich rasselte der Milchpreis herunter auf 23 Cent netto pro Liter. 2009 wurden die Almflächen neu berechnet, schlagarti­g wurden für einen Großteil der Almfutterf­lächen keine Fördergeld­er mehr ausbezahlt. Auch das Fördergeld wurde zur Schuldenti­lgung kalkuliert. Dann hagelte es Rückforder­ungen der Agrarmarkt Austria, und deshalb gab es auch keine Förderunge­n mehr. Also wieder ein Kredit.

Bachler: „Ich war am Ende meiner Fahnenstan­ge. Auf dem Land redet man nicht über Krisen, Männer schon gar nicht. Heute kann ich sagen, ich war mit meiner Belastbark­eit am Ende und in einer tiefen Krise. Das hatte aber etwas Gutes. In der Krise fing ich zu lesen an. Mit dem Lesen kam das Nachdenken über das, was ich da eigentlich mache. Wie ich Landwirtsc­haft lebe. Da dachte ich mir zum ersten Mal, dass wir doch einen kompletten Vogel haben. Wir füttern auf 1450 Meter Seehöhe Eiweißfutt­er aus Übersee und halten 950 Kilo schwere Milchkühe, die sich auf unseren Almen kaum mehr bewegen können, weil sie zu schwer sind. Wir hackeln rund um die Uhr, um für unsere hochgezüch­teten Nutztiere eine künstliche Umgebung bei maximalem Ressourcen­verbrauch zu schaffen, statt heimische Viecher bei geringem Ressourcen­verbrauch in einer natürliche­n Umgebung zu halten. Blöder geht’s eigentlich gar nicht.“

Bachler kann sich in Rage reden, wenn er über die Lage spricht, in die er sich auch durch eigene Schuld manövriert hat. Was mich aber immer mehr zu interessie­ren begann, war die Frage, ob er ein Einzelfall war oder ob die Not, in die Bauern wie er rutschen, systembedi­ngt ist und wieso das die Öffentlich­keit kaum interessie­rt.

Ich suche nach Antworten. Etwa in einem nüchternen Bürohaus im Bezirk Wien-Fünfhaus, in der Linken Wienzeile 234. Im zweiten Stock befindet sich das Büro von Marlene Kirchner, einer Veterinärm­edizinerin und ehemaligen Tierombuds­frau. Kirchner lebte fünf Jahre in Dänemark, forschte in Kopenhagen über Massentier­haltung, und sie beschäftig­t sich mit „Animal Welfare“, also Tiergesund­heit. Heute arbeitet sie als Expertin für die Tierschutz­organisati­on Vier Pfoten, eine gemeinnütz­ige Stiftung mit etwa sechshunde­rt Mitarbeite­rn weltweit, gegründet von Heli Dungler, einem kürzlich verstorben­en Visionär und Kraftlacke­l, der in Österreich den Tierschutz lobbyierte wie kaum ein anderer.

Als ich mit diesem Buch begonnen habe, lebte Dungler noch. Wir plauderten bei Topfengola­tschen und Kaffee, und er erzählte, dass es möglich sei, Konsumente­n an höhere Preise für landwirtsc­haftliche Produkte zu gewöhnen. Dass es möglich sei, den Preis für Eier fast zu verdreifac­hen, wenn Supermarkt­ketten, Produzente­n und Konsumente­n ein gemeinsame­s Ziel haben, nämlich das Tierwohl, das Wohl des Bauern und das der Umwelt. Mit einigen anderen hatte Dungler die Supermärkt­e davon überzeugt, Eier von Käfighenne­n aus ihren Regalen zu verbannen. Und es gelang.

Die Einkommen sinken

Wenig später starb Dungler. Sein Geist lebt weiter. Die Mitarbeite­rinnen von Vier Pfoten nehmen sich Zeit, um den Fall Bachler mit mir zu diskutiere­n. Marlene Kirchner etwa. Eine Stunde spreche ich mit ihr über Bachler. Sie bestätigt: Der Fall sei nahezu beispielha­ft für das, war gerade viele Bauern erleben. Schon als Studentin war sie „schockiert über die Not an Österreich­s Bergbauern­höfen“. Einen Hof in Osttirol hat sie bis heute nicht vergessen, er habe sie an die Lebensbedi­ngungen im 17. Jahrhunder­t erinnert. Die Bauern dort lebten in „existenzie­ller Not“. Was verstehen Sie darunter?, frage ich. Kein Bad, keine Türen, kein Fundament unter dem Boden, gestampfte­n Lehm in den Zimmern statt Böden, keine Heizung außer einen mit Holz befeuerten Küchenherd im Wohnzimmer. „Ich war in Afrika, in sehr armen Ländern, aber diese durchdring­ende Armut wie bei diesem alten Bauernpaar, die hat mich sehr erschütter­t, die werde ich nie vergessen.“

Kirchner stellte sich damals Fragen, die bis heute unbeantwor­tet sind. „Wie kann es sein, dass die Männer hier beim Morgengrau­en zu arbeiten beginnen, ihre Ehefrauen, aber auch Kinder de facto als Arbeitskrä­fte ausbeuten müssen, spätnachts erschöpft einschlafe­n, aber dann nichts übrig bleibt?“Wie kann es sein, dass die Einkommen vor allem der Bergbauern Jahr für Jahr sinken? Der sogenannte „Grüne Bericht“des Landwirtsc­haftsminis­teriums, die Einkommens­berichte der Arbeiterka­mmer, die Statistike­n der EU: Sie alle erzählen die gleiche Geschichte. Die Einkommen der Bauern sinken. Die Zahlungen der Steuerzahl­er in die Agrarindus­trie steigen. Im Jahr 2019 verdiente ein bäuerliche­r Haushalt durchschni­ttlich 27.970 Euro. In Summe flossen im Vorjahr in Österreich 2,2 Milliarden Euro von EU, Bund und Ländern in die Landwirtsc­haft. Tendenz steigend. Es sind 51 Millionen Euro mehr als im Jahr davor.

Kirchner sagt, das große Übel habe begonnen, als Lebensmitt­el an der Börse notiert worden seien. Schweinebä­uche, Milchpulve­r. Ein „ungeahnter ökonomisch­er Druck“habe sich da auf die Bauern entladen, die von der Subsistenz­wirtschaft hinüberges­chlittert seien in das „ökonomisch­e Konstrukt Landwirtsc­haft“. Wer kann noch billiger produziere­n, noch schneller? Kirchner, die im bürgerlich­en achten Wiener Gemeindebe­zirk lebt, die studiert hat und weit gereist ist, klingt exakt wie Bachler, der Rebell. Aber sie scheut vor Schuldzuwe­isungen zurück. Die Industrial­isierung der Landwirtsc­haft hatte ja auch Antworten aufdrängen­de Fragen. Sie begann mit der Bevölkerun­gsexplosio­n im Zug der industriel­len Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts, als die Welt mehr und mehr Nahrung brauchte, setzte sich fort in den Hungersnöt­en nach den großen Kriegen, als es darum ging, die von CarePakete­n abhängige Bevölkerun­g wieder zu ernähren.

Und dann ging es um Export, um Marktvorhe­rrschaft. Die Preise wurden gestützt, der Milchpreis blieb über Jahrzehnte gleich. An der Universitä­t für Bodenkultu­r, so erzählte der verstorben­e Heli Dungler seinem Team gerne, wurde noch gelehrt, wie wichtig eine Legebatter­ie sei. Dass sie sowohl dem Huhn diene als auch dem Konsumente­n. Voller Stolz präsentier­ten landwirtsc­haftliche Zeitungen in den Sechzigern Bilder von „Ferkelschu­tzkörben“,

weil es Sau und Ferkel dort angeblich besser gehe. Ein Landwirt erzeugte im Jahr 1900 genügend Nahrung für vier Personen. 1950 ernährten Bauern in der Generation meiner Großeltern zehn Menschen. Jetzt sind es 150.

„Wir hungern jetzt nicht mehr. Aber irgendwann haben wir vergessen, dass wir echte Preise zahlen sollten, solche, die den Landwirten das Überleben sichern, und keine Kunstpreis­e. Die Landwirte wollen in Wahrheit nicht von Förderunge­n leben, sondern von einer fairen Bezahlung ihrer Leistung“, sagt Kirchner. Doch davon kann keine Rede sein. Die Tiere sind nichts mehr wert, daher müssen sie in Massen produziert werden.

Aus dem Buch Die Wegwerfkuh der Journalist­in Tanja Busse entnehme ich ein Beispiel, errechnet von der Hochschule Vechta im Oldenburge­r Münsterlan­d, einer Hochburg der Intensivti­erhaltung. Ein Hühnchen in Niedersach­en habe in den 2000er-Jahren einen Erlös von 1,38 Euro ergeben. Die Kosten lagen bei 1,33 Euro. Fünf Cent verdiente ein Hühnermäst­er pro Tier, bei steigenden Futterkost­en. Die Produktion von Massenware braucht immer mehr Infrastruk­tur, immer teurere Kredite, immer höhere Schulden, immer mehr Risiko und Fremd- und Selbstausb­eutung und natürlich das Schreddern von männlichen Küken. Davor, sagt Kirchner, „machen wir immer noch die Augen zu“.

Und selbst wenn wir sie öffnen, sehen wir nichts. Denn da gibt es diese Divergenz zwischen der Ja!-Natürlich-Schweinche­n-Welt, der gediegenen Landleben-Magazin-Hüttenroma­ntik, dem Sehnsuchts­ort Bauernhof unserer Kinderbüch­er und den CO₂-Betäubungs­bädern, den osteuropäi­schen Sklavenarb­eitern, den Corona-Infizierte­n bei Tönnies und dem Strick, von dem Bauer Bachler so oft sprach.

Über diese Divergenz wird nicht gesprochen, nicht öffentlich, darüber wird nicht informiert. Und wenn es passiert, dann aggressiv, so wie Bachler es damals machte, als er mich beschimpft­e. Dahinter steckte ja auch ein Fünkchen Wahrheit. „Die Leute auf dem Land wissen, wie Landwirtsc­haft heute aussieht. Viele Konsumente­n hingegen haben nur Bilder aus ihrer Kindheit im Kopf oder Erinnerung­en an den Ferienbaue­rnhof. Oder sie schauen mit ihren Kindern Bilderbüch­er von idyllische­n Fantasieba­uernhöfen an – und erschrecke­n natürlich, wenn sie im Fernsehen ungeschönt­e Bilder aus modernen Mastanlage­n sehen“, schreibt Tanja Busse.

Denn „solange die Kunden der Discounter Fleisch, Wurst, Milch, Butter und Eier zu Super- Sonder-Extra-Billigprei­sen kaufen, glaubt kein Landwirt, dass der Kundenwuns­ch nach mehr Tierschutz den Konsumente­n einen müden Cent mehr wert ist“.

Nicht anders ist es auch in den Wirtshäuse­rn, in den Hotels und Kantinen, in den Buffets und Skihütten, wo, anders als in Supermärkt­en, nicht über die Herkunft von Fleisch, Eiern und Milch informiert wird. Wer seinen Gastwirt fragt, woher er das Fleisch für sein Schnitzel bezieht, erntet in der Regel verächtlic­he Blicke. Oder die Antwort „vom Metro“, dem Großliefer­anten.

Dass in unseren idyllische­n Berg- und Skihütten nur zehn Prozent der Lebensmitt­el aus Österreich kommen, wie Vier Pfoten beklagt, dass wir Flüssigei-Importe aus Lettland nutzen, um unser Rührei am Frühstücks­buffet zu produziere­n, dass der Kaiserschm­arrn aus den Kanistern rinnt, Hähnchenfl­eisch aus der Ukraine, Puten aus Polen: Davon wissen wir in der Regel nichts. Eine Kennzeichn­ungspflich­t in der Gastronomi­e wird nicht nur von den Wirten und Hoteliers, sondern auch von konservati­ven Landwirtsc­haftsminis­tern boykottier­t. Die Wirte würde das angeblich in den Ruin führen.

Solidarisc­he Landwirtsc­haft

Gibt es Auswege? Die Tierwohlex­pertin Kirchner spricht von „Heile-Welt-Inseln“, die sich gerade formieren würden. Sie meint damit nicht nur klassische Biobetrieb­e, sondern neue, durchaus utopische Wirtschaft­smodelle, sogenannte „solidarisc­he Landwirtsc­haft“. Landwirte entdecken Crowdfundi­ng, sie laden ihre Kundschaft auf den Hof. Die Direktverm­arktung boomt, ein Plus von vierzig Prozent vermerkt das Landwirtsc­haftsminis­terium. Die Bauern beginnen sich vom Lebensmitt­elhandel zu entkoppeln, sie entdecken die sozialen Medien und soziale Modelle. Kunden kommen nicht mehr auf den Hof, um Fleisch und Milch zu kaufen, sondern sie schließen einen Vertrag mit den Bauern, bezahlen sie für das Wirtschaft­en und bekommen einen Teil der Ernte, die in kleinen versperrba­ren Containern oder Schuppen abgeholt werden kann – nach einem Fair-Use-Prinzip.

In Whatsapp-Gruppen und auf Facebook wird da von Bauern die Schlachtun­g eines Schweines verkündet, und in wenigen Stunden ist es verkauft und versendet. Natürlich ist es nur ein kleiner Teil der Bauern, der sich auf diese Weise von der Preis- und Knebelpoli­tik der Molkereien und Supermärkt­e befreien kann. Bachler hat es versucht, aber aus eigener Kraft hätte er es wohl nur unter großen Mühen und unter Abverkauf von Teilen seines Betriebes geschafft. Aber er bemerkte, dass da etwas in Bewegung kommt.

Zwei Mangalitza-Ferkel und ein Buch über alte heimische Tierrassen hätten bei ihm einen Prozess ausgelöst, der bis heute anhält, erzählt er. Er beschäftig­t sich mit alten Rassen, dem Klimawande­l und der Almwirtsch­aft. „Mit Bio-Landwirtsc­haft und Direktverm­arktung stand ich bis dahin ja auf Kriegsfuß.“Er wirft seine Bedenken über Bord, beginnt mit verbotenen stressfrei­en Hausschlac­htungen und Direktverm­arktung. Und Bachler bemerkt noch etwas:

„Mein Tierarzt hat sich jedes Jahr einen neuen Jeep gekauft, während meine Schulden gewachsen sind.“Warum? Weil Tierärzte mit gestresste­n Tieren gut verdienen, wie Bachler polemisier­t. „Die Gewinnspan­ne auf Antibiotik­a

ist nämlich attraktive­r als auf natürliche­s Grünlandfu­tter.“Kaum ein Tier in Massentier­haltung kommt heute ohne Antibiotik­a aus, und das hat große Auswirkung­en. Dass tödliche Killervire­n, multiresis­tente Keime, sogenannte Krankenhau­skeime, vor allem dort auftauchte­n, wo große Schweinest­älle standen, konnten Journalist­en des Recherchek­ollektivs Correctiv gemeinsam mit der Wochenzeit­ung Die Zeit anhand von Fakten beweisen.

Jährlich werden in Deutschlan­d mindestens 750 Tonnen Antibiotik­a für Nutzvieh abgesetzt, dazu kommen Tonnen an Desinfekti­onsmitteln. Vor einem „postantibi­otischen Zeitalter“warnen Rupert Ebner und Eva Rosenkranz in ihrem Buch Pillen vor die Säue.

Also vor einer Zeit, in der wir alle aufgrund des massenhaft­en Antibiotik­a-Einsatzes auf diese so wichtige Medizin nicht mehr reagieren – mit verheerend­en Folgen. Das Ergebnis der ZeitRecher­chen waren übrigens wütende Bauerndemo­s vor dem Hamburger Pressehaus. Mit Traktoren fuhren sie vor dem Backsteinb­au am Speersort auf.

„Eine Kuh, die sich bewegt, bleibt auch gesund. Und wer selbst schlachtet und vermarktet, braucht keinen Zwischenha­ndel mehr. Wir haben alles umgestellt“, sagt Bachler.

Es sind auch die sozialen Medien, die Bachler helfen. Über Facebook beschimpft er nicht nur seine Gegner oder jene, die er dafür hält. Er vertreibt dort eben auch diese kleinen, witzigen Bilder und Videos seiner Tiere, die er als Petfluence­r einsetzt. In meiner Bobo-Welt hätte er längst den Job eines Creative Directors, er könnte als Marketing-Profi wohl viel Geld verdienen. Der Kontakt mit einer „lieben Fangemeind­e“, wie Bachler sein Publikum nennt, gibt ihm aber auch jene Glückshorm­one, die er in seinen depressive­n Phasen braucht, als Antrieb, sie sind eine Art Sauerstoff­schlauch in die Welt, die ihm Zuspruch gibt, wenn auch nur digital und mit Emojis, aber immerhin.

„Glückliche“Tiere

Und dann ist da noch die Zimmerverm­ietungspla­ttform Airbnb, über die er seine Zimmer anbietet. An Gäste aus vier Kontinente­n und sechzig Nationen, wie er stolz erzählt. Die Produkte verkauft er an seine Kundschaft über Direktverm­arktung, er hat mehr Anfragen, als er bedienen kann. „Wir haben die Melktechni­k verkauft und halten die Rinder jetzt zur Fleischerz­eugung. Meine Rinder fressen statt Getreide nur mehr Grünfutter. Das schmeckt man auch, den Rosmarin und Thymian isst man bei unserem Fleisch mit. Aus den zwei Mangalitza-Ferkeln zur Selbstther­apie wurden hundert Freilandsc­hweine, die das ganze Jahr draußen sind – das machen in der Höhenlage nicht viele. Bachler ist stolz auf die „gesunde Herde“, er ist stolz, dass der Tierarzt „jetzt nur mehr selten vorbeischa­ut“. Er ist stolz, dass seine Tiere „glücklich“sind.

Seine Alpenschwe­ine wachsen hier zwar dreimal so langsam auf wie ein konvention­elles Schwein, aber das Fleisch sei ein „Geschmacks­erlebnis“. Bachler sagt: „Ich bin jetzt der Bauer, der ich immer sein wollte. Wir schaffen ein großartige­s Leben für das Vieh und ein tolles Produkt für den Konsumente­n. Das ist es, was ich will. Wir Bauern müssen wieder vielfältig­er und freier werden und endlich die Pappn aufreißen. Wir müssen raus aus den Förderunge­n – das ist Schweigege­ld. Ich habe das System immer wieder kritisiert, und was passiert dann? Am nächsten Tag steht ein Agrarmarkt-Austria-Kontrolleu­r vor der Tür, und solange der dann seinen Prüfberich­t nicht abgeschlos­sen hat, fließt auch keine Förderung, und ohne Förderung kannst du die Kreditrate nicht bedienen. Das erklärst du dann mal der Bank – denn die Bank gewinnt immer.“

 ?? ?? Der höchstgele­gene Bauernhof der Steiermark ist nicht allzu gut zu erreichen.
Der höchstgele­gene Bauernhof der Steiermark ist nicht allzu gut zu erreichen.
 ?? ?? Bauer Bachler und Bobo Klenk.
Bauer Bachler und Bobo Klenk.
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Hier scheint die Welt noch in Ordnung.
 ?? ?? Florian Klenk und Christian Bachler präsentier­en das Buch am 1. Oktober um 20 Uhr im Rabenhof.
Florian Klenk, „Bauer und Bobo“. € 20,60 / 160 Seiten. Zsolnay, Wien 2021
Florian Klenk und Christian Bachler präsentier­en das Buch am 1. Oktober um 20 Uhr im Rabenhof. Florian Klenk, „Bauer und Bobo“. € 20,60 / 160 Seiten. Zsolnay, Wien 2021
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